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Gas-Arbeiter aus Texas„Wir atmen all diese Gifte und Schadstoffe ein“

Die EU will den USA mehr fossile Energie abkaufen. John Beard hat in einer Raffinerie an der Golfküste gearbeitet – und kämpft nun gegen die Branche.

„Sacrifice Coast“: Die fossile Industrie an der Golfküste bietet gute Arbeitsverträge – aber hohe Risiken für die Gesundheit Foto: narkorn/imago
Jonas Waack

Interview von

Jonas Waack

taz: Herr Beard, Sie kommen aus Port Arthur in Texas und damit einer Region, aus der seit Generationen Öl und Gas exportiert werden. Wie ist es, dort zu leben?

John Beard: Wir nennen die gesamte texanische Golfküste „Sacrifice Coast“ (zu Deutsch „Opferküste“, Anmerkung der Redaktion). Denn das Leben und die Gesundheit der Menschen werden der fossilen, petrochemischen Industrie geopfert.

Die Krebsrate hier ist hoch, Atemwegserkrankungen, Herzerkrankungen, Nierenerkrankungen treten überdurchschnittlich häufig auf. Eine Raffinerie von Total in Port Arthur zum Beispiel ist der landesweit drittgrößte Emittent von Benzol. Jede noch so kleine Menge dieses Stoffes kann Krebs verursachen und tödlich sein.

taz: Trotzdem haben Sie jahrzehntelang in einer Raffinerie gearbeitet?

Beard: Wir wussten schon immer über den Krebs Bescheid, aber wir haben nie den Zusammenhang hergestellt. Öl und Gas liegen uns quasi im Blut. Mein Vater arbeitete in einer petrochemischen Anlage und einer Raffinerie. Meine Tochter arbeitet in einer petrochemischen Anlage als Labortechnikerin. Dort gibt es die Jobs, die gut bezahlt werden, mit guten Sozialleistungen und all dem.

Bild: privat
Im Interview: John Beard

wurde 1956 geboren und kommt aus Port Arthur in Texas. Nachdem er jahrzehntelang in der Öl- und Gasindustrie arbeitete, gründete er 2018 das Port Arthur Community Action Network, um sich für Gesundheit und Umweltschutz in seiner Heimatstadt einzusetzen.

taz: Die Unternehmen sind noch immer die größten Arbeitgeber in der Region.

Beard: Sie sprechen über nichts anderes: Oh, wir schaffen Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze. Wie kommt es, dass wir in diesem südöstlichen Teil von Texas, in Beaumont und Port Arthur, die höchste Arbeitslosigkeit im Bundesstaat haben? Das Geld kommt nicht den Anwohnern zugute, die den Schadstoffen ausgesetzt und meistens schwarz sind. Die meisten der Arbeiter kommen entweder aus anderen Bundesstaaten oder aus dem weiteren Umkreis von Port Arthur und Beaumont, wo vor allem weiße Menschen wohnen.

taz: Aber die Arbeiter müssen doch auch von den Schadstoffen betroffen sein.

Beard: Deutlich weniger: Wenn man in der Fabrik arbeitet, wird man über all diese Chemikalien und die richtige Schutzausrüstung unterrichtet, über Handschuhe, Schutzbrillen, Atemschutzmasken und alles, was man für die Arbeit mit einer bestimmten Chemikalie oder Substanz benötigt. Aber was ist mit den Menschen, die außerhalb der Anlage leben? Niemand sagt ihnen, dass dieser oder jener Geruch etwas Schädliches sein könnte. Niemand sagt ihnen, dass der Rauch oder die Dämpfe oder Explosionen oder Brände gefährlich sein können.

Als ich in der Branche zu arbeiten begann, habe ich gelernt, dass man das Geschäft auch ohne Umweltverschmutzung betreiben kann: Indem man in Reinigungs- und Schutzmaßnahmen investiert. Aber dafür muss man die Menschen vor den Profit stellen.

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taz: Wer ist dafür verantwortlich, dass das nicht passiert?

Beard: Es sind die Buchhalter und Erbsenzähler in den Konzernen, die entscheiden: „Wir haben dieses Jahr oder nächstes Jahr oder im Jahr danach kein Geld dafür im Budget, aber vielleicht können wir in etwa drei oder vier Jahren etwas herausquetschen.“ In der Zwischenzeit atmen wir all diese Gifte und Schadstoffe ein. Ich will, dass diese Unternehmen erkennen, dass sie ein Problem geschaffen haben, das nur sie lösen können. Nicht die Regierung, niemand sonst. Sonst machen sie sich mitschuldig an einer Straftat, und diese Straftat ist Mord.

taz: In der EU wird russisches Gas teilweise durch US-Flüssiggas ersetzt, das aus Ihrer Heimat exportiert wird. Die EU hat zudem versprochen, noch mehr davon zu kaufen, um Donald Trump zu beschwichtigen.

Beard: Warum sollte man mehr kaufen, wenn man versucht, vom Gas wegzukommen? Beschleunigt die Energiewende, damit ihr nicht so viel von diesem Gas kaufen müsst. Es geht bei diesen Deals nicht darum, eure Bedürfnisse zu befriedigen oder eure Wohnungen zu heizen. Es geht darum, dass jemand Geld verdient.

Wir am Golf von Mexiko, in den Appalachen und an anderen Orten, wo diese LNG-Anlagen stehen, wo Gas gefördert wird – wir sind es leid, geopfert zu werden, damit ein paar Milliardäre einen goldenen Fallschirm bekommen, mit Hunderten von Millionen Dollar in den Ruhestand gehen und Aktionäre ihre Altersvorsorge aufbessern können. Noch schlimmer: In Deutschland ist Fracking verboten. Und doch holt ihr euch Fracking-Gas aus Texas, bringt es an die Golfküste, um es zu euch zu verschiffen.

taz: Wie erklären Sie sich das?

Beard: Ja, was ist der Unterschied zwischen schlechtem Fracking in Europa und gutem Fracking in den USA? Liegt es daran, dass Sie mich nicht kennen? Weil ich gesichtslos bin? Namenlos? Nun, ich möchte, dass Sie wissen, dass es uns wirklich gibt.

Vor etwa zwei Jahren ist ein guter Freund von mir verstorben. Terry wurde krank und erfuhr, dass er Krebs hatte. Die Ärzte gaben ihm sechs Wochen, nach vier Wochen starb er. Er arbeitete 30 Jahre lang in der Fabrik, hat es nicht bis zur Rente geschafft. Wer dort arbeitet, kann fünf Jahre Rente erwarten, wenn er überhaupt bis zum Rentenalter durchhält. Für mich ist dieses Jahr das achte.

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