Ganz anders oder gar nicht

Eine gemeinnützige Firma will einem Berliner Wohnquartier aus der Krise helfen. Doch die Interessen sind unterschiedlich: Es geht um privaten Gewinn hier und Gemeinwohl dort  ■   Von Hannes Koch

Utopien haben ihre Tücken. „Ich kann keine anderen durchziehen. Ich verdiene doch selbst noch kein Geld“ – Brigitte Lüdecke rauft sich manchmal die Haare. Die 39jährige Soziologin will sich selbständig machen und demnächst kleine Betriebe beraten, wie diese sinnvoll Computer und das Internet nutzen können. Sie hat die richtige Idee zur richtigen Zeit. Trotzdem, so sagt Brigitte Lüdekke, „kriege ich mitunter wirklich die Krise“.

Nicht, weil sie an ihren Chancen als freie Unternehmerin zweifelt. Eher, weil sie sich auf ein Projekt eingelassen hat, das die meisten traditionellen UnternehmensberaterInnen als reine Traumtänzerei bezeichnen würden. Zusammen mit einem Dutzend BewohnerInnen des Berliner Bezirks Wedding bereitet Lüdecke die Gründung eines Stadtteilbetriebs vor.

Diese Firma, so der Plan, soll bald die Wohnquartiere des alten Arbeiterviertels mit Dienstleistungen aller Art versorgen. Hilfe im Haushalt, auf Einzelfälle abgestimmte Kinder- und Altenbetreuung, kleinere Renovierungen und eben Computerschulungen. Weil die Arbeitslosigkeit in dieser Gegend besonders hoch ist, sollen vor allem Leute aus der Nachbarschaft in den Genuß neuer Jobs kommen. „Arbeit aus dem Stadtteil für den Stadtteil“, sagt Willy Achter, Geschäftsführer des Kommunalen Forums Wedding. Die Gruppe aus AnwohnerInnen, Geschäftsleuten und WissenschaftlerInnen versucht seit Jahren, das Gründerzeitviertel hinter der Konzernzentrale des Chemieunternehmens Schering aus dem Strudel von Arbeitslosigkeit, sinkenden Einkommen, Verödung und Kriminalität herauszuholen.

Achter und seine MitstreiterInnen, zu denen auch Brigitte Lüdecke zählt, tun genau das, was mittlerweile bundesweit als Ansatz einer anderen Wirtschaftspolitik gepriesen wird. Einerseits Geld des Staates, andererseits private Einnahmen sollen in neuartigen Unternehmen so kombiniert werden, daß sie gemeinnützige Tätigkeiten und neue Arbeitsplätze finanzieren. Die Beschäftigung zwischen Markt und Staat ist an diesem Wochenende Thema des Kongresses „Anders arbeiten – oder gar nicht“ in Berlin, den die Alternativorganisation Netzwerk ausrichtet. Über eine Million Beschäftigte bundesweit arbeiten bereits im sogenannten 3. Sektor, den die rot-grüne Bundesregierung nach dem Willen von Alternativökonomen nun besonders fördern soll.

„Die Gründung des Betriebs erlebst du doch nicht mehr“, muß Achter sich häufig sagen lassen. „Das wird schon“, antwortet er dann, „ich bin Optimist, schon über lange Jahre.“ Heute hat der 40jährige Achter Anlaß zur Freude.

Ein LKW aus der Eifel hat riesige Felsbrocken gebracht, die auf dem früheren Parkplatz der Brüder-Grimm-Schule abgeladen werden. Das Kommunale Forum hatte eine Beschäftigungsmaßnahme angeschoben, bei der Arbeitslose aus der Nachbarschaft das ehemalige Stück Ödland in einen Kinderspielplatz umgebaut haben. Die Felsen dienen als Klettersteine. Der Haken an der Sache: Das meiste, was das Forum bis heute zuwege gebracht hat, wäre ohne umfassende öffentliche Finanzierung tatsächlich nicht möglich gewesen. Und so wird es wohl auch bleiben: Spielplatzbau, Renovierung der Wohnungen alter Leute – viel Geld ist mit den Dienstleistungen für die oft armen KundInnen kaum zu verdienen. Entweder der Staat bezahlt den Großteil des Lohns der Beschäftigten, oder es passiert nichts.

Dies ist genau der Punkt, der der angehenden Unternehmerin Brigitte Lüdecke Kopfzerbrechen bereitet. Wenn die anderen Leute von „Mischfinanzierung“, also einer Kombination öffentlicher Subventionen und privater Einnahmen, sprechen, sieht sie außer sich selbst niemanden, der größere Einnahmen erwirtschaften kann. Und dann weiß sie auch, daß sie ihr hartverdientes Geld nicht in das schwarze Loch eines Beschäftigungsprojektes stecken will.

Warum arbeitet man dennoch zusammen? Weil beide Seiten Vorteile erwarten: Lüdecke Kontakt zu neuen KundInnen, Imagegewinn und geringere Kosten im gemeinsamen Büro im Vergleich zu einem Alleingang. Der Stadtteilbetrieb hofft, daß Lüdecke später einige Arbeitslose in ihrer Firma beschäftigen kann und für die professionelle Abwicklung der Datenverarbeitung sorgt. Wie man allerdings die gemeinsame Finanzierung regeln soll, steht noch in den Sternen.

Über die heilsame Wirkung der „Arbeit aus dem Kiez für den Kiez“ freilich ist man sich völlig einig. Willy Achter berichtet über ein Beispiel: Als drei Jugendliche – mit staatlichen Sozialgesetzlöhnen ausgestattet – den Spaten zum Umbau des zentralen Platzes im Stadtteil ansetzten, standen alle ihre Kumpels aus dem nahen Jugendtreff Spalier. In den darauffolgenden Monaten stellte die Baufirma mit Erstaunen fest, daß die Schäden durch Vandalismus weit geringer ausfielen als gemeinhin üblich. Arbeit bringt Geld, so weiß Willy Achter, und trägt auch dazu bei, eine intakte Nachbarschaft zu erhalten.

Kongreß „Anders arbeiten – oder gar nicht?“, Sa./So., 24./25. 4, ab 10 Uhr, Humboldt-Uni