piwik no script img

Galoppierende Inflation in den USAKeine Angst mehr vor dem R-Wort

In den USA steigen die Preise noch drastischer als in der EU – die Inflationsrate erreicht den höchsten Wert seit 1981. Wie soll es weitergehen?

Auch in den USA werden Lebensmittel immer teurer Foto: Michael Reynolds/epa

Washington taz | Ob an der Tankstelle, beim Lebensmittelkauf oder bei den Wohnkosten. In den USA steigen die Preise unaufhörlich. Wie die US-amerikanische Behörde für Arbeitsmarktstatistik am Mittwoch bekannt gab, stieg der sogenannte Verbraucherpreisindex und damit die Inflationsrate im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat um 9,1 Prozent – das ist der höchste Wert seit 1981.

Diese unerwartet hohe Preissteigerung – Experten waren von einer Rate deutlich unter 9 Prozent ausgegangen – belastet die Konjunkturaussichten. Dabei stehen die USA bereits kurz vor einer Rezession. Das wäre der Fall, wenn die Wirtschaftsleistung in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpft. Die offiziellen Zahlen für das zweite Vierteljahr werden zwar erst zum Ende des Monats veröffentlicht, aber alles deutet darauf hin, dass sie weiter abwärts gehen. Damit wäre die Definition erfüllt.

„Inflation ist unsere größte wirtschaftliche Herausforderung“, erklärte US-Präsident Joe Biden am Mittwoch in einer Mitteilung. Für den Demokraten im Weißen Haus ist die anhaltend hohe Preissteigerung natürlich auch politisch ein Problem. Im Juni hatte eine Umfrage gezeigt, dass mehr als zwei Drittel, nämlich 71 Prozent der Befragten, mit der Arbeit der Regierung bei der Bekämpfung der Inflation unzufrieden sind. Diese Prozentzahl dürfte sich bei den aktuellen Zahlen nur noch verschlechtern.

Das Weiße Haus versuchte, die schlechten Zahlen in seiner offiziellen Mitteilung positiver zu deuten. Dort hieß es, die Kerninflationsrate sei sogar gesunken – bei ihr werden Lebensmittel- und Treibstoffpreise nicht mit einbezogen. Allerdings fiel die Kerninflationsrate im Unterschied zum Vormonat gerade einmal um 0,1 Prozentpunkte.

Biden machte erneut den russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Krieg in der Ukraine für die wirtschaftliche Situation in den USA mitverantwortlich. Dabei war die Inflationsrate schon vor dem russischen Einmarsch im Februar stark angestiegen. Die Inflation zu bekämpfen, sei seine oberste Priorität, sagte der US-Präsident.

Begrenze Möglichkeiten

Seine Möglichkeiten hierbei sind allerdings begrenzt. Biden will die heimische Öl- und Gasproduktion ankurbeln und versuchen, den US-Kongress dazu zu bringen, ein Gesetz zu verabschieden, das US-amerikanische Familien bei den Alltagskosten entlasten soll. Die US-Notenbank Fed versucht, mit Leitzinserhöhungen gegenzusteuern und damit die Inflation auf klassischem geldpolitischem Weg einzudämmen. Die Gefahr dabei ist, dass die wirtschaftliche Aktivität im Land bei zu hohen Zinsen erst recht einbrechen könnte, denn sie würden vor allem Kredite verteuern.

Im Gegensatz zu den bisherigen zwölf Konjunkturrückgängen, die die USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchgemacht haben, scheint der aktuelle Einbruch des Wirtschaftswachstums dieses Mal etwas anders gelagert zu sein. Denn trotz schrumpfender Wirtschaft fallen die Arbeitslosenzahlen weiter.

Der Anteil der Erwerbslosen ging von 4 Prozent im Dezember 2021 bis Mai auf 3,6 Prozent zurück. Im Juni fanden 372.000 Ame­ri­ka­ne­r:in­nen eine neue Stelle. Viele Unternehmen, vor allem in der Gastronomie und in der Dienstleistungsbranche, suchen händeringend nach Arbeitskräften.

Aufschrei bleibt aus

Diese Diskrepanz zwischen Arbeitslosenzahlen und anderen wirtschaftlichen Indikatoren sorgt aktuell dafür, dass der große Aufschrei und die Angst vor der Rezession noch ausbleiben. Statt dessen sorgen nur die gestiegenen Spritpreise, Energiekosten und Lebensmittelpreise bei der Bevölkerung für Unmut und Verunsicherung.

„Der letzte Arbeitsmarktreport hat gezeigt, dass unser Arbeitsmarkt trotz aller Herausforderungen und Gegenwinde weiter stark ist. Er spiegelt auch die Tatsache wider, dass die US-Wirtschaft noch Luft hat, den bevorstehenden Herausforderungen entgegenzutreten, während sich die Notenbank mit der Inflation und wir uns mit Russlands Krieg gegen die Ukrai­ne beschäftigen“, sagte Cecilia Rouse, die zu den wirtschaftlichen Beratern im Weißen Haus zählt, dem TV-Sender CNBC.

Damit ist die bevorstehende Rezession der US-Wirtschaft ein Sonderfall, den es so noch nie gab. Entsprechend unklar sind ihre Auswirkungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Spätfolgen Trump.

    • @Bolzkopf:

      Spätfolgen Nullzins-Politik !!!!!

      • @lesnmachtdumm:

        Ja, und in Europa insbesonder in Schland sieht es deutlich düsterer aus, da die EZB nach wie vor kein Interesse an Geldwertstabilität hat. Sie hat ja nicht einmal ein Mandat dazu und ist zum willfährigen Handlanger einer what-ever- it-takes-Politik degradiert worden, indem sie den stabilisierenden Zinsmechanismus auszuschalten versucht. Die Folgen dieser desaströsen Politik bezahlen wir mit erheblichem Wohlstandsverlust. Frau Lagarde nennt das angebliche Übel "Fragmentierung" und verdreht damit Ursache und Wirkung. Leider wird es mit allen weiteren Maßnahmen noch schlimmer und man muss sich fragen, ob die EZB das Siechtum des Euros und damit den Zerfall der Eurozone eher beschleunigt. In Anbetracht der Tatsache, dass Putin an einem Zerfall Europas besonderes Interesse hat, ist die Hoffnung auf baldige Gaslieferung von realitätsfernen Wunschdenken geprägt. Geradezu unverschämt naiv sind jedoch die Behauptungen unserer Politiker, in spätestens 2 Jahren (Scholz), unabhängig von russischem Gas zu sein und gleichzeitig die klimapolitischen Ziele erreichen zu können ("kein Strom, nur Gasproblem", Habeck.) Aber unsere Führungsriege geht offenbar auch davon aus, dass beim energetischen Knockdown deutscher Industriebetriebe sich der Warenkorb verbilligen wird.