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Fußballmythos Matthias SindelarEin Bilderbuch für Fußballfreunde

Österreichs Fußball hat nicht viel, aber er hat immerhin Matthias Sindelar. Seinen Werdegang in den Jahren 1903-1933 hat jetzt der Zeichner und Illustrator Sascha Dreier als Comic beschrieben.

In Sascha Dreiers "Bilderbuch" geht es auch um Österreichs Geschichte. Bild: verlag carl ueberreuter

Matthias Sindelar ist ein Mythos. Zumindest in Österreich. Er wurde in der Alpenrepublik zum Fußballer des Jahrhunderts gewählt. Er wurde zum antifaschistischen Widerstandskämpfer stilisiert. Er wurde zum Helden des "Wunderteams" der 30er-Jahre gemacht. Er bekam nach seinem frühen Tod ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Er wurde zum Prototypen des austriakischen Kaffeehauskickers erhoben, zum nonchalanten, dribbelstarken, ideenreichen, spitzfindigen Überstürmer mit Torgarantie.

Der Wiener mit den tschechischen Wurzeln - heute würde man verdruckst sagen: mit Migrationshintergrund - wurde zum Musterbeispiel für Integration und Aufstieg in der damals noch multikulturellen Donaumetropole. Auf dem Höhepunkt seines posthumen Ruhmes versuchte man ihm dann vom Sockel zu stoßen; man dichtete ihm eine Mitgliedschaft in der NSDAP an, unterstellte ihm pure Gier bei der Übernahme eines Kaffeehauses in Wien-Favoriten, das seinem jüdischen Vorbesitzer weggenommen worden war. Kurzum: Der Name Sindelar ist überfrachtet mit Zuschreibungen und Mythenmüll. Letztlich war er ein verdammt guter Fußballer und ein wohl eher einfach gestrickter Typ.

Sascha Dreier nimmt sich seiner in einer sogenannten Graphic Novel an, also einer Bildergeschichte im Comic-Stil. Er bildet den Werdegang Sindelars in den Jahren 1903 bis 1933 ab. Ein zweiter Band soll 2011 folgen, in dem Sindelars Weg bis zu seinem Tod 1939 beschrieben wird. "Der Papierene" heißt Dreiers Bilderbuch für erwachsene Fußballfreunde.

Es ist eine Anspielung auf Sindelars Spitznamen. Erst nannte man ihn so, weil er mit seiner schmächtigen Statur den kräftigen Defensivspielern unterlegen schien, doch später wurde sein papierne Spielweise zu Sindelars Markenzeichen. Dreier geht chronologisch vor, ist instruktiv, baut eine fiktive Liebesgeschichte zwischen Sindelar und einer Schottin ein und versteht es, ein gesellschaftliches Panorama zu entwerfen, das weit über den reinen Sport hinausgeht. Sindelar steht dabei nicht allein im Mittelpunkt, sondern auch der Trainer des Wunderteams, Hugo Meisl - der Mann mit Stock und Melone.

Schafften es in der Nazizeit die kicker-Leute H. J. Müllenbach und Friedebert Becker, den Juden Meisl in einer Betrachtung des Wunderteams mit keinem Wort zu erwähnen, so wird bei Dreier klar, wer der Architekt des Wunders war, das mit spektakulären Siegen gegen Deutschland und Schottland seinen Anfang nahm. Meisl professionalisierte die Liga, und er rief den Mitropa-Cup mit ins Leben rief, den Vorläufer des Europapokals.

Meisl wird von Dreier als untersetzter Hansdampf gezeichnet, Sindelar als spindeldürrer, fliegender Seidenfuß. Andere Figuren geraten freilich zu oft zur Karikatur: Der Antisemit im Heurigenlokal tritt als fetter Widerling auf, der italienische Faschist als schmieriger Typ mit hinterhältiger Fratze. Das ist schlichtweg überzeichnet. In Dreiers Texten und Sprechblasen schimmert wiederum zu wenig Witz durch. Nein, der Schmäh rennt nicht, wie der Wiener sagt, er geht hier nur ein wenig spazieren. Trotz dieser Schwächen darf man sich auf den zweiten Band freuen, denn dann wirds spannend, welches Kapitel Sascha Dreier in der Sindelarschen Mythologisierung schreiben und zeichnen wird.

Sascha Dreier: "Der Papierene. Das Leben des Fußballstars Matthias Sindelar". Ueberreuter, 206 Seiten, 19,95 Euro

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