Fußballer Biermann über Depressionen: "Ich wurde mit Ignoranz behandelt"
Der frühere Fußballprofi Andreas Biermann leidet an Depressionen und hat ein Buch darüber geschrieben. Nach der stationären Behandlung war seine Karriere beendet.
taz: Herr Biermann, als ich vor 20 Jahren bei meinem Hausarzt um eine Überweisung zum Psychotherapeuten bat, sagte die Frau am Empfang. "In Ihrem Alter? Sie sehen doch fröhlich und gesund aus." Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor?
Andreas Biermann: So habe ich das nicht erlebt. Ich habe ja auch nicht darum gebeten, zum Psychotherapeuten zu gehen. Als ich nach meinen beiden Suizidversuchen beim Arzt war und meine Geschichte erzählt habe, kam allerdings niemand auf die Idee, ich könnte unter Depressionen leiden. Das erste Mal sah man das als Kurzschlussreaktion auf die Nachricht, ich könne keinen Fußball mehr spielen, das zweite Mal als Folge von Spielsucht. Bei Ärzten gibt es viel Unwissenheit über Depressionen.
Wann haben Sie das erste Mal selbst daran gedacht, Sie könnten Depressionen haben?
Das war einen Tag nach dem Tod von Robert Enke, als Teresa Enke in einer Pressekonferenz die Symptome von Robert und das Zusammenleben mit ihm geschildert hat. Mein letzter Suizidversuch lag da gerade drei Wochen zurück. Das war so, als ob sie auch mich beschreibt.
Sie gehen in Ihrem Buch so weit zu sagen, damit habe Teresa Enke Ihr Leben gerettet.
Ja, ohne die richtige Therapie ist bei dieser Krankheit die Gefahr groß, wieder Suizidversuche zu starten. Durch ihre Offenheit ist es gelungen, Leute wie mich aufzuklären und wachzurütteln. Ich bin anschließend sofort für 58 Tage zur stationären Behandlung in die Klinik gegangen.
Die Karriere: Der heute 30-jährige Biermann stand Ende der Neunziger bei Hertha BSC auf dem Sprung in den Profi-Kader, den drei Schulterverletzungen verhinderten. Nach einer weiteren Knieverletzung 2002 drohte sogar das frühe Karriereende. Erst nach einer Behandlung mit neuesten medizinischen Methoden konnte Biermann wieder schmerzfrei Fußball spielen, 2008 landete er beim FC St. Pauli in der 2. Bundesliga.
Das Ende: Am 20. November 2009, zehn Tage nach dem Selbstmord von Robert Enke, gab Biermann bekannt, dass er am 20. Oktober ebenfalls einen Suizid-Versuch unternommen habe und sich nun wegen seiner Depressionen in stationärer Behandlung befinde. Sein Vertrag, der im Sommer 2010 auslief, wurde nicht verlängert.
Das Buch: Am Montag erschien im Gütersloher Verlagshaus "Rote Karte Depression - das Ende einer Karriere im Profifußball", das der Journalist Rainer Schäfer auf Grundlage zahlreicher Gespräche mit Biermann geschrieben hat.
Der erste Bundesliga-Fußballer, dessen Depressionen bekannt wurden, war Sebastian Deisler. Mit ihm haben Sie bei Hertha BSC zusammengespielt und sich auch nachher mit seiner Biografie beschäftigt. Sind Sie damals nicht auf die Idee gekommen, dass Ihr Leiden das gleiche sein könnte?
Im Fall Sebastian Deisler war es ja nicht so, dass über die Krankheit aufgeklärt wurde. Es wurde zwar der Begriff Depression genannt, aber ich habe nichts darüber erfahren, was das genau ist, welche Symptome es da gibt. Auch in seinem Buch nicht.
Sie schildern dennoch, dass Sie früh eine Art Seelenverwandtschaft zu ihm empfunden haben. Worin bestand die?
In diesem ewigen Verletzungspech und dem Zwang, sich immer wieder rankämpfen zu müssen. Wie er immer wieder zurückgekommen ist - das habe ich mir als Vorbild genommen.
Im Buch versuchen Sie, Ihren Krankheitsverlauf bis in die Kindheit zurückzuverfolgen.
Durch die Therapie habe ich gelernt, dass es sehr ungesund war, mit niemandem darüber zu reden, was mir widerfahren ist. Das haben wir in unserer Familie nicht gelernt. Ich musste die Sachen mit mir selbst ausmachen, aber irgendwann ist das Maß voll. Die einen rasten dann aus, ich bin innerlich abgestumpft. Ohne viele Gefühle zu empfinden. Schon gar kein Selbstwertgefühl.
Das dominierende Bild für Ihre Außenseiterposition in der Kindheit ist der "Pumuckl aus Spandau", der mit seinem roten Feuerschopf von allen verspottet wird. Später haben Sie Ihre roten Haare oft versteckt. Jetzt präsentieren Sie im Innenband des Buches selbstbewusst Ihr Konfirmationsfoto.
Mit Selbstbewusstsein hat das nichts zu tun. Ich wollte einfach ein Bild aus der Zeit drin haben, weil man dadurch einiges versteht. Für das Selbstwertgefühl wäre es wohl besser gewesen, es nicht reinzunehmen. Aber nach dem Lesen werden wahrscheinlich sowieso die wenigsten Leser menschlichen Respekt vor mir haben. Es ist eben keine Geschichte, wo man sagen muss: Das ist ein toller Mensch.
Das sehe ich anders. Warum haben Sie das Buch geschrieben, wenn Sie mit solchen Reaktionen rechnen?
Ich wollte anfangs sicher nicht das Ende meiner Karriere beschreiben, sondern den Leuten einen Beweis in die Hand geben, dass man trotz Depressionen Leistungssport betreiben kann. Dass die Entwicklung dann eine andere war, ist ärgerlich. Trotzdem zeigt es hoffentlich vielen Leuten, wie wichtig es ist, zu ihrer Krankheit zu stehen.
Welches Männerbild haben Sie im Profisport kennen gelernt?
Das man keine Schwäche zeigen darf. Dadurch macht man sich angreifbar. Es ist halt eine Konkurrenzsituation in der Mannschaft, von 25 können nur 11 spielen, und da wird dann eben jede Schwäche ausgenutzt, damit man selbst spielt.
Bei der Beerdigung von Robert Enke rief DFB-Präsident Theo Zwanziger dazu auf, das Kartell der Tabuisierer zu brechen.
Mit dem Abstand von eineinhalb Jahren kann man mit Gewissheit sagen, dass sich nichts geändert hat. Ich habe genau das gemacht, mich zu meinen Problemen bekannt. Und ich wurde mit kompletter Ignoranz behandelt. Bis heute hat sich niemand vom DFB bei mir gemeldet. Wenn man tatsächlich nach Lösungsansätzen sucht, müssten die Betroffenen doch einbezogen werden.
Wie ist man beim FC St. Pauli mit Ihnen umgegangen, als Sie wieder auf dem Trainingsplatz standen.
Vom Trainer Holger Stanislawski wurde ich bestmöglich unterstützt. Er hat sich auch für eine vertragliche Lösung eingesetzt, mit der ich hätte leben können. Die sah vor, in der 2. Mannschaft zu spielen, eine Jugendmannschaft zu trainieren und auf der Geschäftsstelle zu arbeiten. Einen Vertrag für die Erste Liga, in die die Mannschaft dann aufgestiegen ist, habe ich ja gar nicht gefordert.
Wieso ist es trotzdem zu keiner Lösung gekommen?
Weil andere Entscheidungsträger nicht dahinterstanden. Ich hatte nach dem Klinikaufenthalt in Absprache mit meiner Psychologin darum gebeten, möglichst schnell zu wissen, wie es weitergeht. Dann hat man fünf Monate gebrauchte, um mir ein Angebot zu machen, bei dem ein Teil des Gehaltes aus den Prämien der anderen Spieler finanziert werden sollte. Das konnte ich natürlich nicht annehmen und hat mich sehr enttäuscht.
Sie haben die Konsequenz gezogen, Hamburg zu verlassen und leben jetzt wieder in Berlin. Führen Sie es auf Ihr Outing zurück, dass Sie keinen neuen Verein gefunden haben?
Ohne das Outing wäre sicher ein normaler Drittliga-Vertrag realisierbar gewesen. Bei Vertragsgesprächen zeigte sich immer wieder, dass die Verantwortlichen beim Thema Depression ins Grübeln kamen. Ob ich zum Beispiel bei Auswärtsspielen mental dem Druck gewachsen bin. Dementsprechend sahen dann die Angebote aus, wenn überhaupt noch welche kamen. Als Familienvater konnte ich die nicht annehmen.
Ihre Psychologin schildert es fast als Glücksfall, dass Sie durch den Verlust Ihrer Perspektive als Fußballspieler dazu gezwungen wurden, sich ganz anders mit Ihren Problemen auseinanderzusetzen, als Sie es vorher getan hatten.
Für mich als Mensch definitiv. Ich habe dadurch gelernt, dass ich noch andere Talente als Fußball habe. Und dass es vielleicht besser ist, meinen Traum, Sportpsychologie zu studieren, schon jetzt anzugehen. Aber trotzdem ist eine Wehmut da, weil ich den Sport nach wie vor liebe.
Ihren Schilderungen nach war der Ball bis vor Kurzem Ihr wichtigstes Kommunikationsmittel. Haben Sie inzwischen andere Sprachen gelernt?
Ich arbeite dran. Ich bin inzwischen schon Spezialist darin, meine Geschichte zu erzählen, und durch den enormen Zulauf und Zuspruch über meine Website habe ich zum Thema Depression wohl einen Erfahrungsschatz wie kaum ein anderer. Aber im privaten Bereich bin ich bei Weitem noch nicht so weit wie andere, über meine Gefühle zu reden. Ich muss noch lernen, zumindest mit meiner Frau und meiner Familie über meine Ängste und Schwächen zu reden. Und da arbeiten wir dran.
Wie geht es Ihnen heute?
Ich bin stabil und habe keine Suizidgedanken mehr. Aber ich bin nach wie vor in Behandlung und nehme Antidepressiva. Viele Gefühle kommen langsam wieder, gerade im Umgang mit den Kindern. Ich kann wieder Freude empfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“