Fußball als Belastungstest für die Ehe: Don’t cry for me Alemania
WM-Duelle bringen auch jenseits des Platzes Spannungen mit sich. Am schlimmsten ist es in Partnerschaften. Szenen einer deutsch-argentinischen Ehe.
2005, wir waren gerade einige Monate zusammen, machten wir unsere erste kleine gemeinsame Reise. Ein Kurztrip nach Tandil, einem Ort in der Provinz Buenos Aires, bei dem sich die Ebene der Pampa erstmals in eine hügelige Landschaft verwandelt. Anstatt eines romantischen Abendessens mit Kerzenlicht nach der Ankunft, saß er plötzlich vorm Fernseher und schaute sich doch tatsächlich ein Fußballspiel zwischen Milan und Schalke 04 an.
Der Vorgang war umso überraschender, da bei ihm zu Hause gar kein Fernseher stand. Der sei schließlich nicht notwendig, so sein Argument. Ansatzlos und unvorbereitet traf mich diese Tatsache. In diesem Moment begriff ich, dass ich mich auf einen Fußballverrückten eingelassen hatte. Dann kam die WM 2006. Damals wohnten wir schon zusammen. Und wenige Tage vor dem ersten Anpfiff rannten wir los, schließlich musste er doch „die Spiele aus meiner Heimat sehen“.
Damals trafen wir das erste Mal aufeinander, nach dem Finale von 1990. Was tun? Wo und mit wem schauen wir uns das Spiel an? Mit deutschen Freunden, mit argentinischen Freunden? Wir entschieden uns für Zweisamkeit zu Hause und den neuen Fernseher.
Auch nach der Verlängerung stand es unentschieden, damals begann ich Klose zu hassen, denn der hatte uns ins Elfmeterschießen gezwungen … Wir versuchten nicht bei jedem Elfer zu jubeln, und schon gar nicht bei denen, die Lehmann gehalten hat, aus Rücksicht auf die Gefühle des anderen … Am Ende stand er auf, ging ins Nebenzimmer, machte das Fenster auf … Es war ein langgezogener Schrei, der einzige in unserem Stadtviertel.
Eine Enttäuschung
Monate später arbeitete ich vorübergehend in Berlin. Noch immer standen Reste der WM herum, und ich stellte fest, dass mein Freund nicht der einzige fußballverrückte Deutsche war. Die waren so verrückt, dass sie diesen Film machten. „Deutschland. Ein Sommermärchen“ … Ich dachte es sei ein Film wie „Héroes“, der Film über die WM von 1986. Aber was für eine Enttäuschung, es ging nur um die deutsche Mannschaft und die Deutschen.
ist 41 Jahre alt und wurde in Buenos Aires geboren. Sie ist seit 2005 mit Jürgen Vogt, dem taz-Korrespondenten in Argentinien zusammen.
Während der WM 2010 in Südafrika machten wir Familienurlaub in Deutschland, inzwischen verheiratet und mit unserem kleinen Sohn. Dort haben wir die WM gesehen, besser gesagt, meinen Teil der WM. Unser Rückflug nach Buenos Aires war am Abend des 3. Juli, und ausgerechnet an diesem Tag trafen Argentinien und Deutschland aufeinander. Sich zu Hause einzubunkern, ging nicht – und nur mit Deutschen schauen, nee.
Schließlich entdeckten wir ein Refugium für mich, das Restaurant Buenos Aires in Frankfurt … Nach der beeindruckenden Niederlage musste ich durch die Straßen von Frankfurt laufen, mit meinen schlafenden Sohn auf dem Arm, einem hochzufriedenen Ehemann an der Seite und diesen Locos por Alemania. Einen Tag später landeten wir nur wenige Stunden vor der argentinischen Mannschaft in Buenos Aires.
Alle Italiener waren plötzlich Deutsche
Und jetzt heißt es wieder Argentina – Alemania! Diesmal wird es wirklich hart. Diesmal ist es das Endspiel. Wie 1990. Und es wird wieder so sein wie damals. Noch heute habe ich die Wut von Maradona und den anderen vor Augen, als uns damals die Italiener schon während der Nationalhymne ausgepfiffen hatten. Alle Italiener waren plötzlich Deutsche, weil wir das Halbfinale gegen sie gewonnen hatten und sie jetzt nicht auf dem Platz standen. Daran werde ich am Sonntag wieder denken müssen, wenn sich alle Brasilianer in Deutsche verwandeln, obwohl doch die Deutschen sie aus ihrer WM geschossen haben.
Und dann sagt ausgerechnet auch noch dieser Robben, dass Argentinien keine Chance hätte. Und diese zwei Deutschen, die gleich nach dem 7:1-Spiel zu mir meinten, „na, kommst du am Sonntag auch Deutschland – Holland schauen? Was, Argentinien? Nein, man muss doch realistisch sein!“ Ich werde am Sonntag das Spiel dort sehen, wo ich auch die Finals von 1986 und 1990 gesehen habe, und darauf hoffen, dass der Traum von Messi sich in Wirklichkeit verwandelt, denn so ist Fußball, immer gibt es Überraschungen. Tja, und mein Mann? Ich habe noch keine Ahnung, wo der schauen wird …
Autorisierte Übersetzung: Jürgen Vogt
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