Fußball-EM-Qualifikation: Unsexy Systemfragen
Die DFB-Elf schafft es nicht mehr, bei belanglosen Qualifikationsspielen die Fußballstadien zu füllen. Woran das bloß liegen könnte?
F ür alle, die noch den mikroskopischen Restbestand an Spannung ausloten wollen, sei kurz aufgeführt, was passieren muss, damit die deutsche Nationalmannschaft sich nicht für die Europameisterschaft qualifiziert. Die Angelegenheit ist kompliziert, obwohl das Team von Joachim Löw nur sehr durchwachsene Leistungen und Ergebnisse vorweisen kann. Selbst absichtliches Verlieren würde erst einmal wenig helfen.
Eine kurze Einführung in die Unwahrscheinlichkeitsrechnung: Sagen wir mal, die DFB-Elf lässt sich am Samstag in Gladbach von Weißrussland bereitwillig auseinandernehmen und verliert 0:3. Daraufhin folgt dann, um mit Rudi Völler zu sprechen, ein noch „tieferer Tiefpunkt“, eine 1:5-Pleite am Dienstag in Frankfurt gegen Nordirland, und der Weltmeister von 2014 rutscht auf den dritten Platz ab.
Dann ist es noch längst nicht um das Kontinentalturnier geschehen. Schließlich hat sich die Uefa ja 2018 noch einen anderen Wettbewerb, die Nations League, ausgedacht, die mit einem zusätzlichen sportlichen Wert aufgeladen werden musste. Über diesen Weg könnten sich die gescheiterten Deutschen doch noch zur EM schießen.
Hilfsvehikel Nations League
Die Nerds mögen einwenden, dass die DFB-Elf doch gerade erst aus der Gruppe A der Nations League abgestiegen ist und in der Gesamtwertung nur einen 11. Platz erreichte. Das ist freilich überhaupt kein Hindernis. Denn an den Nation-League-Playoffs für die EM-Quali nehmen die besten vier Teams der Gruppe A teil, und seit Freitagabend haben durch die direkte EM-Qualifikation von England und Frankreich insgesamt sieben Nationalmannschaften der Gruppe A ihre Teilnahme schon gesichert. Deutschland wäre die Teilnahme an den Playoffs also nicht mehr zu nehmen.
Wem das zu kompliziert ist, kann sich einfach merken: Deutschland ist so oder so dabei.
Dass all dies vielen Zuschauern die Lust nimmt, sich Länderspiele der DFB-Elf anzuschauen, ist wenig verwunderlich. Weil die anstehenden Begegnungen sportlich so wenige Fragen aufwerfen, haben die Nationalspieler, Bundestrainer Löw und Sportdirektor Oliver Bierhoff diese Woche vornehmlich Antworten zur Trainersuche des FC Bayern München, zum Abschied von Uli Hoeneß und eben zum Zuschauermangel bei den Länderspielen geben müssen.
Torhüter Manuel Neuer hat eingeräumt, dass der mit belanglosen Spielen aufgeblasene Terminkalender zu einem Gefühl der Übersättigung beigetragen haben könnte. Bevor sich jedoch Oliver Bierhoff Systemfragen stellt, beschäftigt er sich lieber mit den Gesetzmäßigkeiten des Marketings. Nach einer „langen Phase der Begeisterung“ sei es eben schwierig, das Niveau zu halten.
Gewünscht: „Powerfußball“
Und mit 90 Prozent Auslastung stünde man im internationalen Vergleich noch gut da. Bierhoff rechnet sich dank der Sponsorendeals die Stadien voll, auch wenn die Ticketkontingente der wichtigsten Stakeholders des DFB nicht ausgeschöpft werden. Sogar gegen Argentinien blieben in Dortmund kürzlich 20.000 Plätze unbesetzt.
„Powerfußball“ forderte Bierhoff nun gegen Weißrussland, um dem Desinteresse zu begegnen. Und auch Nationalspieler Joshua Kimmich vermittelte den Eindruck, die Nationalmannschaft sei allein ihres Glückes Schmied: „Ob die Zuschauer ins Stadion kommen, hängt vor allem davon ab, ob wir sexy spielen oder nicht sexy.“
Es ist der Versuch, sich von den mäßig attraktiven Gegnern unabhängig zu machen – als könne die Nationalmannschaft wie die Harlem Globetrotters, das einstige Basketball-Showteam in den USA, funktionieren. Davon ist das Team aber so weit entfernt wie internationale Fußballfunktionäre von der Bereitschaft, sich mit Systemfragen auseinanderzusetzen.
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