Für mehr Pragmatismus: Der Einfluss der Schule hat Grenzen

Anhänger wie Gegner des Berliner Volksbegehrens über den Religionsunterricht blasen das Thema auf, ergab eine interessante Diskussionsveranstaltung in den Räumen der Böll-Stiftung.

Berliner Kulturkampf: Die Initiative "Pro Reli" kämpft gegen Ethikunterricht, dem sie "Reli" als Wahlpflichtfach gleichwertig beigestellt sehen will. Bild: dpa

In Berlin ist, taz berichtete, erneut ein Kulturkampf entbrannt, in dessen Asche es allerdings schon lange geglommen hat. Vordergründig geht es um das Fach "Ethik", das seit 2006 verpflichtend an allen Schulen ab der siebten Klasse gelehrt wird und religionsübergreifend ist. Daneben wird weiterhin konfessioneller Religionsunterricht angeboten, der, wie schon vor der Einführung des Pflichtfachs Ethik, freiwillig besucht werden kann - oder eben nicht.

Seit dem vergangenen Jahr nun kämpft die Initiative "Pro Reli" mit enormem finanziellem Aufwand gegen diesen Ethikunterricht, dem sie "Reli" als Wahlpflichtfach gleichwertig beigestellt sehen will - sodass sich die Schülerinnen und Schüler entscheiden sollen: nur Ethikunterricht oder nur konfessionellen Religionsunterricht. Dieses Anliegen versucht eine Mehrheit der religiös Bewegten mittels eines Volksbegehrens durchzusetzen. Dass sie die nötigen Stimmen zusammenbekommen, um dieses anzuschieben, ist wahrscheinlich: trotz der mehrheitlich ungläubigen Berliner.

Die Initiative argumentiert fadenscheinig - es wird behauptet, dass es um Wahlfreiheit gehe (obschon das Recht auf beide Unterrichtsformen ja gerade eingeschränkt werden soll), dass der konfessionelle Unterricht Toleranz anderen Religionen gegenüber lehre und dass die Identität der Kinder auf dem Spiel stehe.

Auf der anderen Seite argumentieren einige Vertreter der "Pro Ethik" ebenso polemisch - ihre Argumentation geht davon aus, ein Kind komme als unbeschriebenes Blatt in die Schule und könne seine sozialen Prägungen ablegen. Auch die Behauptung, die "politisch Verantwortlichen" hätten "etwas zu tun, damit Staat und Glaubensgemeinschaften nicht noch aggressiver gegeneinander zu Gericht ziehen und eines Tages unversöhnlich auseinanderbrechen", die die Autorin Julia Franck im aktuellen Spiegel äußert, ist durch keinerlei reale Bedrohung gedeckte Panikmache.

Anlässlich einer bemerkenswert unpolemisch geführten Diskussion in den Berliner Räumen der Böll-Stiftung zeigte sich am Montagabend jedoch, dass viele Gläubige nicht nur die Ungläubigen aus dem Dialog ausschließen wollen - und umgekehrt natürlich auch -, sondern auch ihre Kinder. Dabei machte die Religionswissenschaftlerin Wanda Alberts klar, dass in Schweden seit über 40 Jahren kein konfessioneller Religionsunterricht mehr stattfinde, sondern eine Art Religionskunde, in der die verschiedenen Religionen, aber auch philosophisch-ethische Lehrsätze und die Menschenrechte gelehrt würden und dies Schweden nicht an den Abgrund geführt habe.

Die Rabbinerin Gesa S. Ederberg, eine Unterstützerin der "Pro Reli"-Initiative, merkte dagegen an, dass jüdische Traditionen in einem solchen Unterricht zu kurz kämen, wie auch im jetzigen Berliner Ethikunterricht. Der grüne Senatsabgeordnete Özcan Mutlu hielt die konfessionelle, besonders die islamistische Lehre für arg bedenklich und wies noch einmal darauf hin, dass der Ethikunterricht in Berlin eingeführt wurde, weil ansonsten assimilierte Schüler im Jahr 2005 den sogenannten Ehrenmord an Hatun Sürücü im Jahr 2005 für gerechtfertigt hielten. Der katholische Theologe Josef Göbel, der den jetzigen Status beibehalten will, betont, dass die Kirchen begreifen müssten, dass Religion Begleitung brauche, nicht Führung.

Doch genau darum dreht sich der Streit und daraus erklärt sich seine Heftigkeit. Die Identität eines Menschen müssen die Religiösen zwangsläufig aus seinem Glauben ableiten, den sie dann leichtfertig mit einer Konfession gleichsetzen. Auf der anderen Seite wird man an schlimmste Bible-Belt-Argumentationen erinnert, wenn man liest, wie heftig die Kirchen ihre jungen Schäfchen dem Zugriff des Staates entreißen wollen, da sie die Gleichsetzung der Religionen und die Erklärung ihrer Spezifikationen fürchten.

Hält also der Glaube den Staat nicht aus und auch nicht seine moralischen Grundlagen, die sich vielfach ähneln, doch auch, etwa in Fragen der Homosexualität, unterscheiden? Dann aber ist das ein Problem der Gläubigen und nicht das des Unterrichts.

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