■ Für die 18jährige Kurdin Selma Alp gibt es keinen Rechtsstaat: Diplomatenopfer Wahrheit
Normalerweise funktionieren parlamentarische Untersuchungsausschüsse so: Wochenlang tüfteln Abgeordnete an Fragen, die das Ziel haben, die Wahrheit ans Licht zu holen. Monatelang wird anschließend ein Nichts an Erkenntnissen disputiert, oder es werden Tausende von ermüdenden Details ausgebreitet. Die Dokumente des gewählten Spürsinns verschwinden schließlich in den Parlamentsarchiven. Was bleibt, sind meist viele Wahrheiten.
Im Fall der vier Kurden, die erschossen wurden, als sie aus Protest gegen die dubiose Festnahme von PKK-Führer Öcalan das israelische Generalkonsulat besetzten, ist das alles anders. Trotzdem bekommen die Toten keine Gerechtigkeit. Für sie endet der Rechtsstaat vor den Türen der Diplomatie.
Selten hat ein Untersuchungsausschuß soviel herausbekommen wie diesmal. Berlins Polizeipräsident behauptete, die israelische Vertretung sei kein vorrangiges Schutzobjekt gewesen. Das war gelogen, wie ein Telefonmitschnitt beweist. Die Israelis wiederum gaben zu Protokoll, sie hätten aus Notwehr auf PKK-Anhänger geschossen, die sie mit Eisenstangen bedrohten; Schüsse seien ausschließlich innerhalb der diplomatischen Vertretung gefallen. Auch das ist offensichtlich nicht die Wahrheit. Auf einem Polizeivideo ist zu sehen, wie eine unsicher wirkende Menge von Kurden von der Tür des Konsulats wegflüchtet – während Schußsalven zu hören sind. Einzelne PKK-Anhänger gehen dort zu Boden, wo hinterher das Blut getroffener Kurden gefror.
Die Berliner Staatsanwaltschaft kommt zu den gleichen Erkenntnissen: Die Polizei hat versagt, die Sicherheitskonsuln haben sich tödlich falsch verhalten. Dennoch stellen die Strafverfolger ihre Ermittlungen ein – keiner der Beteiligten braucht Furcht vor Konsequenzen zu haben. Die Todesschützen verbergen sich hinter ihrer diplomatischen Immunität, Berlins Innensenator Werthebach hinter dem Dilettantismus seines Polizeipräsidenten. Der abgeklärte politische Beobachter mag das achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Für die politische Kultur und für den rechtsstaatlichen Umgang ist das ein Desaster. Der jüngste der Menschen, die wegen der Schludrigkeit der Polizei im Kugelhagel israelischer Sicherheitsleute endeten, war 18 Jahre alt.
Mit dem Zuklappen der Ermittlungakte stirbt Selma Alp ihren zweiten Tod. Das ist nicht gut. Nicht für die Israelis, die wieder ihre tödliche Verteidigungsbereitschaft bewiesen. Und nicht für uns, weil unsere Polizei die ersten Fehler beging. Christian Füller
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