Unser Christian Specht ist nun Politiker: Mit Rollator ins Rathaus
Christian Specht kämpft schon lange für Behindertenrechte. Das setzt er nun auch als grüner Bezirksverordneter von Friedrichshain-Kreuzberg fort.
Christian Specht macht es spannend. Erst kurz vor knapp erreicht er am Mittwochabend in Begleitung weiterer Bezirksverordneter der Grünen den Sitzungssaal im Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg. Auch seine persönliche Assistentin begleitet ihn. Während der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wird sie ihn unterstützen, denn Specht lebt mit einer Lernbeeinträchtigung und kann nicht lesen und schreiben. Für den gebürtigen Kreuzberger ist es die erste BVV im Amt eines Bezirksverordneten.
Werner Heck (B90/Grüne)
Als BVV-Kandidat für die Grünen stand Specht bei den Wahlen im Jahr 2021 im Bezirk auf Listenplatz 34. Damals reichten die Stimmen nicht für den Einzug in das Gremium, doch nun ist er nachgerutscht. Das Amt der Bezirksverordneten ist ein Ehrenamt. Auf Grund von Fluktuation wird in der BVV hin und wieder ein Platz frei.
Kaum hat Specht auf seinem Platz in der letzten Reihe des Saales Platz genommen und den Rollator abgestellt, da wird er schon von anderen Bezirksverordneten freudig begrüßt. Schnell bildet sich auch eine kleine Traube um ihn.
Christian Specht, Jahrgang 1969, ist seit Jahrzehnten politisch engagiert und u. a. Mitglied im Behindertenbeirat in Friedrichshain-Kreuzberg sowie im Vorstand der Lebenshilfe. Seit November 2025 ist er als Nachrücker Mitglied der Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Er hat ein Büro in der taz und zeichnet, seine Bilder werden in der taz veröffentlicht, so er es denn zulässt. Nahezu regelmäßig erscheint seine Kolumne Specht der Woche. Schon 1996 kam über ihn der Dokumentarfilm „Oh Mitternacht, oh Sonnenschein!“ ins Kino.
Und als Neuzugang wird Specht wenig später von den Bezirksverordneten dann auch ganz offiziell erst einmal ordentlich in Empfang genommen. „Ich denke, ich darf für die ganze BVV sprechen“, eröffnet Werner Heck (B90/Grüne) die Sitzung, „und freue mich auf die Zusammenarbeit – auf alles, was Sie in unsere Arbeit einbringen.“ Applaus im Saal.
Fast ein historisches Ereignis
Es fühlt sich ein wenig so an, als wohne man einem historischen Ereignis bei. An diesem Abend ist der Saal im Bezirksamt an der Yorckstraße in Kreuzberg rappelvoll. Auch auf der Empore haben augenscheinlich mehr als 50 Besucher:innen Platz genommen. Mit dabei ist auch das Jugend- und Kindergremium des Bezirks, das mit im Publikum sitzt.
Ein Durchgang im Saal wurde extra erweitert, damit man auch mit dem Rollator oder Rollstuhl problemlos durch die Reihen bis zum Rednerpult fahren kann. Eine Rede hält Specht an diesem Abend zwar noch nicht, aber in Zukunft will er sich in der BVV für Behindertenrechte stark machen, denn für die kämpft Specht schon lange. Seit 2017 ist Specht im Vorstand der Lebenshilfe Berlin. Dort war er der erste Mensch mit Beeinträchtigung im Vorstand. Lebenshilfe ist ein Verein, der sich für die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung einsetzt.
Zudem ist Specht Initiator des Behindertenparlaments in Berlin, das seit 2020 existiert. Im Jahr 2022 kam das Gremium erstmals im Abgeordnetenhaus zusammen. Einmal im Jahr tagt das Behindertenparlament, setzt sich dabei unter anderem für Barrierefreiheit in Berlin ein. Nach den Sitzungen des Parlaments werden beschlossene Anträge und Forderungen an die Senatsverwaltung übergeben.
An diesem Mittwochabend im Saal des Rathauses Friedrichshain-Kreuzberg dreht Specht Däumchen, hört den Debatten dabei augenscheinlich sehr konzentriert zu. Hin und wieder bespricht er sich mit seiner persönlichen Assistentin. „Ich war ganz schön aufgeregt“, sagt er über seine erste Sitzung. Fast vier Stunden tagt die BVV an diesem Abend.
Doch ganz zu Anfang, bevor der BVV-Vorsteher Heck zur Tagesordnung übergeht, erwähnt dieser noch Spechts Kolumne in der taz. Specht hat einen Schreibtisch im Konferenzraum der taz, zeichnet dort auch den „Specht der Woche“. Und als Heck dann noch bemerkt, dass ein Fotograf im Sitzungssaal rumhuscht, um Fotos von Specht zu schießen, mutmaßt er: „Vielleicht kriegen wir dazu ja eine Berichterstattung in der taz.“ Aber sicher!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert