Für Helmut Kohl zählte Freundschaft immer mehr als das Gesetz: Die politische Walze
Woher noch die Empörung nehmen? Ab nächsten Montag ermittelt der Staatsanwalt gegen Helmut Kohl, doch die Republik hat sich fürs Erste müde erregt. Das ist wie beim Schlittenfahren – am Ende der Talfahrt verliert sich der Schwung. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird der Kanzler des 20. Jahrhunderts juristisch demontiert. Der Streit um seine historische Rolle hat da allerdings erst begonnen.
Wie wird man Helmut Kohl in zwanzig oder dreißig Jahren einschätzen? Als Bimbes-Kanzler mit den Fingern in den schwarzen Spendentöpfen? Oder als Mercedes unter den Kanzlern, der von eilfertigen Biografen so lange auf Hochglanz poliert wurde, dass von den paar Schmutzflecken des Jahres 1999 nichts mehr zu sehen ist? Es gibt die Tendenz, je nach persönlicher und politischer Präferenz ihn auf eines der zwei Bilder zu reduzieren.
Die Wirklichkeit ist beunruhigender: Kohl hätte die deutsche Einheit nicht so erfolgreich herbeiorganisieren können, wenn er nicht über jene Eigenschaften verfügte, die ihn auch in den Spendensumpf führten. Da ist zum Ersten Kohls Wille als Walze, die sich durch die Welt schiebt und alle Hürden einfach überrollt. Im Fall der Parteispenden ist er dafür übers Grundgesetz gewalzt, im Fall der Einheit über Maggie Thatcher und andere Miesepeter. Da ist zum Zweiten Kohls Verwurzelung im „Jahrhundert der Ideologien“. Seine illegale Unterstützung der CDU-Landesverbände im Osten rechtfertigte er mit dem Kampf gegen die wieder erstarkenden Roten. Ähnlich simplizistisch war das Weltbild, das ihn entgegen dem Zeitgeist der 80er-Jahre an die Wiedervereinigung glauben ließ.
Ungeniert sprach er schließlich in seiner Erklärung zu den schwarzen Kassen davon, stets mehr auf persönliche Beziehungen vertraut zu haben als auf Regeln und Vorschriften. Zum Genieren bestand aus seiner Sicht wenig Anlass. Als er sich kurz zuvor bei den Feierlichkeiten zum Mauerfall rühmte, die Einheit durch Männerfreundschaft statt Paragrafenreiterei ermöglicht zu haben, galt das noch als Ausweis seines staatsmännischen Naturtalents. Erst im Licht der Spendenaffäre erscheint diese Haltung als Ausdruck der Gleichgültigkeit gegenüber dem Rechtsstaat. Nicht Helmut Kohl hat sich verändert, sondern das Licht, das plötzlich auf ihn fällt. Kein Wunder, dass Kohl seinem dritten Ermittlungsverfahren so stoisch entgegenblickt wie den ersten beiden im Rahmen der Flick-Affäre. Höchstens den Bürgern ist ein Licht aufgegangen. Patrik Schwarz
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