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Fünf-Prozent-Klausel bei WahlenStolperfallen für Kleinparteien

Seit FDP und AfD an der Fünfprozenthürde gescheitert sind, wird debattiert: Ist eine Sperrklausel in dieser Höhe noch demokratisch?

Beim Hürdenlauf kommt nicht jeder durch. Für Demokratien kann das ein Problem sein Bild: reuters

FREIBURG taz | Ist die Fünfprozenthürde zu hoch? Darüber wird seit der Bundestagswahl, bei der FDP und Alternative für Deutschland knapp an dieser Marge scheiterten, heiß diskutiert. Aber auch die Drei-Prozent-Klausel, die bei der nächsten Europawahl gelten soll, ist umstritten – und das entsprechende Gesetz immer noch nicht in Kraft.

Das Problem hat sich seit der Bundestagswahl verschärft. Denn rund 15 Prozent der Wähler sind im kommenden Bundestag nicht repräsentiert, weil sie Parteien angekreuzt haben, die unter der Fünfprozenthürde blieben, wie die FDP (4,8), AfD (4,7) und die Piraten (2,2 Prozent). Sieben Millionen Stimmen fielen so unter den Tisch. Auch bei der Landtagswahl in Bayern war es kaum besser: Dort konnten 14 Prozent der Stimmen nicht in Mandate verwandelt werden.

Damit weniger Stimmen verloren gehen und weniger Wähler frustriert werden, fordern manche nun die Absenkung auf eine Dreiprozenthürde. Auch Hans-Jürgen Papier, der Expräsident des Bundesverfassungsgerichts, stimmt diesem Vorschlag zu: „Parteien wie FDP und AfD sind mit je über zwei Millionen Wählern keine Splitterparteien“, begründete er seine Haltung jüngst in einem Interview.

Eine Dreiprozenthürde soll etwa bei der kommenden Europawahl im Mai 2014 gelten. Das hat der Bundestag im Juni beschlossen. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2011 die Fünfprozenthürde im Europawahlgesetz beanstandet. Doch auch die neue Hürde ist umstritten, denn das Bundesverfassungsgericht hatte eigentlich gefordert, gar keine aufzustellen. In Karlsruhe sind deshalb schon erste Klagen von potenziell betroffenen Parteien eingegangen – unter anderem von der NPD und den Grauen.

Andere, wie die Piraten und die ÖDP, haben Klagen bisher nur angekündigt. Denn die Gesetzesänderung ist noch gar nicht in Kraft: Bundespräsident Joachim Gauck hat das Gesetz immer noch nicht unterschrieben. Nach gängiger Praxis prüft der Bundespräsident vor der Unterzeichnung von Gesetzen im wesentlichen, ob das Verfahren eingehalten wurde.

„Schwer und offensichtlich“

Eine inhaltliche Verletzung des Grundgesetzes kann er nur rügen, wenn der Makel „schwer und offensichtlich“ ist. Für solche Prüfungen gibt es ja das Bundesverfassungsgericht, das dafür besser legitimiert ist als der Theologe Gauck. Warum die Prüfung aber nun so lange dauert, wollte das Präsidialamt auf Nachfrage nicht mitteilen.

Wenn Gauck aber zu lange zögert, fehlt anschließend Zeit für eine gründliche Prüfung in Karlsruhe. Denn zulässige Klagen können im Organstreit erst eingereicht werden, wenn das Gesetz verkündet ist. Die Zeit drängt, denn möglicherweise muss vor der Entscheidung noch eine mündliche Verhandlung organisiert werden. Und falls Karlsruhe das Europawahlgesetz beanstandet, müsste es der Bundestag noch vor dem Tag der Europa-Wahl im Mai überarbeiten.

Sollte die Dreiprozenthürde am Ende tatsächlich fallen, hätte dies aber keine Auswirkungen auf die Wahlen zum Bundestag. Im Europaparlament gibt es nämlich keine Regierung und es werde häufig mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt – damit begründeten die Richter, warum sie eine Sperrklausel für kleine Parteien bei Europawahlen als überflüssigen Eingriff in die Gleichheit der Wahl betrachten.

Beim Bundestag hat das Bundesverfassungsgericht hingegen bisher immer anerkannt, dass eine Sperrklausel die Funktionsfähigkeit des Parlaments und die Stabilität der Regierung sichert. Das heißt jedoch nicht, dass eine Fünfprozenthürde bei Bundestagswahlen obligatorisch ist. Sie könnte auch abgeschafft oder abgesenkt werden.

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16 Kommentare

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  • MM
    Markus Meister

    Die Kleinparteien klagen jetzt sogar gegen die 3% Hürde. Dabei sollte sich eine ÖDP, Tierschutzpartei, PBC, Familienpartei & Co. fragen, ob es vielleicht an ihrem Programm liegt, dass sie von den Menschen nicht in genügender Zahl gewählt werden. Braucht es wirklich ein dutzend links- und rechtsradikale Parteien wie KPD, DKP, REP, NPD, PSG, PRO, die Rechte usw. in unseren Parlamenten? Benötigen wir Esoteriker wie die Violetten, bibeltreue Christen oder Politsekten wie die BüSo? Muss jede Ein-Themenpartei mit minimalen Zuspruch im höchsten Parlament der Republik repräsentiert sein?

     

    Mit Abschaffung der Sperrklausel öffnet man Tür und Tor für Spinner und Demokratiefeinde.

    Man fördert auch Zersplitterung der großen Parteien. Grüne müssen sich nicht mehr zusammenraufen, sie spalten sich einfach in linke Fundis und Realos. Die Linke teilt sich in West und Ost, die CDU in Wertkonservative und Christ Soziale und auch die SPD könnten in Flügel auseinanderbrechen, da ja immer garantiert wäre, dass man im Parlament bleibt. Soll das dann eine bessere Demokratie sein?

     

    Wenn es Bedarf an neuen Parteien gibt, haben diese bisher immer die 5% locker übersprungen. Arbeiten sie nachhaltig bleiben diese Parteien auch in den Parlamenten. Bei Kommunalwahlen gibt es keine Prozenthürde mehr, ich bezweifele aber, dass der Stadt Lübeck ein Abgeordneter der STATT-Partei, diverse Rechts- und Linkspopulisten oder Vertreter von Einthemenwahlvereinen den Städten und Gemeinden einen Mehrwert bieten. Ich bezweifele das.

  • Meine Meinung zum Bundestagswahlrecht: 5% Hürde behalten, Alternativstimme einführen. Und: Verschiedene Parlamente brauchen verschiedene Wahlrechte. Bei der Europawahl heißt das: Hürde abschaffen und gerne Kumulieren und Panaschieren oder Mehrmandatswahlkreise mit STV einführen.

  • Alle (4) Jahre wieder. Da werden 20, oder was weiß ich wieviel Parteien zur Bundestagswahl zugelassen, und jeder weiß von Anfang an, nur die drei oder vier 'richtigen' Parteien schaffen es in das Parlament. Was ist DAS für ein Demokratieverständnis? Also weg mit der 5% Hürde. Schluss mit diesem elitären Club, genannt Bundestag. Wenn 1% der Wähler für die NPD stimmen, dann sollte diese Partei auch im Bundestag vertreten sein. Wenn man das nicht will, dann verbietet diese Partei.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Wähler unbedeutender Parteien werden wohl schon immer in Kauf genommen haben, dass ihre Stimme futsch ist.

    Die Fünfprozenthürde ist allein schon deshalb gut, weil Politik überschaubar bleibt.

    (Man stelle sich daher mal vor, der Wahlsieger müsste mit drei, vier anderen Parteien in Koalitionsverhandlungen eintreten!?)

  • @THEORBITTER

     

    Sorry... aber für mich sind Spiegel, FAZ oder Tagesschau nicht Maßstab für das, was innerhalb der taz-Leserschaft diskutiert werden kann.

    Und in Sachen FDP oder AfD würde ich fast meine Hand für die taz in's Feuer legen.

     

    ---

     

    @FRIEDRICH E.BERT

     

    Das sind doch zwei verschiedene Dinge. Natürlich sollte man vorab zwingend prüfen, ob eine Partei wie die NPD verfassungsfeindlich agiert.

    Eine Sperrklausel hingegen kann meiner Meinung nach nicht das Instrument sein. Denn dann hätte man bsw. 2004 vor den Landtagswahlen in Sachsen eine 10%-Hürde einführen müssen.

    Das Ergebnis wäre dann ein Sächsischer Landtag bestehend aus CDU und PDS. Und das kann es auch nicht sein.

    • FE
      Friedrich E. Bert
      @Nin-Chen:

      Natürlich ist die 5%-Prozenthürde kein passendes Instrument, um die Demokratiefähigkeit einer Partei in irgendeiner Weise zu überprüfen. Richtig, schließlich kann die NPD auch über die 5 % kommen, wie wir in manchen Landtagen sehen. Dennoch: Mit etwa 1 % auf Bundesebene (meines Wissens nach) liegt die NPD mir deutlich zu nahe an den 5 %, erst recht aber an den 3 %. Auch wenn Verbotsverfahren und Prozenthürde zwei völlig verschiedene Themen sind, finde ich, muss man hier einfach mal pragmatisch bleiben: Eine rechtsradikale Nazipartei darf in diesem Land niemals mehr auf Bundesebene (Landesebene natürlich eigentlich auch nicht) in das Parlament kommen. So lange nicht garantiert werden kann, dass verfassungsfeindliche Parteien (die Linke zähle ich übrigens ausdrücklich nicht dazu!) in den Bundestag kommen, muss ein unpassendes, aber im Endeffekt praktisches Instrument wie die 5% auf Bundesebene aufrecht erhalten werden. Auch wenn es de facto das falsche Instrument ist und AfD und FDP samt nicht unbeachtlicher Wählerschaft in dieser Bundestagswahl benachteiligt. Es gibt einen Grund, warum wir diese Hürde haben - und dieser ist immer noch richtig und meines Erachtens nach (noch) undiskutabel.

  • Nicht die 5-%-Klausel ist das Problem, sondern die mangelnde Wahl-FREIHEIT, die aber laut Art.38 Abs.1 Satz 1 GG gefordert ist.

    Wahl-FREIHEIT bedeutet, dass sowohl zu JEDER Bewerbung mit einer einzigen Stimme gestimmt werden darf als auch statt mit JA mit NEIN. Sonst herrscht in der Politik und im Wahllokal das ZWANGS-Freund-Feind-Denken weiter wie bisher. Wenn das (was sehr ähnlich übrigens von "approval voting" schon seit 1976 gefordert wird) endlich gewährt würde, dann ließe sich z.B. eine 4,8-%-Klausel schaffen, die von den Wähler/innen FLEXIBEL und demokratisch selbst bestimmt wird je nach Abgabe von JA-Stimmen und NEIN-Stimmen. Wer Genaueres wissen will, kann an eine der im Impressum von www.volksvetokraft.de stehenden E-Mail-Adressen schreiben. Denn dort gibt es die Lösung gegen die mangelnde Wahl-FREIHEIT sowie gegen die verfassungswidrige (!) 5-%-Klausel. Für eine 3-%-Klausel gilt dasselbe.

  • UF
    Ulrich Frank

    Ganz im Gegenteil - die 5%-Klausel gehört auf den Prüfstand - insbesondere seitdem Demoskopen monatelang und zunehmend insistent vorher Umfragen veröffentlichen welche Wähler nicht darüber nachdenken lassen was sie vernünftigerweise wählen sondern wie ihre Stimme nicht verlorengeht. Und im Ernst (Theorbitter!), seit wann wird in der "Tagesschau" oder im Staatspartei-hörigen ör-Funk schon einmal etwas ernsthaft in Frage gestellt?? Und wenn, dann erst um 23.45h nachts!!

  • FE
    Friedrich E. Bert

    So lange Parteien mit menschenverachtenden Zielen wie die NPD nicht verboten werden, sondern um die 1% haben, kann eine niedrigere Prozenthürde nicht ernsthaft in Frage kommen. Wir wollen keine Weimarer Verhältnisse mehr. Wenn Parteien auf ihr Demokratieverständnis hin genauer vorselektiert werden könnten, d.h. Verbotsverfahren erfolgsversprechend wären, könnte hier nochmals mit der Frage angesetzt werden. Vorher nicht.

  • U
    Uli

    Uli

    "Ist die Fünfprozenthürde zu hoch?" Ja und nein. Es gibt gute Gründe dafür und dagegen. Mein Kompromißvorschlag: Die Fünfprozenthürde bleibt, aber die stärkste der Unter-fünf-Prozent-Parteien kommt ins Parlament. Das würde die Wahlen spannender machen.Bei manchen Wahlen erreicht die stärkste Unter-fünf-Prozent-Partei 2 oder 3 Prozent, das würde dann für den Einzug ins Parlament reichen.Bei der Vielzahl der Wahlen könnten nach und nach alle kleineren Parteien von einer solchen Regelung profitieren und einmal zum Zuge kommen.

  • M
    Maxe

    @ Theorbitter: Sie sind ja lustig. Da fordert einer Einheitsbrei in den Medien. Liest man auch nicht häufug. Darf nur geschrieben werden, was alle schreiben? Ich finde es ganz im Gegenteil extrem langweilig, wenn die Zeitungen (& TV)querbeet alle diesselbe Sosse bringen.

    Zum Thema selbst: es klingt in der Tat schon wie schlechter Verlierer, wenn sich Mitglieder von Parteien darüber ärgern, die gerade an dieser Klausel gescheitert sind.

    "Damit weniger Stimmen verloren gehen und weniger Wähler frustriert werden, fordern manche nun die Absenkung auf eine Dreiprozenthürde."

    Das eigentliche Problem sind doch die 30%, die gar nicht gewählt haben und deren Frustration dürfte wohl kaum von der 5%-Hürde kommen.

    • @Maxe:

      "Darf nur geschrieben werden, was alle schreiben?"

      Nein, selbstverständlich nicht. Das war auch nicht die von mir formulierte Kernaussage.

      Gegenfrage:

      FDP und AfD sind mit jeweils Null Komma und Einganzkleinbißchen an den 5% gescheitert. Die taz bläht die Thematik auf und fordert mind. ein Überdenken, besser gar eine Änderung dieser Wahlrechtsklausel. Was aber wäre, wenn FDP und AfD nicht haarscharf, sondern deutlich an 5% gescheitert wären? Wenn, wie in Bayern, die FDP 3,3% geholt hätte? Nach der Landtagswahl hat die taz nicht rumgepöhlt und eine Absenkung auf 3% gefordert.

  • "Ist die Fünfprozenthürde zu hoch? Darüber wird seit der Bundestagswahl [...] heiß diskutiert."

    Ganz eindeutige Antwort: nein, ist sie nicht! 5% sind gut und richtig. Und wichtig, wie man sieht. Daß darüber diskutiert wird sehe ich übrigens nur in der taz, die hier einen Sturm im Wasserglas zu erzeugen versucht. Spiegel, FAZ, Tagesschau etc. kümmern die 5% einen Scheiß. Warum die taz ausgerechnet da so drauf abfährt ist absolut rätselhaft. Werdet Ihr von FDP und AfD bezahlt das so hochzukochen?

  • D
    DJ_rainbow

    Euer Scheinheiligkeit nehme ich euch nicht ab: Solange die Gelben und die Blauen draußen, die Grün*Innen und die Dunkelrot*Innen dafür drin sind in der Bundesquasselbude, ist für euch Schmierlapp*Innen die Welt*In doch in Ordnung. Genauer: das, was ihr für die Welt*In haltet.

    • K
      Kinki
      @DJ_rainbow:

      Bisher hat die 5%-Hürde in der Realität dahingehend funktioniert, dass immer rund 95% der Stimmen tatsächlich gewertet wurden, die "Sonstigen" hatten bei Bundestagswahlen in der Regel 3-5%. Ein derart geringer "Schwund" konnte angesichts der bereits genannten Vorzüge der Sperrklausel toleriert werden.

       

      Jetzt liegt dieser Schwund bei über 15%, d. h. fast jede sechste Stimme ist für die Mülltonne, und das lässt sich mit dem Verhältniswahlrecht nur schwer vereinbaren. Ganz abgesehen davon, dass obendrein noch die politischen Verhältnisse umgekehrt wurden. Aus einer bürgerlichen Mehrheit der Stimmen wurde eine linke Mehrheit der Sitze.

       

      Man bedenke: Im Extremfall könnte 19 Parteien mit jeweils 4,95% durchs Raster fallen, und eine Partei mit knapp 6% würde dann alle Parlamentssitze erben. Rechnerisch möglich. Sehr theoretisch natürlich. Aber ab welchem Punkt soll man dann sagen: "diese Sperrklausel verzerrt die Verhältniswahl über Gebühr"? Schwierige Frage. Aber ich halte alles ab 10% Stimmen für die Tonne für bedenklich.

       

      Völlig unabhängig davon, ob rechte, linke, mittlere, obere oder untere Stimmen rausfallen.

      • @Kinki:

        "Jetzt liegt dieser Schwund bei über 15%, d. h. fast jede sechste Stimme ist für die Mülltonne..."

        Ja, und? Erstens ist es "fast jede sechste Stimme" derer, die überhaupt erst zur Wahl gegangen sind und zweitens würde diese Debatte niemand betreiben, wenn FDP und AfD jeweils sagen wir mal knapp dreieinhalb Prozent geholt hätten. Dann wär vielleicht fast jede neunte Stimme für die Mülltonne und dann wären sich bei "Ja, und?" auf einmal alle einig.