: Frust im Fockengrund
Sozialsenatorin Röpke will Bremen mit einem Beteiligungsprojekt „bespielbarer“ und kinderfreundlicher machen. Gleichzeitig setzt sie beim Personal der Spielhäuser den Rotstift an. Das Beispiel Grambke zeigt, dass diese Logik nicht aufgehen kann
Jürgen Mehrtens kennt seine Pappenheimer. Seit Januar 2001 ist der Polizist Kontaktbeamter im Bremer Ortsteil Grambke, einem, wie er sagt, „sozialen Brennpunkt mit multikulturellen Bewohnern und einem Durchschnittsaufkommen an Kriminalität“. Diese relative Ruhe sieht der Beamte in akuter Gefahr: In einem Brief an Bremens Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) warnt Mehrtens davor, den Rotstift bei den Spielhäusern anzusetzen: „Der Staat darf sich seiner sozialen Verantwortung, gerade gegenüber den Kindern, nicht entziehen, indem die Betreuung privaten Einrichtungen übertragen wird“, schreibt Mehrtens und geht auf das Grambker Spielhaus Fockengrund ein: „Ein Abbau von sozialen Fachkräften“ dort hätte „für die soziale Integration ausländischer Kinder fatale Folgen“. Röpke jedoch plant, die Spielhäuser an private Träger abzutreten. Leistungsprofil und Besucherstruktur sollen erhalten bleiben, aber das kommunale Personal wird wohl abgezogen, Bremen spart. Die Behörde gibt sich wortkarg, Röpke-Sprecherin Heidrun Ide wiegelt ab: „Die Spielhäuser sind in ihrer Existenz nicht bedroht.“ Alles Weitere werde „im Moment noch geprüft“.
Komisch ist nur: Zeitgleich mit derlei Rotstiftaktivitäten hat die Sozialbehörde mit großem Tamtam eine Initiative gestartet, die eine heile Welt proklamiert: „Spiel und Bewegung im öffentlichen Raum“ heißt das „Beteiligungsprojekt“, mit dem die Senatorin „die vielen kleinen informellen Spielmöglichkeiten und Treffpunkte von Kindern und Jugendlichen“ zu „erheben und langfristig zu stärken“ gedenkt. In Hochglanzbroschüren wird von „Vernetzung der Aktions- und Spielräume“ gefaselt und von phantasievoller Spielplatz-Pflasterung geträumt – ohne auf die Finanzierung einzugehen. Ein Konzeptentwurf mit „12 Bausteinen“ soll jetzt in den Stadtteilen diskutiert werden, sagt Röpke-Hintersasse Michael Schwarz. Ziel der „gesamtstädtischen Bestandsaufnahme“ sei es, „Bremen noch bespielbarer zu machen“. Die Vereine „Kinderwald & Wiese“ und „SpielLandschaftStadt“ sowie die Büros „Planungsgruppe vor Ort“ und „Team 2“ wurden beauftragt, Kinder, Eltern, Lehrer und Trainer für das Projekt einzuspannen. Ein „Aktionsplan“ soll bis zum Frühjahr 2003 vorliegen – rechtzeitig zur heißen Wahlkampfphase.
Deshalb muss jetzt Gas gegeben werden: In allen Sozialzentren gibt es dieser Tage Runde Tische, Fragebogenaktionen und – wie letzten Montag in Grambke – „Spielortsuchrundgänge“. Michael Kinder von „Kinderwald & Wiese“ stapfte mit Politikern, Behördenvertretern, Polizist Mehrtens und vielen Kindern durch das Wohngebiet und inspizierte die Spielorte: verwahrloste Bolzplätze, versiffte Spielplätze, verrostete Basketballkörbe und vermoderte Tischtennisplatten. Mit leuchtenden Augen und gutgläubig brachten die Kinder ihre Wünsche vor: Ein „Fitnessraum“ hätte der 13-jährige Kurde Esbien gerne, Fußballtore und einen Kiosk. Merle, die in die zweite Klasse der Grambker Schule geht, wünscht sich eine Drehscheibe und Kletternetze auf dem Schulhof. Die Gutachter lächelten milde: „Es ist schon bizarr“, sagte Michael Kinder, „die Senatorin möchte ihren Haushalt entlasten, und die Kinder wollen ihren Stadtteil möblieren.“ Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Max Liess bemerkte, es stimme nicht, dass gar kein Geld da sei. „Es hat nur immer der Stadtteil bei der Vergabe der wenigen Mittel die Nase vorne, der als erster ein schlüssiges Konzept vorlegt.“
Der Rundgang endete beim einzigen – noch – öffentlichen Spielplatz von Grambke: am Spielhaus Fockengrund, wo seit 1984 „Erika“ das Zepter führt. Erika Rieken ist die einzige hauptamtliche Erzieherin dort. „Wir möchten, dass Erika hier bleibt“, sagen die Kinder. Rieken selbst sieht ihre Chancen „im Moment nicht allzu rosig“. Sie werde wohl in den Kindertagesheimbereich versetzt. Die Entscheidung treffen Jugendhilfeausschuss und Sozialdeputation kurz vor Weihnachten. Zum Christfest.
Markus Jox
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