Früherer Kapitän der Cap Anamur: Käptn Schmidt geht von Bord
Stefan Schmidt rettete im Mittelmeer Geflüchtete vorm Ertrinken. Nun hört er als Flüchtlingsbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein auf.
„Ist doch ein Knoten in dem Schuhband nur mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen“, zitiert Kapitän Stefan Schmidt seinen Lieblingsdichter Joachim Ringelnatz. Mit dieser Philosophie hat der 82-Jährige zwölf Jahre lang sein Ehrenamt als Beauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen im schleswig-holsteinischen Landtag ausgeübt.
Vor allem jungen Leuten versuchte er nahezubringen, wieso manche Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Aber auch die Beratung von Betroffenen und Entscheidungsträgern gehörte zu seinen Aufgaben. Nun lasse die Gesundheit ihn nicht mehr so viel tun, wie er gerne würde, sagt Schmidt. Am 13. September wird er sein Ehrenamt niederlegen. In St. Marien zu Lübeck erwartet man an diesem Tag etwa 500 Gäste.
Dass sich einmal so viele Menschen seinetwillen versammeln, hatte Schmidt sich schon in jungen Jahren gewünscht. Nachdem er das Abitur verfehlt hatte, konnte er nicht Archäologe werden und suchte nach einer anderen Lebensaufgabe, die ihm gesellschaftliches Ansehen geben könnte. „Über keinen Beruf gibt es so viele wunderbare Lieder wie über Kapitäne. Ich wollte einer von ihnen sein.“
Mit 17 Jahren fuhr er als Schiffsjunge zur See. In Travemünde besuchte er die Seefahrtsschule. Über 20 Jahre zog es ihn aufs Meer, in der südpazifischen Inselrepublik Kiribati war er Direktor einer Seemannsschule. Für seine Frau und die drei Söhne kehrte er nach Deutschland zurück, war von dort aus Generalkonsul von Tuvalu, dem drittkleinsten Land der Erde.
Schmidt drohten zwölf Jahre Gefängnis
Zu dieser Zeit begann der Seefahrer sich durch den Kontakt zu Elias Biedel bei dessen humanitärer Hilfsorganisation Cap Anamur zu engagieren. Nachdem der Kapitän des Pilotprojektes erkrankt war, übernahm Schmidt dessen Aufgabe und stellte eine Besatzung zusammen.
Zwischen Malta und Lampedusa traf ihr Schiff „Andra“ auf 37 afrikanische Bootsflüchtlinge, die sie an Bord nahmen. Vierzehn Tage lang wurden sie vor Sizilien am Einlaufen gehindert, bis sich die Crew sich entschied, ohne Genehmigung vor Anker zu gehen. Damit handelten sich Schmidt und Biedel eine Anklage wegen Schlepperei und Beihilfe zur illegalen Einreise ein. Eine Woche mussten sie im Gefängnis auf Sizilien verbringen. Es drohten bis zu zwölf Jahre Haft. Nach fünf Jahren sprach das italienische Gericht die Crew frei.
Schmidt begann sich politisch zu engagieren, gründete den Verein Borderline Europe mit, der über die Lage an den europäischen Außengrenzen informiert und sich für legale Fluchtrouten einsetzt. In Schleswig-Holstein wählte ihn der Landtag 2011 zum Flüchtlingsbeauftragten. Spätestens 2015 wurde aus einem Ehrenamt ein Vollzeitjob – jedoch lehnte Schmidt eine Bezahlung bis zuletzt ab.
Das Ende des Ehrenamts bedeutet für ihn nicht das Ende seines Engagements. Er freue sich über Einladungen für Vorträge an Schulen. Erst mal geht es aber wieder zur See. Im Oktober wird er eine Woche auf einem Fährschiff verbringen, das nach Island fährt. An Bord gibt es ein von seinem Sohn organisiertes Theaterprogramm zu sehen. Der alte Seefahrer selbst wird dem Publikum Texte von seinem Lieblingsdichter Ringelnatz vorlesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid