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Frühchen an der Berliner CharitéSchwachstelle Händewaschen

Die Darmbakterien, an denen die Frühchen an der Berliner Charité erkrankten, sind für Menschen ab zwei Kilo harmlos. Aber man wird sie einfach nicht mehr los.

So oft waschen sie sich die Hände: Die Hygience-Chefin der Charité mit Grafik. Bild: dpa

BERLIN taz | Die gute Nachricht, die der Ärztliche Direktor der Berliner Charité, Ulrich Frei, am Dienstag verkünden durfte, lautet: Alle sieben am Serratien-Darmkeim erkrankten Frühchen am Standort Campus Virchow-Klinikum sind gesundheitlich stabil. Die Antibiotika-Therapie habe gut angeschlagen und werde fortgesetzt. Den 16 weiteren Frühgeborenen, die sich auch im Oktober mit den Bakterien infiziert hatten, ohne daran zu erkranken, gehe es ebenfalls gut.

Auch ein herzkrankes Baby, das sich offenbar im Deutschen Herzzentrum Berlin mit dem Erreger angesteckt hatte, habe erfolgreich behandelt werden können. Das Kind hatte im Bett gelegen neben dem – inzwischen verstorbenen – Frühchen, das aus der Charité ins Herzzentrum überwiesen worden war.

Was Frei und die Leiterin des Hygieneinstituts der Charité, Petra Gastmeier, dann mitteilten, klang wenig beruhigend: Immer noch ist unklar, wie der Keim ins Krankenhaus gelangt ist und wie er sich dort über so lange Zeit halten und so stark verbreiten konnte. Dies untersuche jetzt ein „Ausbruchsteam“ des Robert-Koch-Instituts, Deutschlands oberster Seuchenbehörde.

Gastmeier erklärte, Serratien – die für Menschen mit einem Körpergewicht über zwei Kilo harmlos sind – seien 164 Mal stärker ansteckend als andere Darmbakterien. Sie würden über den Kontakt durch Hände oder mit Geräten übertragen. Weil sich die Frühchen aber untereinander nicht anfassen können, komme eigentlich nur eine Ansteckung über das Pflegepersonal infrage.

Dieses aber habe bei Hygieneüberprüfungen an Kliniken – gemessen wurde etwa der alkoholische Desinfektionsmittelverbrauch – mit einer Befolgung der Hygieneregeln von 92 Prozent „sehr gut“ abgeschnitten. Bei etwa 70 nötigen Händedesinfektionen pro Tag und Kind böten sich dennoch „Gelegenheiten für Schwachstellen“. Ein Screening, wie es etwa für multiresistente Keime existiert, um Patienten schon bei der Aufnahme untersuchen zu können, gebe es für Serratien nicht.

Und: Wer sich einmal angesteckt habe, der werde den Keim sein Leben lang nicht mehr los, er gelte als „potenziell ansteckend“. Der Charité bleibe nichts anderes übrig, als den Aufnahmestopp für die betroffene Frühchenstation so lange aufrechtzuerhalten, bis alle erkrankten und infizierten Kinder die Station verlassen hätten. Dann könne gründlich desinfiziert werden. Dies könne mehrere Monate dauern.

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4 Kommentare

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  • I
    ion

    @ anke,

    "Im Übrigen ist es überhaupt nicht hilfreich, derart krass zu verallgemeinern.";

    Leider doch, denn das Hygiene-'Bewusstsein', Verhalten der Mitbürger ändert sich eher nicht in Abhängigkeit der jeweiligen Situation, weshalb das gewählte Beispiel symptomatisch, empirisch zutreffend ist.

    Trotz der seit Jahren von Bundesministerien, dem BZgA, dem RKI und anderen, wie z.B. diversen Massenmedien, immer wieder thematisierten, propagierten: "Richtig Hände waschen"-Aufrufe, -Aktionen, verbleibt der Bürger resistent in seinem internalisierten (Fehl-)Verhalten; Von "Muckibuden" kann wohl kaum die Rede sein, da es sich im Beispiel um eine „med“, also medizinisch orientierte (Rehabilitations-)Einrichtung mit „strenger Philosophie“ („dass das Training auch wirklich gesundheitsfördernd ist“) handelt.

    Was den "Unterschied" ("1,8 Kilo") angeht: Haben Sie schon mal beobachtet, dass Schnuller, die auf den Boden, (öffentlichen) Gehsteig fallen, entweder einfach nur abgewischt oder von Mama abgeleckt werden, um ihn dem Baby wieder in den Mund zu stecken? Etc.! Und ab wieviel Kilo Lebendgewicht wird Hände waschen Ihrer Meinung nach überflüssig?

  • A
    anke

    @ion:

    Dass sich Eltern, deren Frühchen im Brutkasten liegt, ähnlich sorglos verhalten wie die Besucher eines Fitnessstudios, halte ich für nicht besonders wahrscheinlich. Sie würden damit nämlich nicht nur fremde Babys gefährden, sondern auch das eigene, und um das machen sie sich einfach schon zu viel Sorgen. Im Übrigen ist es überhaupt nicht hilfreich, derart krass zu verallgemeinern. Die Probleme, mit denen Krankenhäuser zu tun haben, sind nämlich deutlich anders gelagert als die von "Muckibuden". Aber wer den Unterschied zwischen einem Frühchen von 1,8 Kilo Gewicht und einem gesunden, trainierten Erwachsenen von 70 Kilo nicht für wichtig hält, weil er akut mit dem eigenen Lieblingsthema befasst ist, der muss das natürlich nicht erkennen.

  • HS
    H. Silbereisen

    Ich kenne diesen speziellen Fall nicht genau.

    Aber im Allgemeinen liegen solche Probleme an zu wenig Zeit bei Reinigungspersonal, Pflegekräften und Ärzten und damit letztlich daran, das dafür zu wenig Geld zur Verfügung steht.

    Und das Problem ist durchaus nicht gering. Es gibt mehre Tausend Tote wegen Krankenhauskeimen jährlich. Das liegt in der Größenordnung der Verkehrstoten! Und man könnte die Zahlen deutlich senken. Die Niederlande zeigen wie es geht.

    Aber unsere Politiker kümmern sich viel lieber um Bedrohungen, die viel weniger Menschen gefährden, wie z.B. den Terrorismus, weil such das besser besser zur Profilierung eignet.

  • I
    ion

    Die 'stolzen', besorgten Eltern werden 'besuchsweise' breite, infektiöse Spuren im Krankenhaus hinterlassen, an denen sich das Personal jederzeit aufs Neue kontaminieren könnte.

    Und vorausgesetzt, diese Eltern führen sich auch nur ähnlich auf, wie z.B. die Besucher eines Injoy-med-Fitness-Studios in der Nähe des Augsburger Hauptbahnhofs (oder anderer Fitness-Einrichtungen), dann wundert mich gar nix mehr, denn mind. 50% aller dortigen Besucher (oder ähnl. Einrichtungen) waschen sich nach dem Toilettengang nicht minimal die Hände, fassen danach aber alle möglichen Geräte an (Schmierinfektionen).

    Und Einrichtungsbetreiber, die kritische, kritisierende Kunden – die sich für aktives Werben der Einrichtung für Hygiene, das Händewaschen, etc. einsetzen – konsequent aus ihrem Betrieb rausmobben, zeigen sich nicht nur einsichtsresitent, sondern sind in diesem Zusammenhang eher schon strafwürdig, denn genau jene Kunden sind auch Besucher von Krankenhäusern.