Friedensforscher über Medienstrategien: „Sie haben ein eigenes Hollywood“
Die Taliban wollen medial aufrüsten und haben eine eigene App entwickelt. Was sie sonst im Internet tun, erklärt Afghanistan-Experte Conrad Schetter.
taz: Die Taliban haben eine eigene App für Android-Smartphones entwickelt. Wozu?
Conrad Schetter: Die Taliban versuchen schon seit rund zehn Jahren, verstärkt in soziale Medien zu gehen. Sie wollen auf sich aufmerksam machen und neue Kämpfer gewinnen. Die wachsende urbane, jugendliche Bevölkerung in Afghanistan wird von allen Seiten umworben: vom kommunistischen oder demokratischen Lager bis hin zu den Islamisten. Und Apps, Facebook oder Twitter werden dort sehr stark genutzt, auch in den lokalen Sprachen.
Was ist das Neue an der App?
Dass die Taliban sie im Google-Playstore untergebracht hatten. Gruppen wie Al-Qaida oder Daesh (arabische Abkürzung für den Islamischen Staat, IS, Anm. d. Red.) versuchen immer wieder, sich auf solchen Seiten zu positionieren – und werden immer wieder gelöscht. Das heißt, man muss dauernd gucken, wo diese Islamisten gerade unterwegs sind.
Auch die Taliban-App ist jetzt wieder aus dem Google-Store verschwunden. Laut dem Sprecher der Gruppe, Zabihullah Mujahed, liegt das an technischen Problemen. Wie schätzen Sie das ein?
Ich tippe, dass Google rechtliche Probleme bei der Nutzung gesehen und die App den Richtlinien nicht entsprochen hat. Vielleicht gab es auch Druck aus den USA. Diese Dinge spielen vermutlich eine weitaus größere Rolle als nur technische Probleme.
Conrad Schetter ist Wissenschaftlicher Direktor des Friedensforschungsinstituts BICC in Bonn.
Der IS ist deutlich sichtbarer in den sozialen Medien als die Taliban. Warum?
Auf der einen Seite haben seine Gewaltvideos viel Aufmerksamkeit erzeugt. Damit hat der IS eine neue Dimension erreicht, die sich in Taliban-Videos so nicht findet. Auf der anderen Seite ist die Ausrichtung eine ganz andere. Der IS zielt viel stärker als die Taliban auf Menschen hier in der westlichen Welt ab.
Können die Taliban in diesem Bereich mit dem IS konkurrieren?
Eher weniger. Die Taliban werden oft als etwas hinterwäldlerischer wahrgenommen. Sie behandeln weitaus mehr lokale, allenfalls nationale Themen. Gerade deshalb ist es interessant, dass sie mit der App diesen Schritt machen. Die Taliban wollen zeigen: Wir können auch mit modernen Technologien umgehen.
Die Webseite der Taliban gibt es in sechs verschiedenen Sprachen, außerdem nutzen sie seit neustem auch zusätzliche Netzwerke wie den Nachrichtenkanal Telegram. Lässt sich darin eine neue, klare Medienstrategie erkennen?
Die Taliban haben schon seit etwa 2003 ihr eigenes Hollywood, also eine eigene Abteilung, die sich vor allem mit Videos beschäftigt. Das spricht für eine durchaus differenzierte Medienstrategie. Auch an der Pressestelle der Taliban sieht man das. Da gibt es ein ganzes Heer von Sprechern. Wenn man dort anruft, hat man selten die gleiche Person an der Strippe.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzen die Taliban bei ihren Videos?
Es geht stark um die eigene Legitimierung. Es gibt beispielsweise ein Video, in denen man sieht, wie ein Anschlag auf einen amerikanischen Panzer geplant wird. Dann geht eine junge Frau vorbei und die Taliban stoppen den Angriff sofort. Damit wollen sie ausdrücken: Wir nehmen auf die Bevölkerung Rücksicht. Mit anderen Videos wollen sie zeigen, wie paradiesisch das Leben in den Ausbildungs-Camps ist. Darauf sieht man viele Familien und sogar Kinder beim Sackhüpfen.
Haben Sie sich die Taliban-App eigentlich angeschaut?
Nein, da war ich nicht schnell genug. Grundsätzlich konnte sie aber jeder herunterladen. Es bleibt interessant, wie und wo die Taliban und andere Gruppen künftig ihre Apps positionieren werden. Und auch, inwiefern die Stores in zehn Jahren in der Lage sind, den Überblick über alle angebotenen Apps zu behalten. Das könnte ein Problem werden.
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