Friede, Freude, Unimedizin

Alle loben das Gutachten zur Hochschulmedizin: Universitäten, Kassen, Opposition. Selbst die Charité, der der Standort Wedding verloren zu gehen droht, will doch keinen Protest mobilisieren

von SABINE AM ORDE

So viel Einigkeit war selten – besonders wenn es um die Berliner Hochschulmedizin geht. Unipräsidenten und ihre Klinikumsleiter, die Krankenkassen, Oppositionspolitiker, Wissenschafts- und Wirtschaftsvertreter, sie alle loben das am Montag vorgestellte Gutachten der „Expertenkommission zur Strukturreform der Berliner Hochschulmedizin“ und beteuern, sich konstruktiv an der Umsetzung zu beteiligen.

Das gilt auch für die Charité, der langfristig der Standort Rudolf-Virchow-Klinikum (RVK) in Wedding verloren zu gehen droht. Dagegen wolle man mit allen Mitteln vorgehen, war im Vorfeld der Präsentation des Gutachtens noch aus der Traditionsklinik zu hören. Gestern war davon nicht mehr die Rede. Keine Transparente und Unterschriftenlisten am RVK, keine donnernden Reden des Klinikumsvorstands, der zum Pressegespräch geladen hatte. „Wir gehen für die nächsten Planungen davon aus, dass alle drei Standorte der Hochschulmedizin erhalten bleiben“, sagte Manfred Dietel, der ärztliche Direktor der Charité. Dekan Joachim Dudenhausen ergänzte: „Wir interpretieren das Gutachten so, dass sich das langfristig erledigen kann.“

Ansonsten beteuerten die Herren, die Grundannahmen des Gutachtens zu akzeptieren – also die Fusion der medizinischen Fakultäten und ihrer Unikliniken zu einem rechtlich selbstständigen Zentrum Universitäre Medizin Berlin (ZUMB). Nur wäre es doch sinnvoller gewesen, die Fakultät nicht interuniversitär anzulegen, sondern sie an der Humboldt-Uni anzubinden, betonte HU-Präsident Jürgen Mlynek. Schließlich sei seine Universität die größere und traditionsreichere. Diese Größenverhältnisse müssten sich auch bei Einrichtung der neuen Leitungsgremien widerspiegeln, forderte Mlynek, die möglichst bis Jahresende gebildet werden sollten.

Für eine schnelle Einrichtung des neuen Leitungsteams sprachen sich auch die Führung der Freien Universität aus, die sich von dem Gutachten in ihrer Leistung bestätigt sieht. Schließlich wird damit die Schließung des FU-Uniklinikums Benjamin Franklin (UKBF) verhindert. „Das wird eine nicht ganz einfache Aufgabe, aber wir werden uns unverzüglich an die Arbeit machen“, sagte FU-Präsident Peter Gaehtgens. Die Einsparsumme von 98 Millionen Euro pro Jahr von 2010 an, so UKBF-Verwaltungsdirektor Peter Zschernack, bedeute den Abbau von insgesamt 2.500 Stellen sowie eine Reduktion der Sachkosten der Klinika um 20 Millionen Euro. Der Abbau solle vor allem über Fluktuation und Abfindungen erfolgen. „Das können wir in acht Jahren ohne betriebsbedingte Kündigungen schaffen.“

Nach Ansicht der Initiative „an-morgen-denken“ – ein Zusammenschluss von Vertretern aus Berlins Wirtschaft und Wissenschaft – hat die Kommission es verstanden, gestalterisch zu wirken und den Auftrag, den die Hochschulmedizin in Lehre, Forschung und Krankenversorgung hat, ausgewogen zu berücksichtigen. Auch die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände unterstützte den Kurs der Expertenkommission und signalisierte ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit.

Ähnlich äußerten sich die Oppositionspolitiker. Die CDU-Fraktion werde sich auf der Grundlage des Gutachtens für den langfristigen Erhalt der Standorte der Hochschulmedizin in Berlin einsetzen, sagte Fraktionschef Frank Steffel. Auch nach Ansicht der Grünen können laut Gutachten alle drei Standorte der Hochschulmedizin erhalten und dennoch 98 Millionen Euro eingespart werden. Die hochschulpolitische Sprecherin Lisa Paus forderte langfristige Planungssicherheit für die neue Fakultät. Und der wissenschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Erik Schmidt, verlangte, die vorgeschlagene Schließung des RVK wegen der damit verbundenen Rückzahlung an den Bund und der bereits umgesetzten Fusion mit der Charité genau zu prüfen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) hatten bereits am Montag angekündigt, das Gutachten in seinen Grundzügen schnell umsetzen zu wollen.