Fridays-for-Future-Theater: Die heilige Greta von Celle
Protest und Pubertät: Um Greta Thunberg selbst geht es im Jugendtheaterstück „Greta“ des Celler Schlosstheaters nur am Rande.
Wenn die Jugendsparte des Schlosstheaters derart in diesen hitzigen Zeiten einen Text mit der Überschrift „Greta“ zur Uraufführung bringt, ist nicht mit einem Abend über Frühlingserwachen und die Hals über Kopf verdrehte Wirklichkeit der ersten Liebe zur rechnen.
Daniel Ratthei aber, Autor des Stückes, ist offenbar fest davon überzeugt, ohne den herzpochenden Alltag der pubertierenden Klientel ab zwölf Jahren seien weder die menschengemachten Klimawandel-Fakten und -Prognosen zu dramatisieren noch die Erkenntnis, wie stark gesellschaftliche Handlungsweisen hinter dem kollektiven Bewusstseinszustand zurückbleiben.
Während der Autor seine Version des Stücks am Cottbuser Piccolo-Theater selbst inszenierte, kümmert sich Daniela Urban in Celle um Ausstattung und Regie. Sie animiert ein Darstellerduo, viel Aufführungszeit mit verzückten Blicken, rotzfrechem Anbaggern, einem Entkleidungsspiel, turbulentem Ineinanderverknoten und eifersüchtigem Schmollen zu verbringen. Andererseits ergibt das auch Sinn, ist die sexuelle, soziale und politische Selbstfindung doch miteinander verknüpft.
Feuerwerk im Körper
Was im Stück aber nicht deutlich wird: Es verhandelt das hormonelle Feuerwerk in 16-jährigen Körpern und irritiert, da der Stücktitel die strenge, ernste, tugendhafte Greta Thunberg assoziieren lässt, die mit der kindlichen Unschuld des heiligen Zorns einer Jeanne d’Arc gerade den rat- oder tatenlos politisch Mächtigen und den bewusst die Welt ruinierenden ökonomisch Mächtigen die Leviten liest – dabei polarisiert, mit dem Hinweis auf ihren Asperger-Autismus pathologisiert wird, aber eben anschlussfähig ist für eine idealistische Jugend. Tolles Theatersujet eigentlich.
Aber auch um Greta herself geht es gar nicht. Sondern um Annegret. Zora Fröhlich verwandelt sich keck in diesen Teenager und gibt ein irgendwie verpeiltes Mädchen in angestrengt unkonventionellem Textil-Design. Trotzig geht sie ihren ersten Empowerment-Tag an und schwänzt die Schule für eine Klimaschutzkundgebung. Mit Acrylfarbe hat sie auf Pappe ihr Statement gemalt und steht damit im Bus: „So allein mit einem Demoschild unter knurrigen Erwachsenen fühlt man sich nackt.“
Vorm Rathaus angekommen, tut Großschwätzer Hannes, Organisator von „Fridays for Future“ (FFF), ganz wichtig: „Wir ficken auf eure Gier! Wir ficken auf eure Bequemlichkeit! Wir ficken auf eure Beschimpfungen! Ich lerne hier jeden Freitag mehr über das Leben als beim Ethikunterricht in der Schule! Wir fordern jetzt den Kohleausstieg!“
Darüber könnte man nun ins Gespräch kommen, schließlich gilt es, Menschen vor sich selbst zu retten. Annegret aber denkt an anderes. „Sein Mundwinkel zuckt schelmisch. Er sieht gut aus.“ Ist aber auch übergriffig: Holt er sie doch unabgesprochen als Rednerin auf die Bühne und kündigt sie als Celler Greta an, was ihr schmeichelt.
Aber es überfordert sie auch und macht sie zum Objekt von Hasskommentaren. Immer wieder teilt sie dem Publikum ihre Gedanken mit und malt die Szenerie mit Worten aus. Dabei dialogisiert sie ab und an auch mit den von Tomás Heise so präsent wie präzise gespielten Klischeefiguren.
Pubertätswohlfühltheater
Eben gab der noch mit Hannes Mackerattitüde einen Kuss auf Gretas Wange, schon klappt er sein Kinn herunter, reißt die Augen auf, platziert eine Blödmannbrille davor und gibt einen Sportlehrer in breitmaulfroschiger Diktion. Macht damit allerdings auch dessen Einwände gegen FFF lächerlich.
Ernst zu nehmend diskursiv wird „Greta“ selten, meist einfach Hannes und Annegret zugestimmt. Theater als FFF-Fanprojekt. Immerhin verhandelt es private Konsumentscheidungen. Was jeder Einzelne gegen die Erderwärmung tun kann, das könnte natürlich ein Super-Erkenntnis-Mehrwert sein, klar, aber Annegret von jetzt auf gleich zur Veganerin, Autohasserin, Plastik-Phobikerin mutieren zu lassen, die ihre Ferien-Flugreise absagt, was der Vater alles vorbildlich unterstützt und den fiesen Sportlehrer konvertieren lässt, das ist dann schon ein wenig plump als theatrale Behauptung.
„Greta“: So, 15. 12., 18 Uhr, Celle, Schlosstheater. Weitere Termine: 30. 12., 10. 1., 8. 2.
Annegrets Supermarktbummel, Entdecken des Unverpacktladens und Besuch eines Einwegbechercafés geraten zudem arg pädagogisch. Immerhin gibt es eine Pointe beim Stichwort Kondom – „so viel Plastikmüll für fünf Minuten Spaß“ – und eine Mini-Sottise gegen den schlagerblöd lärmenden Weihnachtsmarkt vorm Theater: „Der riesige Müllberg, der allein auf unserem Marktplatz entsteht, heute, hier, in wenigen Stunden, steht in keinem Verhältnis zur lächerlichen Ansammlung ignoranter, alkoholisierter, verfetteter, herzinfarktgefährdeter, vergifteter Humanoiden.“
Solche Spitzen machen Spaß. Aber gerade die politischen Aspekte des Klimawandels bekommt der Autor nie in den Fokus. Findet auch keine dramatische Form für das Thema. So ist vor allem Pubertätswohlfühltheater zu erleben. Dabei ungenutztes Material für eine Auseinandersetzung sammelt Annegret für ihre Schlusspredigt, findet wie Greta Superstar dafür eine Haltung frei von Selbstzweifel, aber nicht zur radikal klaren Rhetorik ihres Vorbilds, sondern schüttet die Anmerkungen unfassbar kompakt und unsortiert übers Publikum aus. Eine verschenkte Chance. Nächster Versuch zum Thema im Norden: Nico Dietrichs und Christian Vilmars Uraufführung des Rechercheprojekts „fridays. future.“ am 7. Februar 2020 am Jungen Theater Göttingen.
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