Fremd sein und Diversität: Wer solche Freunde hat…
Die Rede ist von „wir“ und „ihr“. Unser Kolumnist hat da eine Bitte: Schaut besser hin! Nicht paternalistisch, nicht von außen. Kommt rein in „unsere“ Welt!
D ies ist meine letzte Kolumne vor dem Start der Landtagswahlen in Ostdeutschland. Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen abgestimmt, am 22. in Brandenburg. Dann wird sich zum ersten Mal zeigen, wie mehrheitsfähig die AfD inzwischen ist, jenseits der kommunalen Ebene.
Über ein halbes Jahr nach der Correctiv-Recherche zum neurechten Treffen in Potsdam und den anschließenden Massendemos ist es verhältnismäßig still geworden – einerseits. Dafür geht es in meiner Medien-Bubble ganz schön laut zu. So äußert das Branchenportal Übermedien gerade berechtigte Kritik an der weiterhin wichtigen Recherche, mancher Correctivler reagiert darauf ziemlich unsouverän.
Dieses und ähnliche Themen werden in meinem beruflichen wie privaten (deutsch-deutschen) Umfeld rege diskutiert. Weitgehend auf der Strecke bleiben mal wieder diejenigen, um die es damals im „Landhaus Adlon“ ging: Menschen jenseits des Klischees vom christlich-weißen Protodeutschen.
Eine beträchtliche Anzahl weißer Deutscher reagiert erschrocken, wenn sie erfährt, wie viele Menschen allein ich kenne, die inzwischen ganz konkrete Auswanderungsgedanken hegen. Ich spreche von Leuten, für die ich oft die einzige nichteuropäische, „irgendwie muslimische“ Referenz in ihrem Freundeskreis bin und doch fremd bleibe.
Sie sind erschüttert, Sätze zu hören, in denen klar von „wir“ und „ihr“ die Rede ist. Denn während „unser“ Leben seit Jahren zunehmend vom Rechtsruck betroffen ist, verliert „Ihr Euch“ immer noch in denselben Autosuggestionen: „Ein Drittel ist halt rechtsextrem, war schon immer so, was soll’s?“ – „Früher haben die halt die Union gewählt.“ – „Das geht schon wieder vorbei.“
Tja, das Ding ist nur, dieses Potenzial von 30 Prozent wirkt durch eine AfD in Parlamenten, womöglich bald in Regierungen, fataler, als es Rechtsextremen in vergangenen Jahrzehnten gelungen war.
Sicher, es gibt viele Deutsch-Deutsche, denen das bewusst ist und die selbst Ziel rechten Hasses sind. Mir geht es aber besonders um Multiplikatoren mit Wirkungsmacht, deren Umgang damit immer noch zu behäbig ist. Die aus Hamburg stammende Tagesspiegel-Autorin Ariane Bemmer brachte das während der EM in einem bemerkenswert offenen Text auf den Punkt. Anlass war die Debatte über die Diversität des deutschen Teams.
Bemmer problematisiert ihren eigenen pur weißen Alltag und ahnt zugleich, „dass sich bei mir nicht mehr viel ändern wird. Beruf, Freunde, Hobbys werden bleiben, das hat ja alles einen Grund, und damit ist viel Zeit belegt. Ich werde vermutlich vor allem warten, ob sich von allein etwas Neues auftut, ob neue Leute dazukommen […], und dann bewusster offener schauen, ob sich etwas jenseits des Üblichen ergeben könnte.“
Warum so passiv? Längst gewähren Literatur, Film und Musik tiefe Einblicke in „unsere“ Lebenszusammenhänge und Gefühlswelten. „Uns“ gibt es an jeder Straßenecke, in Vereinen, in Nachbarschaften, in Cafés und auf Konzerten.
Menschenhass lässt sich nicht umfänglich erkennen und wirkungsvoll begegnen, solange „diese Leute“ auf „uns“ und „unser Leben“ blicken, wie sie einen Essay im Feuilleton bestenfalls interessiert lesen, aber dann schon wieder weiterblättern.
Meine Bitte: Schaut besser hin! Nicht paternalistisch, nicht wie Zoobesucher von außen. Kommt rein in „unsere“ Welt, nehmt teil! Frei nach dem Soziologen Aladin El-Mafaalani: Niemand muss sich dafür rechtfertigen, dass er weiß-homogen lebt – nur, wenn er nichts daran ändert.
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