Freiwilligendienst "weltwärts": Gut fürs eigene Ego, sonst nichts
Oft werden Einsatzstellen nicht sorgfältig ausgesucht, manchmal werden lokale Arbeitskräfte ersetzt. Beim Freiwilligendienst "weltwärts" gibt es erhebliche Mängel.
BERLIN taz | Es ist eine Mischung aus Weltverbesserung, Lernen und Abenteuer: Mit dem "weltwärts"-Programm schickt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) junge Leute als freiwillige Helfer in Entwicklungsländer.
Das Programm ließ das Ministerium nun evaluieren. Dabei zeigte sich: Vieles läuft nicht so, wie es sollte. "Die Umsetzung des weltwärts-Programms entspricht nur zum Teil den Vorgaben", heißt es im unveröffentlichten Evaluierungsbericht, der der taz vorliegt.
Menschen zwischen 18 und 28 Jahren können sich für "weltwärts" bewerben. Partnerorganisationen vermitteln sie ins Ausland, die Kosten für Kost, Logis und Reise werden weitgehend übernommen. Seit 2008 sind über 100 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln in das Programm geflossen.
Zwar sehen die Prüfer positive Effekte des Dienstes, vor allem was die persönliche Entwicklung der jungen Erwachsenen angeht. Auch die Partnerprojekte, in denen die Freiwilligen eingesetzt sind, profitierten vom Austausch. Einen einheitlichen hohen Qualitätsstandard kann das BMZ aber der Evaluierung zufolge nicht sicherstellen.
Bei manchen der vom BMZ geförderten Organisationen laufe alles ganz hervorragend, anderswo werden "erhebliche Mängel" bei der pädagogischen Begleitung ausgemacht. Eine fachliche Anleitung an der Arbeitsstelle gebe es in der Mehrheit der Fälle nicht.
"Sehr hohe soziale und bildungsaffine Herkunft"
Oft werden offenbar die Einsatzstellen nicht sorgfältig genug ausgesucht. Ein Viertel der Teilnehmer hält die eigene Stelle als "gar nicht oder kaum für einen Freiwilligen geeignet". Knapp die Hälfte gibt an, "sich ihre Arbeit selbst suchen zu müssen". Ein Drittel der Partnerorganisationen in den Entwicklungsländern hat Probleme damit, überhaupt passende Arbeit für die jungen Deutschen zu finden.
Das Ministerium muss sich nun fragen, ob es daran festhalten möchte, mittelfristig die Zahl der Freiwilligen pro Jahr von derzeit rund 3500 auf 10.000 zu erhöhen. Eine Ministeriumssprecherin konnte am Sonntag zum Bericht keine Stellungnahme abgeben.
Manche der deutschen Entsendeorganisationen, die vom BMZ gefördert werden, nehmen es mit den rechtlichen Vorgaben offenbar nicht so genau. Auch wenn notwendige Visa und Arbeitsgenehmigungen fehlen, werden die jungen Erwachsenen in Entwicklungsländer geschickt. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Freiwillige in einigen Fällen lokale Arbeitskräfte ersetzen. Das gelte insbesondere für den Einsatz an Schulen.
Als das BMZ im Jahr 2007 den Dienst ins Leben rief, formulierte es als wichtiges Ziel: Es sollten vermehrt diejenigen teilnehmen, die bisher eher nicht vertreten waren, sozial Schwache und Jugendliche ohne Abitur. Das Ziel wurde gründlich verfehlt. Nahezu alle Teilnehmer haben eine "sehr hohe soziale und bildungsaffine Herkunft", heißt es im Bericht. 97 Prozent haben die Hochschulreife.
Die Prüfer bemängeln, dass das "weltwärts"-Programm nicht mit den anderen staatlich geförderten internationalen Freiwilligendiensten abgestimmt ist, insbesondere zum "Internationalen Jugendfreiwilligendienst" des Familienministeriums bestünden Doppelstrukturen. Das entwicklungspolitische Profil des BMZ-Dienstes sollte gestärkt werden, so die Empfehlung.
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