Freisprüche im Cap-Anamur-Prozess: Ein Zeichen für Menschlichkeit
Ein italienisches Gericht spricht die Verantwortlichen der Cap Anamur vom Vorwurf der Schlepperei frei. Der war konstruiert – doch darum ging es auch gar nicht.
ROM taz | Mit einem Freispruch für Elias Bierdel und Stefan Schmidt endete am Mittwoch der Prozess um die Rettungsaktion des Schiffs "Cap Anamur", die sich vor fünf Jahren vor Sizilien zugetragen hatte. Bierdel und Schmidt waren vor dem Gericht im südsizilianischen Agrigent der Beihilfe zur illegalen Einwanderung in einem besonders schweren Fall, sprich der Schlepperei, angeklagt, weil sie im Sommer 2004 mit dem Schiff "Cap Anamur" im Mittelmeer 37 Bootsflüchtlinge geborgen und schließlich im sizilianischen Hafen Porto Empedocle an Land gebracht hatten.
Die wochenlange Auseinandersetzung zwischen der Regierung in Rom und der Hilfsorganisation Cap Anamur hatte seinerzeit die italienische Öffentlichkeit ebenso in Atem gehalten wie die deutsche. Die "Cap Anamur" unter ihrem Kapitän Stefan Schmidt hatte im Juni 2004 37 Afrikaner, die nach eigenem Bekunden aus dem Sudan stammten, in der Straße von Sizilien aus Seenot gerettet und an Bord genommen. Als das Schiff dann aber Kurs auf Lampedusa nahm, behauptete die italienische Regierung unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi, die Rettungsaktion sei in maltesischen Gewässern erfolgt - eine Behauptung, die von Schmidt später auch im Prozess vehement bestritten wurde.
Nach der Weigerung der Behörden, das Schiff in einen italienischen Hafen einlaufen zu lassen, steuerte die "Cap Anamur" den sizilianischen Hafen Porto Empedocle an, vor dem sie tagelang vor Anker lag. Elias Bierdel, der mittlerweile an Bord gekommene Chef der gleichnamigen humanitären Organisation, erklärte schließlich, die Situation an Bord sei für die Flüchtlinge unerträglich geworden, und er werde auch ohne Genehmigung den Hafen ansteuern. Erst in diesem Moment lenkte die italienische Regierung scheinbar ein und genehmigte die Einfahrt nach Porto Empedocle.
Doch kaum hatte das Schiff am Kai festgemacht, wurden Bierdel, Schmidt und der Erste Offizier Vladimir Daschkewitsch verhaftet. Auch die 37 Flüchtlinge wurden in Abschiebehaft genommen. Bis auf einen wurden die Afrikaner wenige Tage später nach Ghana ausgeflogen.
Die drei "Cap Anamur"-Männer dagegen sahen sich von der Staatsanwaltschaft Agrigent als Schleuser angeklagt, während das Schiff beschlagnahmt und erst sieben Monate später gegen eine Millionenkaution freigegeben wurde. In seinem Plädoyer zum Abschluss des Prozesses forderte der Staatsanwalt nun vier Jahre Haft für Bierdel und Schmidt sowie je 400.000 Euro Geldstrafe; gegen Daschkewitsch dagegen war das Verfahren zuvor bereits eingestellt worden.
Die Staatsanwaltschaft bewegte sich damit auf der Linie der damaligen Regierung in Rom, die im Wesentlichen identisch ist mit der heutigen und die den Fall Cap Anamur zum Exempel in der von der Rechten angestrebten Wende der Flüchtlingspolitik machte: Der Fluchtweg von Libyen nach Lampedusa sollte als Zeichen neuer Härte blockiert werden.
Dieses Exempel war juristisch jedoch nur um den Preis einer gewagten Rechtskonstruktion zu haben. Nach italienischem Recht sind Schleuser nur die, die einen finanziellen Vorteil aus ihrer Aktion ziehen. Und so arbeitete sich die Staatsanwaltschaft an dem "Nachweis" ab, Bierdel und Schmidt sei es trotz der ihnen zugebilligten humanitären Motive auch um Profit für ihre Hilfsorganisation gegangen.
Das Gericht ist dieser Konstruktion nicht gefolgt und hat auf Freispruch erkannt - ungeachtet dessen, dass keine Begründung vorliegt und das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
Doch jene Wende in der Flüchtlingspolitik, die im Jahr 2004 demonstrativ zum Leidwesen der "Cap Anamur" und ihrer Flüchtlinge inszeniert wurde, ist mittlerweile durchgesetzt. Mit dem Abkommen vom August 2008 ließ Libyen sich zum Erfüllungsgehilfen der italienischen Flüchtlingsabwehrpolitik gewinnen und fängt selber mit von Italien gestellten Booten Flüchtlinge ab. Die boat people dagegen, die von italienischen Schiffen aufgegriffen werden, werden umgehend nach Libyen zurückgeschafft. Während im Jahr 2007 noch 30.000 Menschen die Überfahrt nach Lampedusa gelang, waren es im Jahr 2009 bisher nicht einmal 2.000.
Die Flüchtlingspolitik, die 2004 zum Leidwesen der "Cap Anamur" inszeniert wurde, ist nun durchgesetzt
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