Freispruch nach Tierschutz-Skandal: Abwesenheit schützt vor Strafe

In Niedersachsen wurden zwei Tierärzte freigesprochen. Sie waren zur Anlieferung von Schlachthoftieren, die gequält wurden, nicht vor Ort.

Tierschützer demonstrieren gegen Tierqual, ein Polizist steht davor

Vor dem Amtsgericht Bad Iburg: Protest gegen Tierquälerei Foto: Friso Gentsch/dpa

OSNABRÜCK taz | Das Ende des Prozesses kam am Mittwoch doppelt überraschend: Dem vierten Verhandlungstag sollte eigentlich noch ein fünfter mit weiteren Zeugenvernehmungen folgen. Doch am Amtsgericht Bad Iburg blieb Richter Edmund Jahner am Mittwoch nichts anderes übrig, als den Prozess zu beenden und Herbert E. und Eva S. kurzerhand freizusprechen.

Den beiden amtlichen Tierärzten war vorgeworfen worden, Rindern durch – teils vorsätzliches – Unterlassen, länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt und bei der Verwertung bereits tot angelieferter Tiere Beihilfe zu Verstößen gegen die Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung geleistet zu haben.

Nachdem Undercover-Videomaterial der Münchner Tierrechtsorganisation „Soko Tierschutz“ den Horror ans Licht gebracht hatte, der sich im Bad Iburger Rinderschlachthof Temme abgespielt hatte, waren sie 2018 vom Landkreis Osnabrück ihrer Tätigkeit enthoben worden; der Schlachthof wurde stillgelegt.

Herbert E. und Eva S. waren für die Lebend- wie die Fleischbeschau zuständig – freiberuflich. Und bei beiden traten im Prozess Pflichtverletzungen zutage, die ihnen jetzt halfen: Beide machten geltend, sie seien bei der Anlieferung der Tiere oft gar nicht anwesend gewesen.

Tierschützer halten das Urteil für eine Katastrophe

Den Angeklagten habe nicht nachgewiesen werden können, dass sie in den angeklagten Fällen Kenntnis „von der tierschutzrechtswidrigen Abladepraxis“ hatten „oder diese zumindest geahnt, gleichwohl aber billigend in Kauf genommen haben“, sagt Susanne Kirchhoff, Direktorin des Amtsgerichts Bad Iburg. Festgestellt werden konnte nur, so das Gericht in der mündlichen Urteilsbegründung, dass sie „bei ordnungsgemäßer Erbringung ihrer geschuldeten Arbeit“ diese Abladepraxis hätten verhindern können.

„Das Urteil ist eine Katastrophe“, sagt Friedrich Mülln, Leiter der Soko Tierschutz. „Es legt massive Schwachstellen in der Gesetzgebung und Fleischüberwachung offen.“ Seit dem Freispruch wisse jeder amtliche Tierarzt, „dass er seinen Job im Schlachthof einfach nur nicht ausüben muss, um selbst aus dem schlimmsten Tierschutz- und Hygiene-Desaster heil herauszukommen“.

Mülln empört das. „Die Devise ‚Nichts hören, nichts sehen, nichts aufschreiben und am besten nicht da sein‘ schützt offenbar vor Strafverfolgung.“ Da die Justiz nicht in der Lage sei, „skrupellose Tierärzte zu stoppen, die selbst einen angelieferten Kadaver als wohlauf bescheinigen“, sei nun die Politik gefragt. „Es ist traurig, dass wir Tierschützer mit versteckten Kameras offenbar die letzte Brandmauer gegen die Fleischmafia und unfähige Behörden darstellen.“

Dem Veterinäramt des Landkreises Osnabrück macht Mülln schwere Vorwürfe. Die Verantwortlichen dort dürften „nicht in Amt und Würden bleiben“, schließlich habe sich hier „der größte Fleisch- und Tierschutzskandal der letzten Jahrzehnte“ ereignet.

Ministerin will Staatsanwaltschaften evaluieren

Bernhard Lucks, Oberstaatsanwalt bei der niedersächsischen Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Landwirtschaftsstrafsachen in Oldenburg, hatte den Freispruch am Ende selbst gefordert. Mülln sieht Lucks als „Skandalstaatsanwalt“. Sein Auftritt im Prozess habe von dem Versuch gezeugt, „das lästige öffentliche Verfahren schnell los zu werden“.

„In Fällen krimineller Energie kommt es insbesondere auf eine konsequente Strafverfolgung an“, sagt Niedersachsens Landwirtschaftsministerin ­Miriam Staudte (Grüne) der taz. „Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wollen wir die Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Niedersachsen evaluieren. Wir sind dazu bereits im Austausch mit dem Justizministerium.“

Das Ministerium habe das Bad Iburger Verfahren verfolgt, ergänzt Andrea Zaldivar Maestro, Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums, „um zu schauen, inwiefern über bereits in Niedersachsen eingeleitete Maßnahmen hinaus weitere Konsequenzen für die künftige Aufsicht in Schlachthöfen abgeleitet werden können“.

Nach Bekanntwerden der Missstände bei Temme seien das Schulungssystem für amtliche Tier­ärz­t:in­nen an Schlachthöfen intensiviert und risikoorientierte Schwerpunktkontrollen durchgeführt worden. „Politisch ist wichtig zu prüfen, wo gegebenenfalls Lücken im Tierschutzrecht dazu führen, dass Sanktionen unterbleiben“, sagt Staudte.

In Schlachthöfen sei die Begutachtung der lebenden Tiere durch amtliche Tier­ärz­t:in­nen verpflichtend, bestätigt das Ministerium. „Kranke Tiere dürfen nicht geschlachtet und verarbeitet werden“, sagt Maestro. Dass diese Untersuchung in Bad Iburg in nachgewiesenen Fällen nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde oder unterblieben sei, sei ein grober Verstoß gegen geltendes Recht. „Alle Ebenen müssen kritisch ihre Rolle bei diesem Systemversagen ­hinterfragen.“

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