Freispruch im Wiesenhof-Prozess: Nicht nur Puten bluten
Im Prozess um die illegale Beschäftigung von Leiharbeitern gibt es zwei Freisprüche – und eine saftige Rechnung für Wiesenhof-Tochter Geestland.
Das Gericht konnte keinen „groben Eigennutz“ erkennen – das hätte die Verjährungsfrist verlängert und schließlich doch noch zu einer Verurteilung geführt. Aber die Angeklagten haben sich, obwohl beide laut Gericht vorsätzlich und wissentlich gehandelt haben, eben nicht persönlich bereichert.
Doch auch wenn Frank D. und Norbert D. den Schwurgerichtssaal als freie Männer verlassen, müssen ihre Unternehmen zahlen: Eine seit dem 1. Juli 2017 geltende Gesetzesänderung macht es möglich, die aufgrund von illegalen Geschäften erzielten Werte einzuziehen, und zwar egal, ob die Taten verjährt sind. So muss nun die Geestland-Putenspezialitäten GmbH gut zehn Millionen Euro zahlen, die Personalvermittlungsfirma ZVS, die heute unter dem Namen Pro Work firmiert, immerhin noch gute 70.000 Euro.
Der Betrag ergibt sich so: Reguläre LeiharbeiterInnen erhielten bei Geestland im Tatzeitraum etwa zwölf Euro brutto pro Stunde, die bulgarischen ArbeiterInnen jedoch nur vier bis fünf. Da das Gericht aber zu dem Schluss gekommen ist, bei den BulgarInnen habe es sich eben nicht um WerkvertragsmitarbeiterInnen, sondern illegale LeiharbeiterInnen gehandelt, werden die von ihnen erbrachten Arbeitsstunden mit den zwölf Euro regulärem Stundenlohn multipliziert. Knapp 900.000 geleistete Arbeitsstunden mal zwölf macht zehn Millionen.
Dass das Geschäft mit den bulgarischen LeiharbeiterInnen illegal war, daran lässt das Gericht keinen Zweifel. Ein Werkvertrag sei nicht gelebt worden, sagte der Vorsitzende Richter Ralf Busch bei der Urteilsverkündung. Vielmehr seien die bulgarischen ArbeiterInnen gegenüber Geestland „umfassend weisungsgebunden“ gewesen, seien nach Stunden und nicht nach Kilogramm des bearbeiteten Fleisches bezahlt worden und hätten keine eigenen Produktionsstätten gehabt.
Deutliche Worte fand der Vorsitzende Richter auch zur Glaubwürdigkeit der als ZeugInnen geladenen und teilweise heute noch bei Geestland beschäftigten ArbeiterInnen: Diese waren, so stellte es sich während der mühsamen Beweisaufnahme heraus, zuvor durch die Rechtsanwälte von Norbert D. „befragt“ worden. Die Aussagen in der Hauptverhandlung wichen zum Teil erheblich von dem ab, was die ZeugInnen noch in ihrer ersten Vernehmung durch den Zoll im Jahr 2010 gesagt hatten.
„Die Zeugen wurden in den Räumlichkeiten der Geestland befragt, in der Hauptverhandlung saß ihnen ihr Arbeitgeber gegenüber“, sagte Busch. „Die Zeugen standen unter erheblichem Druck.“ Zudem hätten sie sich während der Verhandlung geziert zu sagen, ob sie zuvor befragt worden waren, und das teilweise „hart an der Grenze zur Falschaussage“.
Er betonte zwar, es gebe keine Hinweise auf eine unzulässige Beeinflussung der ZeugInnen durch die Rechtsanwälte. Der Richter sagte aber auch: „Die Zeugen sind auf die Punkte aufmerksam gemacht worden, die im Verfahren wichtig sind.“
Die Anwälte indessen geben nicht auf: Sie werden „auf jeden Fall in Revision gehen“, kündigte Rechtsanwalt Franz Anton Berding der taz an. Dann allerdings geht es nur noch um die Geestland GmbH und die ZVS – denn Norbert D. und Frank D. sind ja frei.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart