Freihandel zwischen EU und Kanada: Schon wieder Geheimnisse
Das Freihandelsabkommen CETA ist keineswegs zufriedenstellend gelöst. Gerade geht es um Kernfragen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Das Umweltinstitut München hat Klage beim EU-Gericht in Luxemburg eingereicht, um Zugang zu den Dokumenten zu bekommen. „Die EU-Kommission muss für ihre politischen Positionen in der Öffentlichkeit geradestehen. Die Verlagerung in geheime Ausschüsse verhindert eine öffentliche Debatte und schadet der Demokratie“, begründet Karl Bär, Referent beim Umweltinstitut.
Nach Angaben der EU-Kommission haben im Rahmen von CETA bereits 20 bilaterale Expertenrunden getagt. Dabei gab es auch Streit – etwa im Agrarkomitee, das am 19. September in Brüssel zusammentrat. Die Kanadier beschwerten sich über die Fleischquote der Europäer, die EU sorgt sich um freien Marktzugang für Milchproteine. Doch längst nicht alle Details wurden offengelegt, klagt das Umweltinstitut.
Viel Macht für die geheimen Verhandler
Besonders zugeknöpft gibt sich der „gemischte Verwaltungsausschuss für gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen“. Darunter fallen Grenzwerte für Rückstände in Lebensmitteln, die Zulassung von Pestiziden oder Maßnahmen für Tiergesundheit. Der Ausschuss ist hochkarätig besetzt und kann Änderungen an Teilen des Abkommens vornehmen.
Die Umweltexperten aus München forderten Akteneinsicht – und wurden nach einem monatelangen Briefwechsel abgewiesen. Sein „Nein“ zur Herausgabe der Dokumente begründete Martin Selmayr, der mächtige Generalsekretär der EU-Behörde, kurioserweise mit einem Urteil von 2010, bei dem es um die Firma Bavarian Lager ging – und um den Datenschutz.
Bei CETA gehe es weder um bayerisches Bier noch um persönliche Daten, wendet Bär ein. Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch, zu erfahren, wie das Abkommen in der Praxis umgesetzt wird – und was das für Umwelt und Gesundheit bedeutet. Auch der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold fordert mehr Transparenz. Internationale Verhandlungen müssten offengelegt werden, sagte er der taz.
Wer muss vor wem Angst haben?
Doch genau das will die EU-Kommission verhindern. Sie liefert auf ihrer Website nur Zusammenfassungen der nichtöffentlichen Gespräche, aber keine detaillierten Ergebnis-Protokolle. Nach eigener Darstellung fürchtet die Behörde, dass sie in der Öffentlichkeit fehlinterpretiert oder missbraucht würden.
„Diese Haltung ist vollkommen inakzeptabel“, widerspricht Bär. „Eine Demokratie kann nur mit einer informierten Öffentlichkeit funktionieren. Wenn der Inhalt der Dokumente so brisant ist, dass sie das Abkommen gefährden könnten, müssen sie erst recht öffentlich diskutiert werden.“
Das CETA-Abkommen war 2016 nach jahrelangem Streit unterzeichnet worden. Kritiker hatten der EU-Kommission mangelnde Transparenz vorgeworfen und gewarnt, dass durch die vereinbarte enge „regulatorische“ Zusammenarbeit eine geheime Parallel-Gesetzgebung entstehen könnte. Ob das Abkommen jemals vollständig in Kraft tritt, ist offen. Die Ratifizierung stockt, Italien stellt sich quer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid