Freie Radios in Sachsen: Mit neuem Etikett zu Fördermitteln

Bürgerradios in Sachsen freuen sich über steigende Reichweiten. Nun ist ein seltsamer Konkurrent aufgetaucht, der bislang Dudel-Kommerzradio war.

Blick über Dresden im Nebel, am Horizont der Fernsehturm

Ne ordendliche Dämse übbor dor Landeshauptstad Foto: Max Stein/imago

Im Sommer hatte die Radioinitiative Dresden, die unter dem Namen coloRadio ein Bürgerprogramm sendet, Grund zu feiern. Entstanden aus dem Aufbruchsgeist nach der sogenannten Wende in der DDR, ist man seit 30 Jahren auf UKW-Privatradiofrequenzen Gast. Zum Jubiläum ging es auch technisch voran. Seit diesem Jahr sendet man rund um die Uhr und mit 10 Kilowatt Leistung vom Dresdner Fernsehturm auf DAB+. „Wir haben nun eine viel größere Sendereichweite, sind bis Meißen, mit etwas Glück auch in Riesa zu empfangen“, freut sich Max Franke vom Vorstand des Vereins.

Mit der neuen Initiative „Radio Zett“ aus dem Zittauer Dreiländereck an der Neiße ist auch kein Konkurrent, sondern ein Kooperationspartner hinzugekommen. Das gemeinsame Programm ist ebenso vom Löbauer Fernsehturm in der Oberlausitz zu hören wie auf der neuen Digitalradiofrequenz, wobei Max Franke die herkömmliche UKW-Nutzung nicht aufgeben möchte. Das Buntradio will dabei nicht wie ein Leuchtturm aus der Landeshauptstadt erscheinen. „Guckt mal, wie links und alternativ wir in Dresden sind“, meint Franke selbstironisch. Mit Radio Zett produziert man schon gemeinsam, kleine Studios im Elbraum werden eingerichtet. Die Sendekosten von bislang 1.200 Euro im Monat steigen mit DAB+ zwar auf mehr als das Doppelte. Aber die übernimmt erfreulicherweise weiterhin die Sächsische Landesmedienanstalt SLM.

Den Abschied des Hauptsitzes aus dem meist überschätzten Dresdner Szenestadtteil Äußere Neustadt empfindet niemand als Verlust. Im seit 2016 mitgenutzten Pieschener Zentralwerk inspiriert der Austausch mit Künstlern, Computerleuten oder dort kreativ tätigen Menschen mit Behinderung.

Weniger Anlass zur Freude im ablaufenden Jahr bieten die Aussichten auf weitere Förderung und Entscheidungen der zuständigen Landesmedienanstalt. Sie gelten für die traditionellen drei sächsischen Bürgerradios in den Großstädten, also coloRadio in Dresden, Radio Blau in Leipzig und Radio T in Chemnitz sowie für das „Rundfunk-Kombinat“ als gemeinsames Projekt der Freien Radios in Sachsen.

Mehr oder weniger unterhaltend

Solche freien, ehrenamtlich von Bürgern getragenen Radioinitiativen fallen unter den Sammelbegriff Nichtkommerzieller Lokalfunk NKL. Wer sich so bezeichnen darf und damit förderwürdig ist, wird derzeit auch über Sachsen hinaus diskutiert. Denn mit Radio WSW im weit östlich gelegenen Weißwasser ist im selben Fördertopf ein seltsam mutierter Konkurrent aufgetaucht, der bis zum Vorjahr noch als übliches Dudel-Kommerzradio Hörer mehr oder weniger unterhielt. Die GmbH ist Teil der Sendergruppe des größten privaten sächsischen Lokalfernsehanbieters Sachsen-Fernsehen und wegen lukrativer Geschäfte mit der CDU nicht im besten Ruf stehend.

Neben der Übernahme der technischen Verbreitungskosten gewährt die Landesmedienanstalt den NKL eine Strukturförderung. Sie „dient der Stärkung von Strukturen und Aktivitäten vor Ort“ und umfasste im Haushaltsjahr 2023 eine Gesamtsumme von 221.000 Euro, 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Der für die operative Arbeit der Stationen entscheidende Anteil von 100.000 Euro aber ist seit 2017 nicht erhöht worden und bleibt auch weiterhin gedeckelt, wie den Radioinitiativen am 18. September mitgeteilt wurde. Die hatten sich bislang abgesprochen und den Topf gerecht geteilt. Mit der relativ bescheidenen Summe konnten sie jeweils einen Ehrenamtskoordinator zumindest in Teilzeit beschäftigten. Das Geld musste auch für Projekte, Workshops, ja sogar Studioausrüstung reichen.

Diese 100.000 Euro müssen nach einem Beschluss des Medienrates der Landesmedienanstalt vom 27. Juni nun durch vier geteilt werden. Von einer „abwegigen Entscheidung“ spricht das Rundfunkkombinat, der Bundesverband Freie Radios nannte sie „nicht akzeptabel“. Sie dürfte aber Schule machen. Mit der Idee, plötzlich auf Werbung zu verzichten und damit dem einzigen NKL-Förderkriterium der SLM zu genügen, erreichte Radio WSW eine Lizenzumwandlung.

„Hundert Prozent Lausitz und null Werbung“ ist in der Tat die einzige penetrante Eigenwerbung nach jedem Musiktitel, verbunden mit dem lauten Dank an die sächsische Landesmedienanstalt. Auf der Website bezeichnet sich Radio WSW zwar als „Gemeinschaftsprojekt“ und fordert dazu auf, sich mit Geschichten, Kulturbeiträgen oder Podcasts zu beteiligen. Zu hören aber ist nichts von einem selbst gestalteten Bürgerradio mit einem nennenswerten, über stündliche Kurznachrichten und gelegentliche Lokalmeldungen hinausgehenden, gar moderierten Programm.

Differierende Standpunkte

Der Konflikt verweist auf Definitionslücken in dem als dringend novellierungsbedürftig empfundenen Sächsischen Privatrundfunkgesetz. Das erreicht nach Meinung von Radiomachern und Experten nicht einmal den Stand einer EU-Entschließung von 2008 zu gemeinnützigen Bürger- und Alternativmedien. Im Kern geht es um die Frage, ob ein bloßer Werbeverzicht bei Beibehaltung aller sonstigen Merkmale eines Kommerzsenders schon für eine Deklaration als Nichtkommerzieller Lokalfunk ausreicht.

Eine solche Novelle hatte die sächsische Kenia-Koalition bei ihrem Antritt 2019 auch vertraglich vereinbart. Die soll kurz vor Ablauf der Legislatur im kommenden Januar nach einer Sachverständigenanhörung im Medienausschuss des Landtages doch noch kommen. Aber gerade hinsichtlich der NKL differieren die Standpunkte der Koalitionäre erheblich. Die grüne Kultur- und Medienpolitikerin Claudia Maicher kritisiert die SLM-Finanzierung von Radio WSW „aus Steuermitteln, die eigentlich dem Bürgerjournalismus zukommen sollten“. Das gefährde die Vielfalt der sächsischen Medienlandschaft.

Die CDU-Landtagsfraktion hingegen antwortet, dass es „aus unserer Sicht keiner weiteren grundsätzlichen Regelungen im Privatrundfunkgesetz bedarf“. Diese seien Sache der Legislative, also des gesetzgebenden Landtages, lehnt die SLM wieder um eine eigene Positionierung ab. Für Verwirrung sorgt ein Hinweis der CDU-Fraktion, dass noch ein Gesetzentwurf aus der Staatsregierung, also aus der zuständigen Staatskanzlei erwartet werde.

Beide Fraktionen verweisen aber auf einen zweifelsfrei begrüßenswerten Landtagsbeschluss zum laufenden Doppelhaushalt 2023/24. Pro Jahr stehen nun 2 Millionen Euro für die Förderung des Lokaljournalismus allgemein zur Verfügung. Davon in beiden Jahren zusammen für die NKL maximal immerhin 600.000 Euro. Damit sei die Finanzierung der sächsischen NKLs „so gut wie noch nie“, sagt SLM-Sprecherin Ines Herzog.

Wie viel davon bei den „echten“ Bürgerradios ankommt und wofür sie diese Haushaltsmittel einsetzen können, ist unklar. Denn die zusätzlichen Mittel sind an Projekte gebunden. Immerhin kann man bei coloRadio und dem Leipziger Radio Blau den Ehrenamtskoordinatoren, deren Einsatz wegen der Radio-WSW-bedingten Kürzungen weit heruntergefahren wurde, wieder ein paar Wochenstunden mehr einräumen. Im Dresdner Zentralwerk weist man darauf hin, dass aber die Sockelförderung aus dem 100.000-Euro-Topf entscheidend sei, nicht das „Sahnehäubchen“ der neuen Haushaltsmittel. Die SLM lasse außerdem erkennen, dass diese nur für die Erweiterung des Regionalprogramms verwendet werden dürften, nicht für Dresden.

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