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Frédéric Mitterands TV-GeständnisDer Sextourist im Ministeramt

Wie damals sein Onkel François hat jetzt Frédéric Mitterand die Grenzen in der französischen Fernsehwelt verschoben. Mit einem Interview über seine sexuellen Gepflogenheiten.

Allein auf weiter Flur? Geständiger Frédéric Mitterand. Bild: reuters

Dass Frédéric Mitterrand einfühlsam ist, wissen die Franzosen dank zahlreicher Kultursendungen, die er im Fernsehen moderiert hat, und dank seiner Bücher und Filme schon lange. Aber seit dem vergangenen Juni ist der 62-jährige Neffe des früheren sozialistischen Staatspräsidenten Kulturminister. Nicolas Sarkozy hat den Intellektuellen mit dem prominenten Namen im Rahmen seiner Öffnungspolitik engagiert. Er sollte die Künstler mit der rechten Regierungspolitik aussöhnen. Doch zunächst einmal spürt Mitterrand jetzt die Härte der politischen Grabenkämpfe. Als Regierungsmitglied bekommt alles, was der intellektuelle Flaneur Mitterrand tut - und getan hat - eine zusätzliche Dimension. Eine politische.

Das gilt nicht nur für sein 2005 geschriebenes intimistisches Buch "La mauvaise vie". Sondern auch für seinen Auftritt vor über 8 Millionen ZuschauerInnen zur besten Sendezeit im Privatfernsehen TF1. Es war das erste Mal, dass ein französischer Spitzenpolitiker an so prominenter Stelle und so ausführlich über seine (Homo-)Sexualität und über seine intimen Schwächen gesprochen hat. Das erste Mal auch, dass ein Spitzenpolitiker sich öffentlich dazu bekannte, Sextourist gewesen zu sein. Mitterrand sprach von "Fehlern", wies aber jede "Schuld" von sich. Er fügte hinzu, dass die "Jungen", mit denen er käuflichen Sex gehabt habe, immer in seinem eigenen Alter und immer auch zustimmend gewesen seien.

Mitterrand tat es, um seine Ehre zu verteidigen. Und um sein Festhalten an dem Amt als Kulturminister zu begründen: "Ich werde nicht die Unwürdigkeit zur Ungerechtigkeit hinzufügen." Sein Interview erinnerte an eines, das dereinst sein Onkel François gegeben hat. Vor 15 Jahren stellte sich der damalige Staatspräsident den Fragen über seine Jugend im Kollaborateursregime von Vichy und über seine fast zwei Amtszeiten lang verheimlichte Krankheit. Wie damals der Onkel hat jetzt der Neffe mit seinem Interview die Grenzen in der französischen Fernsehwelt verschoben. Er hat ein seltenes Stück Menschlichkeit gezeigt. Und er hat zugleich gesagt, was von ihm erwartet wurde: Er hat Sextourismus und Pädophilie kritisiert. Wie lange der Intellektuelle und bekennende Schwule im Amt bleiben kann, ist dennoch offen.

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4 Kommentare

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  • G
    Gallier

    Die zwei Söhne des ehemaligen Staatspräsidenten hatten/haben Probleme: Der Eine wegen seiner afrikanischen Skandale und Verfehlungen, der andere wegen seiner sexuellen Orientierung. Das würde auch nur mässig interessieren, was ja bislang der Fall war. Nur ist Letzterer zum Minister ernannt worden, was das Ganze in einem anderen Licht erscheinen lässt. Ich hoffe, der Mann hat genügend Anstand und demissioniert.

  • D
    doris

    Was soll das? Egal wer es ist, einer der Sextourismus betreibt hat keine Moral und schadet der Gesellschaft.

  • T
    thinkpunk

    Hmm?

    Was hat denn die Einfühlsamkeit eines Ministers mit politischen Grabenkämpfen und das wiederum mit einem "Ehrerrettungs"-Interview zu tun?

    "Intimistisches Buch" ist ein netter Begriff, entscheidend ist aber doch wohl die Frage, ob es ein Roman oder eine Autobiografie ist und was Mitterand darin dann tatsächlich gestanden hat. Was ist mit "intimen Schwächen" gemeint? Ich hoffe nicht, dass sich das auf Sextourismus bezieht. Kann es überhaupt sein, dass die "Jungen" gleichaltrig waren, ist er als Jugendlicher nach Thailand gereist?

    Es fehlen Links zum Interview, zum Transkript, zu irgendeinem Artikel, der das Gespräch faktisch wiedergibt.

    Offen ist dann auch vielmehr, wie lange der bekennende Sextourist Mitterand Minister bleibt. Wenn er gehen muss, hat das wohl weniger mit ihm als Intellektuellem oder Homosexuellen zu tun, sondern mit käuflichem Sex mit Jungen und der politischen Blödheit, entsprechendes veröffentlicht zu haben.

     

    Achja und als allerletzte Frage: Inwiefern hat das jetzt die Grenzen der französsichen Fernsehwelt verschoben? Treten da nie Politiker auf, um sich mit einem 'mea culpa' aus irgendeiner Chose rauszuwinden?

  • BH
    Bernhard H.

    Vielleicht können Frédéric Mitterand und Thilo Sarrazin bald eine neue europäische Partei der ehrlichen Sprache gründen? Bei der grassierenden Scheinheiligkeit und Sündenbockhetzerei wäre es dringend nötig!