„Punk heißt, soziale Verantwortung zu übernehmen“

Martina Weith hat 1979 Östro 430 mitgegründet. Die erste westdeutsche Frauen-Punkband ist wieder aktiv. Mit der taz spricht Weith über Pandemie-bedingte Zwangspausen, Ärger in der S-Bahn und lila Latzhosen

Östro 430 im Sommer 1979: Birgit Köster, Martina Weith und Bettina Flörchinger (v. l. n. r.) machen enormen Krach Foto: privat

Interview Desiree Fischbach

taz: Martina Weith, zur Veröffentlichung der Anthologie „Keine Krise kann mich schocken!“ Ihrer Band Östro 430 waren etliche Konzerte geplant, die aufgrund der Coronakrise leider erst mal ins Wasser fallen. Das ist hinsichtlich des Titels schon fast tragikomisch, oder?

Martina Weith:Na ja, wir haben die Zwangspause wenigstens genutzt, um neue Songs zu komponieren, und werden dieser Tage eine neue Single rausbringen. Sie heißt „Keine Krise 2020 Update“. Der Song handelt von umfassenden Krisen. Nicht konkret von Corona, eher ganz allgemein von Lebenskrisen.

Wie kam es überhaupt zur Wiederauferstehung von ­Östro 430?

Bei einem Punk-Veteranen-Treffen in Düsseldorf kamen wir, unsere Keyboarderin Bettina Flörchinger und ich, ins Gespräch und wurden gefragt, ob wir auf dem Abrisskonzert für das legendäre Zentrum JAB mit anderen Bands von damals spielen wollen. Unabhängig davon bin ich mit Gunther Buskies von Tapete in Kontakt gewesen, das ergab sich zufällig bei einem anderen Konzert. Bei seinem Label Tapete stehen auch die Fehlfarben unter Vertrag, alte Freunde von uns. Und so fügte sich eins zum anderen. Die Wiederveröffentlichung unserer beiden frühen, inzwischen sehr raren Alben zog sich endlos hin. Die Idee, diese erneut zu veröffentlichen, bestand seit 2016, aber damit waren zähe Verhandlungen um Copyrights verbunden.

Es spielt jetzt nicht die Originalbesetzung zusammen?

Nein, die anderen beiden Musikerinnen von Östro 430, Gisela Hottenroth und Birgit Köster, haben Bettina und ich zwar angequatscht, aber sie konnten aus verschiedenen Gründen nicht mit dabei sein. Dann hab ich mich in der Hamburger Szene umgehört. In Hamburg lebe ich schon viele Jahre und hier habe ich zwei großartige Musikerinnen gefunden: die Bassistin Anja Peterssen und die Drummerin Sandy Black.

Ist Östro 430 somit eine Hamburger Band geworden? Sind Sie anderweitig aktiv in der Punkszene?

In Hamburg habe ich schon vor etlichen Jahren unter anderem bei Prollhead gesungen, einer Ironic-Rockband, die in Sankt Pauli ihren Stomping-Ground hatte. Ich war auch Teil einer Elvis-Verarsche-Combo. Die üblichen Verdächtigen kamen mir automatisch vor die Flinte. Ich suchte da nicht nach. Vielleicht hätte ich schon eher nach Hamburg ziehen sollen. Hier ist das Leben vergleichsweise entspannt. In Düsseldorf hält mich dagegen gar nichts mehr, wenn ich unten bin.

Besteht noch Kontakt zu den anderen Frauen von Östro 430?

Na klar, wir treffen uns meist einmal im Jahr. Birgit ist als Kamerafrau viel unterwegs, Gisela ist leider ernsthaft erkrankt.

Am Telefon höre ich etwas spezifisches Punkiges an Ihrer Stimme. Würden Sie sich selbst noch als Punk bezeichnen?

Kommt drauf an, wie man es definiert. Wenn es darum geht, sein Ding zu machen und soziale Verantwortung für sich und sein Umfeld zu übernehmen, dann bin ich Punk. Schnorrend auf der Straße sitzen, ist für mich noch kein Punk. Da wird es nur Ausrede. Bei unseren Anfängen in Düsseldorf galten wir mehr als die „Gymnasium-Punks“, wie es Peter Hein mal definiert hat. Anders als viele der englischen Punks, die proletarische Wurzeln hatten, kamen wir aus der Mittelklasse. Unpolitisch waren wir aber nicht. Denken Sie an den Song „Herrenreiter“ von Mittagspause (Heins Band vor den Fehlfarben, Anm. der Red.), der erste deutsche Antifa-Punksong, oder an unseren Song „S-Bahn“. Der ist leider noch aktuell: Leute werden aus dem nichtigsten Grund in öffentlichen Verkehrsmitteln bedroht.

Östro 430

Gründeten sich Anfang 1979 in Düsseldorf. Die Initialzündung kam im November 1978 bei einem Auftritt der britischen Punkband Wire im legendären Ratinger Hof. Der erste Auftritt fand im Mai 1980 in Neuss statt. Die Band gefiel den Fehlfarben so gut, dass sie Östro 430 mit auf Tournee nahmen. Es folgten viele weitere Konzerte und Touren. 1981 erschien ihre Debüt EP „Durch Dick und Dünn“. 1983 das Album „Weiber wie wir“. 1984 lösten sich Östro 430 auf. „Keine Krise kann mich schocken“ erscheint bei Tapete/Indigo. Das Doppelalbum enthält alle Studioaufnahmen von Östro 430.

Martina Weith lebt heute als Kindergärtnerin in Hamburg.

Viele Songs von Östro 430 sind zwar nicht direkt politisch, aber trotzdem radikal feministisch und provoziered selbstbewusst. Und es geht auch um selbstbestimmten Sex. Wie kam es das?

Weil wir jung waren. Ich war 1979 gerade 18: Da zählen Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll. Jungs haben uns mega interessiert. In dem Song „Triebtäter“ haben wir uns mit den Schattenseiten beschäftigt. Das beruht auf schlimmen Erfahrungen.

Wie fühlt sich das für Sie an, heute so etwas noch mal zu singen?

„Sexueller Notstand“ ist und bleibt als Song aktuell. Für mich als inzwischen 60-jährige Frau vielleicht nicht mehr so akut, aber für viele jüngere HörerInnen bestimmt. Nicht nur für Frauen, auch für Männer. Für alle. Aus dem Song Sechzehn“ haben wir 2020 ein „Sechzig“ gemacht. Passt einfach besser.

Sie sangen Mitte der 1980er mit Peter Hein auch bei Family 5, eine eher postpunkige, soulige Band, und dann Ende der 80er bei Zweite Invasion.Hat sich das sehr von Östro 430 unterschieden?

Da ging es mehr um New Wave. Bei Zweite Invasion spielte ich mit Gisela Hottenroth zusammen, Bettina Flörchinger war schon angehende Ärztin. Die Band gäbe es womöglich noch, wäre Gisela damals nicht schwanger geworden.

Bedeutet, eine Band nur mit Frauen zu machen, eigentlich automatisch einen feministischen Kontext zu haben?

Unsere Originalbassistin Monika Kellermann war eine Lesbe. Sie hat mich in die Band reingezogen und so ergab sich alles. Sie ist zwar 1980 wieder bei Östro 430 ausgestiegen, aber es blieb zu allen Zeiten eine Frauenband. Auch wenn wir uns umbesetzt haben, war wichtig, dass nur Frauen in der Band spielen. Heute mag das selbstverständlicher sein, Anfang der Achtziger hatten wir dadurch in der westdeutschen Punkszene Exotenstatus. Wir waren aber nie auf Linie mit dem Mainstream-Femininismus der Zeit. Uns waren lila Latzhosen immer zu dämlich.

Warum?

„Einfach mal die Instrumente tauschen während des Auftritts!“

Martina Weith

Die saßen im Schneidersitz, tranken Tee und hassten Männer. Das hatte nichts mit unserer Lebensrealität zu tun. Nach dem wir unseren Song Normal“ veröffentlicht haben, mit der Zeile „Ihr trefft euch nur auf Feten ohne Mann / Und seid so lieb, das ich es nicht ertragen kann“, wurden wir von vielen Frauen-Buchläden geschnitten. In Benelux dagegen haben wir oft bei Lesben-Festivals gespielt. Da hatten die Frauen wenigstens richtig Eier. Was da auf der Bühne los war mit Stage-Diving: Geil! Wer da mit wem in die Kiste gestiegen ist. Da habe ich nicht schlecht gestaunt.

Was genau war denn der Vorwurf der Latzhosen-Fraktion?

Die haben uns doof angeguckt, weil wir einen männlichen Booker hatten. Zu der Zeit gab es nur männliche Booker. Wir waren immer gegen Scheuklappen! Warum muss ich überhaupt erzählen, dass ich hetero bin oder homosexuell? Ich frage auch niemand nach Religion oder nach dem Geschlecht.

Und wie geht es jetzt eigentlich weiter nach Corona?

Die ausgefallenen Konzerte mit den Fehlfarben und vielen anderen sind ja für nächstes Jahr in Planung. Wir freuen uns etwa auf ein Wiedersehen mit Bärchen und die Milchbubis aus Hannover, tolle Band, falls die noch jemand kennt. Das JAB im Haus der Jugend in Düsseldorf wird zwar abgerissen und soll dann komplett neu gebaut werden. Der Laden hat uns geprägt und da müssen wir uns von der ruhmreichen Bühne verabschieden. Das war ja das erste Konzert, dem wir zugesagt haben. Das ist uns auch sehr wichtig, Das Konzert im Hamburger Hafenklang wird voraussichtlich am 4. Dezember stattfinden, zusammen mit einer richtig tollen Band namens Hot Schrott. Die klingen wie Östro 430 in den Anfängen: Einfach mal die Instrumente tauschen während des Auftritts.