Frauenpolitik in der Türkei: Mehr als nur vier Wände
Seit dem Ausnahmezustand wurden Dutzende von Frauenhäusern und Zentren unter Zwangsverwaltung gestellt. Ein harter Rückschlag für Aktive in der Frauenarbeit.
Es ist eine unausweichliche, schmerzliche Tatsache: In Kriegen leiden hauptsächlich Frauen und Kinder. So sind sie die Leidtragenden des in den vergangenen 40 Jahren von Kämpfen geprägten Südosten der Türkei. Viele haben ihr Kind oder ihren Mann verloren, andere verbrachten ihr Leben an Gefängnistoren. Allerdings wurde dieses Leid ihnen zum Vorteil: Die Frauen begannen sich ihrem Schicksal nicht mehr zu beugen. Sie sind sich ihrer Rechte bewusst, und kämpfen dafür.
Die kurdische Politik hat die Ideale der türkischen Republik in Bezug auf die Frau, die stets reine Theorie blieben, in die Praxis umgesetzt. Frauen sind jetzt in allen Lebensbereichen vertreten und haben etwas zu sagen. Im Ko-System der Kommunen, die von einem Bürgermeister und einer Bürgermeisterin geleitet werden, wurden Frauenhäuser, Frauenzentren und Behörden für Frauenangelegenheiten eingerichtet. Auf diese Weise konnten benachteiligte und von Gewalt betroffene Frauen erreicht werden. Bei der Einsetzung von Zwangsverwaltern aber wurde als eine der ersten Maßnahmen die kommunale Frauenarbeit unterbunden.
„Wir fürchten steigende Gewalt“
Die Demokratische Partei der Regionen (DBP) legte einen umfangreichen Bericht zum Thema Kommunalverwaltungen vor. Demnach wurden seit der Ausrufung des Ausnahmezustands (OHAL) 43 Frauenzentren sowie das Frauenhaus in Van geschlossen und alle Angestellten dieser Institutionen entlassen. In den anderen Provinzen wurden die Frauenhäuser den lokalen Ämtern des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik unterstellt und den Zentren für Gewaltprävention und –beobachtung (ŞÖNIM) angegliedert.
Absolventin der Kommunikationswissenschaften an der Marmara Universität. Arbeitete als Journalistin bereits für Özgür Gündem, Özgür Radyo, Star und Bianet. War Pressesprecherin der Kunst- und Kulturbeauftragten der Stadt Diyarbakır bis die Stadt Ende 2016 unter Zwangsverwaltung gestellt wurde.
Emine Özmen, Vize-Vorsitzende der DBP, befürchtet, dass die Gewalt gegen Frauen erneut steigen wird. Die Daten aus den Frauenhäusern seien beschlagnahmt und in eine zentrale Datenbank eingeflossen. Özmen sagt ferner, die Frauen aus den Frauenhäusern würden um ihre Sicherheit fürchten.
Überleben sichern, Teilhabe ermöglichen
„Als das Frauenhaus in Van geschlossen wurde, kamen viele Frauen zu uns und sagten: 'Wir gehen nicht in die staatlichen Häuser.’ Dort würde man versuchen, sie wieder mit ihren gewalttätigen Männern zusammenzubringen. Was wiederum zum Anstieg der Frauenmorde führt. Manche verließen die Region. Die Kommunen von Akdeniz und Bağlar sind noch nicht der Zwangsverwaltung unterstellt, einige machten sich auf den Weg dorthin“, so Özmen.
Laut Gesetz dürfen Frauen sechs Monate im Frauenhaus bleiben, doch je nach individueller Situation wird diese Frist auf ein oder anderthalb Jahre verlängert. Ziel sei es, dass Frauen beim Verlassen des Frauenhauses sich selbst versorgen können. So habe man sich vor allem darum gekümmert, sie mit Arbeit und Unterkunft zu versorgen, so Özmen. „Die ŞÖNIM-Häuser fungieren als Schlafsäle oder Gasthäuser. Dort drängt man die Frauen dazu, sich mit ihren Männern zu versöhnen. Wir dagegen haben uns für ihr Überleben eingesetzt, um ihnen die Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Eine Atmosphäre, in der sie geschützt sind und weitermachen können.“
Eheschließung im Frauenzentrum
Dazu haben sie u.a. das Projekt Freie-Frauen-Dörfer entwickelt, berichtet Özmen: „Frauenhäuser sind mehr als nur vier Wänden. Dorthin kommen keine gewöhnlichen Menschen, sondern traumatisierte Frauen mit Gewalterfahrungen. Wir glauben nicht, dass vier Wände und Beton allein Heilung verschaffen. Gerade als die Idee mit den Frauendörfer im Gespräch war, in denen Frauen sowohl an der Produktion teilhaben, als auch der Natur wieder begegnen können, kamen uns die Zwangsverwalter dazwischen.“
Özmen erläutert, dass mit der Einsetzung von Zwangsverwaltern die Hauptorganisator*innen und Koordinator*innen der Frauenzentren entlassen wurden und die Zwangsverwalter die Frauenarbeit mit Gewalt an sich rissen. „Beim Besuch des Amida-Frauenzentrums in Sur sagte der Zwangsverwalter: 'Ermutigt ihr die Frauen etwa zur Scheidung?’ Und im Frauenzentrum in Cizre, das inzwischen dem AKP-Frauenverband untersteht, wurde eine Eheschließung durchgeführt, wobei eine Frau mit ihrem Ex-Mann verheiratet wurde. Das war sicher kein Zufall. Man versucht unsere Arbeit auszuhöhlen. Sie dulden nicht einmal das Wort 'kadın’ (Frau), sondern bevorzugen 'hanım’ (Dame). In Mardin wurde die Leitung der Anti-Gewalt-Einheit einem Mann übertragen.“
Frauenzentren in Wohnvierteln
Da die Beratungstätigkeit eine Haupttätigkeit der Frauenzentren ist, liegen diese nicht Stadtzentren, sondern verteilt in den Wohnvierteln. „Die Stadtzentren sind schwer zu erreichen. Die Frauenzentren machen da auf, wo Gewalt und Benachteiligung am größten sind. Dahinter steckt die Logik, das Viertel zu verändern“, so Özmen. Es seien nicht nur nur Orte, an die Frauen kommen, wenn ihnen Gewalt angetan wurde. Um den sozialen Wandel voranzutreiben werden dort auch verschiedene Seminare abgehalten. Mit diesen Aktivitäten versuchte man die Frauen zu stärken.
Doch gesellschaftlicher Wandel sei nicht leicht zu erreichen, da „dieses System unentwegt Gewalt produziert“, so Özmen. „Wir waren deutlich vorangekommen. Aber mit der Blockierung von Hilfen und Präventivmaßnahmen wird die Gewalt an Frauen wieder zunehmen. Obwohl wir einen sehr weit gefassten Begriff von Gewalt haben, wird die Notlage von Frauen zu selten thematisiert. Wir sind besorgt, dass Frauen erneut in die angelernte Ausweglosigkeit zurückfallen.“
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
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