Frauenfußball in Pakistan: Hier braucht es keine WM
Die Probleme vieler WM-Teilnehmerinnen gibt es auch in Pakistan: Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft und das Hinausdrängen von Frauen.
So wichtig ist das WM-Turnier, das wir gerade erleben, gar nicht. Gewiss, die Spiele und Tore sind von Bedeutung, aber noch mehr geht es darum, die Bühne WM zu nutzen, um für die Rechte der Spielerinnen einzutreten. Aller Spielerinnen. Wir wollen den Frauenfußball feiern, nicht das Fifa-Turnier. Denn eine Verbesserung ist leider nicht möglich, ohne sich über die Verbände und die Kultur, die sie gegenüber den Frauen pflegen, zu ärgern.
Wenn man sich genau anschaut, welchen Weg die Teams zu dieser WM zurücklegen mussten, sieht man, dass Spitzenfußballerinnen vor den gleichen Herausforderungen stehen wie die Frauen, die auf niedrigerem Level kicken. Meistens sind es allein männliche Funktionäre, die über alles entscheiden. Obwohl die erste Frauen-WM der Fifa schon 32 Jahre zurückliegt, ist der Frauenfußball noch nicht so etabliert, wie er es sein müsste.
Ich berichte als Reporterin über den Frauenfußball in Pakistan und weiß, dass die Probleme, mit denen sich spanische, amerikanische, sambische, haitianische, kanadische, venezolanische, argentinische oder kolumbianische Fußballerinnen herumschlagen, nicht sehr von dem unterscheiden, was wir in Pakistan erleben.
Es gibt einen Kampf um die Gleichstellung des Frauenfußballs mit dem Männerfußball, vor allem im finanziellen Bereich. Der ist wichtig. Zugleich aber es gibt noch einen allgemeineren Kampf, einen um die Menschenrechte. Darum, dass Frauen als menschliche Wesen betrachtet und behandelt werden.
Wenn es nur um gleiche Bezahlung ginge, wäre der Kampf etwas leichter zu gewinnen, aber wir müssen die Fifa dazu bringen, nach einem Weg suchen, die Kultur in den Verbänden zu ändern, damit Fußballerinnen in den weniger entwickelten Ländern nicht einfach als Posten behandelt werden, die man hin und her schieben kann.
Equal Pay ist nicht alles
Wenn es nur den Leistungsträgerinnen auf globaler Ebene gelingen sollte, das gleiche Prestige, Geld und dieselben Ressourcen zu erhalten wie ihre männlichen Kollegen, wäre das eine bescheidene Hinterlassenschaft dieser Frauen-WM. Misshandlung von Fußballerinnen war häufig Thema in vielen Teams bei dieser WM. Hinzu kommen die alten frauenfeindlichen Muster, gegen die sich etwa die spanischen Spielerinnen im vergangenen Jahr wehrten, als sie die Ablösung von Trainer Jorge Vilda gefordert haben. Bei Sambia und Haiti haben wir gesehen, dass die Vorwürfe, die die Frauen vorbrachten, zwar Gehör fanden, dass es aber letztlich wieder Männer waren, die die Entscheidungen für sie getroffen haben. Wir mussten erleben, wie die Frauen, die den Mächtigen die Wahrheit ins Gesicht sagten, abgebügelt und gedemütigt wurden.
Tatsächlich geht es immer darum, dass Fußballerinnen versuchen, in der Männerwelt erfolgreich zu sein – und dass sie deswegen enorme Widerstände erfahren. Das Gleiche gilt für die pakistanischen Fußballerinnen und die Nationalmannschaft. Nur zwei Tage vor Beginn der WM bestritt unser Team ein Freundschaftsspiel in Singapur. Ein Länderspiel, ja, aber die besten Fußballerinnen des Landes fehlten. Das ist so ähnlich wie bei dem spanischen WM-Team, das 15 Spielerinnen aus Protest boykottiert hatten, von denen nur einige zurückgekommen sind.
Der pakistanische Fußballverband (PFF) wird derzeit von einem „Normalization Committee“ geleitet, das die Fifa im Jahr 2009 eingesetzt hatte. Zwischen 2014 und 2022 hat die pakistanische Frauenauswahl kein Spiel bestritten, an keinem Turnier teilgenommen. Zudem war Pakistan zwischen 2017 und 2022 zweimal gesperrt worden. Die Fußballerinnen haben also nicht nur mit systemischer Frauenfeindlichkeit zu kämpfen, sondern sie leiden auch unter der anhaltenden Krise des Verbands. Und die haben wir den machtgierigen männlichen Funktionären zu verdanken.
Als die Nationalmannschaft im September 2022 in den internationalen Fußball zurückkehrte, rückten die besten Spielerinnen des Landes nur ganz kurz ins Rampenlicht. Nachdem sie sich aber sich gegen den unqualifizierten Cheftrainer ausgesprochen hatten, der lediglich über eine B-Lizenz der Uefa verfügt, war wieder Schluss mit dem medialen Wohlwollen. Der Trainer beschimpfte die Frauen nicht nur verbal, sondern sorgte auch dafür, dass möglichst viele Spielerinnen aus dem von ihm selbst betreuten Verein in die Nationalmannschaft berufen wurden. Da er zudem Spielerinnen aus England und den USA rekrutierte, beschimpfte er nun auch Spielerinnen, die in der Heimat kicken.
Ein Aufschwung, der keiner ist
Auf den ersten Blick sieht die Bilanz gar nicht so schlecht aus. Erstmals nahm Pakistan an der Qualifikation zu den Olympischen Spielen teil, wo die Elf auch ein Spiel gewann. Und im Januar 2023 lief sie bei einem Freundschaftsturnier in Saudi-Arabien auf.
Was aber stutzig macht, ist die Geheimniskrämerei, die um den Kader veranstaltet wird. Mehrere Spielerinnen hatten im vergangenen Jahr über Missbrauch gesprochen. Etliche hatten sich schriftlich an den Verbandschef gewandt. Doch darauf gab es keine Antwort. Die einzige Reaktion war, dass sie nicht mehr zur Nationalmannschaft eingeladen wurden – ohne Begründung. Im Trainingslager sollen aber die Beschimpfungen heftig gewesen sein. Der Trainer soll die Teammanagerin so sehr beleidigt haben, dass sie vor dem versammelten Team in Tränen ausbrach. Zugleich bekamen die jungen Frauen, die sich jahrelang in einer derart patriarchalisch geprägten Gesellschaft wie der pakistanischen bemüht hatten, Fußball zu spielen, immer wieder zu hören, dass das, was sie da machen, nicht ausreiche. Sie würden ja ihr Spiel nicht verbessern und hätten eh keine Chance auf eine Karriere im Fußball.
Kein Wunder, dass es in Pakistan keine Profiliga für Frauen gibt. Die Meisterschaft wird einmal im Jahr, gerade mal einen Monat lang ausgetragen. In der Zwischenzeit spielen die Frauen in regionalen Teams. An der ohnehin nicht allzu wertvollen nationalen Meisterschaft nehmen nur wenige Vereine teil. Pakistans Fußballverband denkt gar nicht daran, eine eigene Liga für Frauen einzurichten oder den Fußballerinnen auf eine andere Weise zu ermöglichen, sich zu verbessern. Es gibt auch keine Förderprogramme für Trainerinnen oder Schiedsrichterinnen.
Das Fußballsystem für Frauen in Pakistan ist kaputt. Dennoch träumen Frauen auch hier davon, auf internationalem Level Fußball zu spielen. Dieser Traum wird ihnen aber zerstört, solange der Verband einen Trainer stützt, über den Missbrauchsgerüchte kursieren und der ein toxisches Arbeitsumfeld aufgebaut hat – obwohl sich selbst die erfahrensten Spielerinnen gegen Missbrauch und Missmanagement aussprechen.
Natasha Raheel Khan ist die einzige hauptberufliche Sportjournalistin, die für eine pakistanische Zeitung arbeitet. Anfang August nimmt sie am Symposium „(Un)seen Game“ von Discover Football e. V. in Berlin teil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste