Frauenfußball in Berlin: Fußball, feministisch finanziert
Der FC Viktoria will den Wandel im Frauenfußball vorantreiben. Mit dem Aufstieg in die 2. Liga ist der erste Schritt in Richtung Bundesliga gemacht.
Im Stadion Lichterfelde ist alles für den 5. Spieltag der Zweiten Frauen-Bundesliga vorbereitet. Der Heimverein, FC Viktoria Berlin, spielt gegen das zweite Team des großen VfL Wolfsburg und will endlich den ersten Saisonsieg einfahren. Die Trommler:innen laufen am Sonntag zu Höchstleistungen auf, während die Spielerinnen und die Trainer:innenteams den Fokus auf das Spiel richten. Einlaufkinder, Eltern, Großeltern und Freund:innen tummeln sich auf dem Stadionkomplex, viele davon tragen den hippen Merch des Vereins. Es ist zu spüren, dass es hier um mehr als den Fußball geht.
Viktoria Berlin hat sich auf die Fahne geschrieben, eine diverse Community zu schaffen, die gemeinsam mit Investor:innen den Frauenfußball in Deutschland nachhaltig verändern möchte. Dafür haben sich 2022 sechs Frauen als Gründungsteam zusammengefunden und den Ball buchstäblich ins Rollen gebracht. Zu diesem Team gehören unter anderem die zweimalige Weltmeisterin und Ex-Profi-Fußballerin Ariane Hingst, die Unternehmerin und Journalistin Felicia Mutterer und die Autorin und Gründerin Verena Pausder.
Nach dem Vorbild des kalifornischen Klubs Angels City FC ist die Idee für ein eigenes Fußball-Unternehmen gewachsen. „Ich hatte Ariane in meinem Podcast zu Gast und wusste, ich hätte nur eine Chance, ihr unsere Idee vorzustellen. Ich kannte sie aus dem Fernsehen und war riesiger Fan“, erzählt Felicia Mutterer. Nachdem die Idee vorgestellt wurde, brauchte es schlussendlich nicht viel Überzeugungsarbeit, um die Weltmeisterin an Bord zu holen: „Wir hatten einen gemeinsamen Call und Felicia hat eine Präsentation ausgearbeitet. Für mich stand fest: Wenn sie Angels City in Berlin machen wollen, bin ich dabei“, sagt Ariane Hingst.
Nachdem gegründet wurde, ging es im nächsten Schritt darum, professionelle Strukturen im Verein zu etablieren und Investor:innen für das Projekt zu gewinnen. Das war laut Mutterer allerdings keine große Herausforderung: „Es half natürlich, dass einige Gründerinnen finanzkräftige Menschen in ihrem Umfeld hatten. Auch die queere Community hat das Projekt sofort unterstützt. Wir mussten darauf achten, dass die Leute nicht zu viel Geld investierten, weil wir eher viele Menschen und vor allem Frauen dabeihaben wollten.“
246 Investor:innen
In der ersten Runde kamen 87 Investor:innen zusammen, die rund eine Millionen Euro zur Verfügung stellten – heute sind es 246. Die Geldgeber:innen sind minderheitsbeteiligt, haben aber kein direktes Mitspracherecht bei der Gestaltung des Konzepts. Entscheidungsträgerinnen bleiben nach der 50+1-Regel die Gründerinnen und der Verein. Die Investor:innen unterstützen vor allem mit ihren Skills und ihren Erfahrungen, zum Beispiel im Rahmen eines Mentoring-Programms.
Zu den Investierenden gehören unter anderem Moderatorin Dunya Hayali, Schauspielerin Luise Wolfram und Finanzexpertin Natascha Wegelin. Nebenbei übernahm die ehemalige deutsche Schwimmerin Franziska van Almsick den Vorsitz im Aufsichtsrat und ein klares Ziel wurde formuliert: Bis 2027 sollte das erste Frauenteam von der dritten Liga in die Bundesliga aufgestiegen sein. Der erste Schritt ist bereits geschafft: In der letzten Saison stiegen die Frauen in die 2. Bundesliga auf.
Mit unternehmerischem Powerplay und der Vision einer Revolution ging es in die Gestaltung der „Marke“ Viktoria Berlin. „Wir wollten das bestehende Team nicht einfach austauschen. Uns war klar, dass bessere Bedingungen zu einer Leistungssteigerung führen würden. Wir haben Trainingszeiten festgelegt, einen Physiotherapeuten eingestellt und Gehaltsstrukturen etabliert, die transparent kommuniziert wurden“, berichtet Hingst.
Zu Beginn haben die Spielerinnen circa 550 Euro als Aufwandsentschädigung bekommen. Inzwischen haben sie einen Teilzeitjob beim Verein und nebenbei Zeit für eine Ausbildung oder ein Studium, um die „Karriere nach der Karriere“ abzusichern. Damit setzt der Verein gewisse Standards und ist ein Vorbild für andere. Doch Hingst sieht auch die Schattenseiten des Unterfangens: „Natürlich ist die Fallhöhe brutal. Wir gehen hier alle All-in und es ist nicht selbstverständlich, dass alles funktioniert, was wir uns vornehmen. Vielleicht klingt das für einige auch arrogant, wenn wir sagen, dass wir den Fußball revolutionieren wollen.“
Schlaflose Nächte trotz Erfolg
Auch Mutterer sieht den schmalen Grat, auf dem sie sich bewegen – und hat bisweilen schlaflose Nächte. „Die Frage ist dann immer: Bist du gerade zu großkotzig oder gesund selbstbewusst?“ Zumal mit der angestrebten Professionalisierung auf den Verein auch mehr Kosten zukamen. Die Trainings- und Stadionanlagen wurden gemietet, die Spielerinnen entlohnt, Personal engagiert und ein Web-Auftritt und Social Media Kampagnen bezahlt.
Dafür Sponsor:innen an Land zu ziehen und die zweite und dritte Investor:innenrunde zu schließen, sei nicht die leichteste Aufgabe gewesen, erläutert Mutterer. Vor allem, nachdem der erste Aufstiegsversuch im Juni 2023 in der Relegation gegen den Hamburger SV scheiterte: „Hinter jedem Erfolg steht ein gewisser Druck, abliefern zu müssen.“
In anderen Vereinen wie Bayer Leverkusen, FC Bayern oder auch VfL Wolfsburg stehen die sportlichen Erfolge der Männer im Vordergrund und die Frauenabteilungen sind abhängig von der finanziellen Stärke des Vereins und der Leistung der Kollegen. Um Möglichkeitsräume zu schaffen, war es für das Gründungsteam von Bedeutung, dass das erste Frauenteam unabhängig vom Rest des Vereins ist, aber trotzdem Zugehörigkeit ausstrahlt. „Wir haben mit den Verantwortlichen von Viktoria gesprochen, ihnen unsere Vision dargelegt, und der Verein fand unsere Idee gut. Es gab dann noch Gespräche über Anteile, Sachleistungen und finanzielle Aspekte, aber dann konnten wir das erste Frauenteam herauslösen“, so Hingst.
Im Mai 2023 konnten die Frauen ein großes Ausrufezeichen setzen: Auf der Suche nach einem neuen Ausrüster, der „die Geschichte des Frauenfußballs mitschreiben will“, wurden verschiedene Gespräche geführt, wobei Nike in die engere Auswahl kam. „Es war eine großartige Situation. Zur Verhandlung saßen fast nur Frauen am Tisch, die Männerabteilung von Viktoria war auch eingeladen, doch es ging eigentlich nur darum, wie es mit den Frauen weitergeht und was die Vision ist. Am Ende haben wir erreicht, dass der ganze Verein mit Nike ausgerüstet wurde, doch die Frauen waren die Priorität“, erzählt Mutterer stolz.
Frauenfußball braucht Investitionen von außen
Damit gelingt es Viktoria Berlin stückweise, die Rollen zu tauschen und festgefahrene Strukturen aufzuweichen. Bisher profitiert vor allem das erste Frauenteam von der Übernahme der Gründerinnen, doch auch die Verbindung in den Jugendbereich soll stabiler werden. Hingst führt aus, dass es bisher an finanzieller Stärke fehle, um den kompletten Mädchenbereich und das zweite Frauenteam mit einzugliedern. Doch durch den Einsatz des Co-Trainers der ersten Mannschaft, Darien Hoffmann, als Cheftrainer des zweiten Teams soll der Unterbau gestärkt und der Nachwuchs langfristig gefördert werden.
Für Viktoria Berlin steht fest: Es braucht aktuell die Investitionen von außen, um den Frauenfußball groß zu machen. „Wir wollen ein Pusher-Club sein, auch international, wir denken meist unternehmerisch, weil wir es müssen. Viktoria steht für Emanzipation, Unabhängigkeit und Gestaltung“, sagt Mutterer.Gegen den VfL Wolfsburg II ging es nicht über ein 1:1 hinaus, auf den ersten Sieg muss Viktoria also noch warten. „Wir hatten so viele Möglichkeiten vor dem Tor, das Spiel lag in unserer Hand und wir müssen die Buden konsequenter machen“, resümiert Spielerin Aylin Yaren. Es geht also weiterhin um die Chancenverwertung – auf und neben dem Platz.
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