Frauenbild im Vampir-Hype: Ich gehöre dir, Vampir

Der dritte Teil der "Bis(s)"-Saga ist noch immer keusch. Die Serie "True Blood" dagegen geht mit der Sexualität nicht zimperlich um. Ein Blick auf das Frauenbild im Vampir-Hype.

Das Mädchen, das gebissen werden will. Bild: Lucia Whittaker – Lizenz: CC-BY

Gerade ist der "Bis(s)"-Vampirromanze dritter Teil ("Eclipse - Bis(s) zum Abendrot") in die deutschen Kinos gekommen. In den USA läuft die dritte Staffel der erfolgreichen Vampirserie "True Blood" an. Der Hype um die Blutsauger scheint kein Ende zu kennen. Und doch verwundert er, ist doch vor allem die "Bis(s)"-Story nichts anderes als eine Herz-und-Schmerz-Erzählung für Jugendliche.

In der Bestseller-Tetralogie erzählt die Autorin Stephenie Meyer die Liebesgeschichte der Schülerin Bella Swan (Kristen Stewart) und des Vampirs Edward Cullen (Robert Pattinson). Im dritten, aktuell verfilmten Teil möchte Bella von Edward in einen Vampir verwandelt werden, um für immer mit ihm zusammen zu sein. Der Werwolf Jacob (Taylor Lautner), der sie auch liebt, kämpft um Bella, doch im "Bis(s)"-Universum kann es nur eine wahre Liebe geben.

Die sexuelle Abstinenz ist das tragende Motiv dieser Geschichte. Gern werden die Filme als "abstinence porn" verhöhnt, denn die Spannung zwischen Bella und Edward besteht vor allem aus dem Fragespiel: Gibt sie sich hin? Kann er widerstehen? Was wären die Konsequenzen? In "Eclipse" kommt zur Metapher des Vampirbisses die Frage nach der Eheschließung hinzu. Bevor Edward mit Bella schlafen wird, soll sie ihn heiraten. Die Filme geben sich in dieser Frage so konservativ wie die evangelikale Jugendbewegung "True Love Waits", die Teenager in den USA und anderswo dazu treibt, Keuschheitsgelübde abzulegen.

Das komplette Gegenteil der "Bis(s)"-Saga scheint die HBO-Serie "True Blood" zu sein, bei der Sex - zwischen Vampiren und Menschen, zwischen Männern und Frauen, zwischen Männern und Männern - einen wichtigen Bestandteil ausmacht und nicht eben zimperlich in Szene gesetzt wird. "True Blood" ist, genau wie "Bis(s)", die Verfilmung einer Buchreihe, der Sookie-Stackhouse-Romane von Charlaine Harris, in deren Mittelpunkt ebenfalls ein einsames Mädchen steht, das sich in einen blassen, mysteriösen Vampir verliebt. Doch Bon Temps, der fiktive Ort der Geschichte, liegt nicht im kühlen Norden, sondern im schwülen Louisiana und ist von so vielen unterschiedlichen Charakteren bevölkert, dass die Serie weit mehr als die bloße Liebesgeschichte zwischen einer Sterblichen und einem Untoten erzählt. In der ersten Staffel ereignen sich mehrere Morde, und weil jeder verdächtig sein könnte, gibt es viel Zeit, die merkwürdigen Bewohner von Bon Temps besser kennenzulernen.

Der Schöpfer von "True Blood", Alan Ball, der auch für "Six Feet Under" verantwortlich zeichnet, lässt in der Vampirserie vieles anklingen, was die schwul-lesbische Bürgerrechtsbewegung charakterisiert. Analog zu den Homosexuellen, die heute "out of the closet" leben, also sichtbar für die heterosexuelle Mehrheit, hatten die Vampire der Serie ein Coming-out: Sie leben "out of the coffin", nicht mehr im Sarg versteckt. Das aber stürzt sie in einen Zwiespalt: Manche suchen die Integration in die menschliche Community und sind dafür bereit, auf die Reize des Vampirdaseins, besonders aufs Blutsaugen, zu verzichten. Sie ernähren sich von Kunstblut der Marke "Tru Blood". Andere halten sich von den Menschen fern, beharren stolz auf ihrer Andersartigkeit und auf den damit verbundenen Freiheiten. Sie halten nichts von den Anpassungsleistungen, die ihre um Anerkennung und Normalität besorgten Artgenossen vollziehen. Die Menschen wiederum reagieren mal tolerant, mal voller Hass (in der zweiten Staffel gilt es, eine fundamentalistische religiöse Gruppe zu stoppen, die die Vampire ausrotten will. Ihr Eifer und ihre Intoleranz erinnern an die Homophobie der religiösen Rechten in den USA). Zugleich üben die Vampire einen starken Reiz auf die Menschen aus. Sie besuchen heimlich die Clubs der Blutsauger, nehmen deren nächtliche Vergnügungsangebote wahr, spritzen sich sogar V-Juice, Vampirblut, als ultimative Drogenerfahrung.

In der Figur des Vampirs Bill (Stephen Moyer), in den sich Sookie (Anna Paquin) verliebt, nehmen die Identitätsprobleme und Widersprüche Gestalt an: Bei den Vampiren fühlt er sich nicht aufgehoben, weil er deren Brutalität und Hedonismus nicht teilt, doch die Menschen akzeptieren ihn nicht, weil er ein Vampir ist; so fühlt er sich immer zerrissen.

Bei aller Unterschiedlichkeit zwischen "True Blood" und "Bis(s)" sind sich die jeweiligen Protagonistinnen ähnlicher, als man denken könnte. Sowohl Bella als auch Sookie sind einsame Menschen. Sie werden als treue, loyale und beherzte junge Frauen gezeichnet, die den Verführungen des Lebens widerstehen können, moralisch gefestigt sind und für ihre Liebe alles opfern würden. Kurz: Sie sind völlig unwahrscheinliche Charaktere. Und sie sind nicht allein: Auch Elena Gilbert verliebt sich in der Serie "Vampire Diaries" in den Vampir Stefan, und auch sie muss von ihm aus allen möglichen und unmöglichen Situationen gerettet werden. Das geht Sookie und Bella nicht anders. Wenn die drei kämpfen, dann vor allem für ihre Liebe und gegen die Verführung.

Ihre Vampirmänner sind nicht weniger konservativ. Edward, Bill und Stefan sind das, was man alte Schule nennt: Sie beschützen ihre Frauen. Das Spannungsverhältnis ihrer Beziehung besteht vor allem aus dem anderen Mann, einem potenziellen Verführer, der auch um die Liebe der jungen Frauen buhlt. In "True Blood" ist das der blonde Vampir Eric Northman (Alexander Skarsgard), in "Bis(s)" der Werwolf Jacob und in "Vampire Diaries" Stefans Bruder Damon (Ian Somerhalder). Die Rivalen werden einerseits bedrohlich gezeichnet, andererseits bevormunden sie die Protagonistinnen, im Gegensatz zu deren Liebhabern, nie.

Nach all den fortschrittlichen Vampiren, die es in der Filmgeschichte gibt - angefangen mit Murnaus "Nosferatu", der als expressionistische beziehungsweise psychoanalytische Systemkritik bewertet werden kann, über den postmodernen Hollywood-Film "Bram Stoker's Dracula" (1992) von Francis Ford Coppola, der als Aufarbeitung des HIV-Themas rezipiert wurde, bis hin zur wunderbaren Buffy, die Vampire jagte, statt sich von ihnen retten zu lassen, sind diese neuen, männlichen Blutsauger-Helden wohl am ehesten mit Anne Rice' schmalztriefenden Fantasievorlagen heldenhafter untoter Männer vergleichbar. Da passt es auch ganz gut, dass sowohl die "Bis(s)"-Romane als auch Rice' Vampirschmonzetten als "Lektüre für einsame Hausfrauen" verspottet werden.

In der Serie "True Blood" ist die Liebesgeschichte von Sookie und Bill nach und nach zu einem von vielen Erzählsträngen geworden, was die Serie weiterhin sehenswert macht. Gleichzeitig fällt dort die Diskrepanz am meisten auf: Den Satz "Ich gehöre Bill" meint Sookie nicht ironisch. Das wirft die Frage auf: Warum sollen wir uns bei all den gebrochenen, liebenswerten Figuren, die Bon Temps bevölkern, ausgerechnet für diese beiden Langweiler begeistern?

Oder allgemeiner: Warum werden gerade diese altertümlichen Geschichten vom Mädchen, das gerettet wird und dessen Moral belohnt wird, zu so einem Erfolg? Warum begeistern sich die jungen weiblichen Fans für diese blassen Figuren, deren einzige Wahl die zwischen zwei Vampiren ist und die sich darüber hinaus für die beklemmendere der beiden möglichen Beziehungen entscheiden?

Bella sagt am Ende von "Eclipse" über ihre Entscheidung, nicht mit Jacob, sondern mit Edward zusammen zu sein: "Es geht nicht um die Wahl zwischen den beiden Männern, es geht um die Wahl zwischen derjenigen, die ich sein sollte, und der, die ich bin." Sie wird die, die sie sein sollte, und drückt damit das Dilemma selber am besten aus: Bei all den vermeintlichen Wahlfreiheiten, die einem heutzutage suggeriert werden, kann man sich sehr leicht für das Gefängnis entscheiden und das für Befreiung halten.

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