Vor 100 Jahren Hauptstadt der Fotografie: Berlinerinnen, die mit Licht und Schatten spielten
Viele Fotostudios wurde in den 1920er Jahren von Frauen geführt. Fotografinnen wie Else Neuländer setzten den Kurfürstendamm & Co. in ein neues Licht.

Susanne Byk, Frieda Riess, Else Neuländer und Marta Vietz waren Pionierinnen der Fotografie. Der Kurfürstendamm wurde ihr Eldorado. Die wohl bekannteste Straße der Stadt war immer vieles: Prachtboulevard und Partylocation, Lebensader und Lustmeile, Sehnsuchtsort und Szenelaufsteg – auch und gerade vor 100 Jahren. Dass damals hier und in den Seitenstraßen das Herz der Fotografie im Deutschen Reich schlug, ist heute allerdings eher unbekannt.
Das Berlin der „Goldenen Zwanziger“ lebte mit sich selbst in tiefstem Kontrast. Der Weg zur Weltstadt verlief rasant, jedoch mit sozialen Verwerfungen. Eleganz bestimmte die Abendgesellschaften am Kurfürstendamm – und Elend den Alltag am Alexanderplatz. Josephine Baker eroberte tanzend die Stadt. Das Publikum im Nelson-Theater bejubelte ihre erotischen Shows. „Berlin, das ist schon toll! Ein Triumphzug“, so die als „Schwarze Venus“ gefeierte Künstlerin.
Das Leben in den Mietskasernen, Hinterhöfen und Seitengassen hingegen war bitter. Glanz und Abglanz einer Stadt: Kinos, Cafés, Varietés mit funkelnden Leuchtreklamen in Charlottenburg. Baracken, Suppenküchen, Obdachlosenheime mit verfallenden Mauern im Wedding.
Weltwirtschaftskrise traf Berlin mit voller Wucht
Die „Flapper Girls“ mit Bubikopf, Zigarettenspitze und Cocktail waren kennzeichnend für die Nachtclubs am Hardenbergplatz – und unterernährte Jugendliche mit leerem Blick und verschlissenen Lumpen für den Kinderstrich in der Friedrichstraße. „Metropolis“ feierte Premiere, 1927 im Ufa-Palast am Zoo. Der Film von Fritz Lang wirkt wie ein Spiegel dieser Spannungen. Publikum fand er kaum. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 traf schließlich auch Berlin mit voller Wucht.
Susanne Byk, Frieda Riess, Else Neuländer und Marta Vietz gestalteten den Glamour dieser wechselvollen Zeit mit, meisterten sie als selbstbewusste Unternehmerinnen. Berlin wurde bis 1930 zur Heimat von mehr als 400 Fotoateliers. Frauen führten rund ein Viertel dieser Studios, ihr Anteil in fotografischen Berufen war bemerkenswert hoch. Die Frauenbewegung seit dem 19. Jahrhundert hatte die Voraussetzungen für ihr Streben nach beruflicher Selbstverwirklichung geschaffen. Aber auch die Restriktionen der Kaiserzeit waren eine Ursache für die große Zahl an Fotografinnen.
Die ersten 18 Studentinnen an der Königlichen Akademischen Hochschule für die Bildenden Künste in Berlin wurden zum Sommersemester 1919 aufgenommen – im ersten Jahr der Weimarer Republik. Frauen im Studium waren zuvor eine absolute Ausnahme, allgemeinen Zugang zu Universitäten erhielten sie in Preußen erst 1908 – gegen harten, männlichen, Widerstand.
Der Traum, etwa die Malerei als Beruf auszuüben, hatte sich zuvor vor allem an privaten Kunstschulen, im Kontakt mit Malerinnen oder durch autodidaktisches Talent erfüllt. Für Frauen ließ sich die Hoffnung auf ein Leben als Künstlerin häufig jedoch nicht verwirklichen. Was blieb waren Ehe, Haushalt und Mutterschaft. Viele hatten sich damit abgefunden, oft in einer unzufriedenen Stille. Andere hatten sich abseits der Hochschulen mit neuen Ideen in der Kunst verwirklicht, etwa durch eine Ausbildung zur Fotografin.

Zwei Starfotografinnen
Die 1884 geborene Susanne Byk und die sechs Jahre jüngere Frieda Riess nahmen dieses Wagnis in jungen Jahren auf sich. Sie gründeten ihre Ateliers bereits 1911 beziehungsweise 1917 mit 27 Jahren und arbeiteten in den 20er Jahren am Kurfürstendamm in gegenüberliegenden Häusern: Byk in der Nr. 230, Riess in der Nr. 14/15. Die Karstadt-Filiale beziehungsweise der Bürokomplex „Gloria Berlin“ an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche befinden sich heute dort, wo beide zu Starfotografinnen wurden.
Die Persönlichkeiten, die sie porträtierten, waren oder wurden prominent: Valeska Gert, Alice Salomon, Max Liebermann und Albert Einstein von Byk, Josephine Baker, Margo Lion, Marc Chagall und Max Schmeling von Riess. „Die Riess“, wie sie genannt wurde, war zudem eine vornehme Gastgeberin, ihr Atelier ein exklusiver Salon. Die High Society verkehrte bei ihr: Literatinnen und Literaten, Schauspielerinnen und Schauspieler und das Berlin der Politik, der Diplomatie, der Wirtschaft.
Die Zahl der avantgardistischen Fotografinnen stieg stetig. Die zur Jahrhundertwende geborene Else Neuländer eröffnete 1925 ihr Atelier. Bekannter als ihr bürgerlicher Name wurde das Pseudonym, unter dem sie Berühmtheit erlangte: Yva wurde eine der innovativsten Porträt- und Modefotografinnen der 20er Jahre, bestach durch synoptische Bilder, die sie unter anderem mit Mehrfachbelichtung aufnahm. Die Bleibtreustraße 17 war ab 1930 der Standort ihres Ateliers, das sie 1934 in die Schlüterstraße 45 verlegte – jeweils in Sichtweite des Kurfürstendamms.
„Selbstmord in Spiritus“: Das Eigenbildnis von 1927 verdeutlichte schon durch seine Betitelung, dass auch die 26-jährige Marta Vietz mit Konventionen der Fotografie gerne brach – zum Beispiel, indem sie ihr Haupt auf dem besagten Bild per Fotomontage in ein Laborglas hineinversetzte. Standort ihres Studios war in den frühen 30er Jahren die Meinekestraße 22, nur etwa 150 Meter vom Kurfürstendamm entfernt.
Licht und Schatten
Die Frauen spielten mit Licht und Schatten, begriffen Fotografie nicht nur als abbildende, sondern auch als bildende Kunst. Die Bilder, die sie schufen, bestimmen unsere Vorstellung der 20er Jahre noch heute. Der Zerfall der Weimarer Republik jedoch führte zu einschneidenden Veränderungen. Die Bedrohung durch den Nationalsozialismus wurde für die Frauen konkret: Byk, Riess und Yva entstammten jüdischen Familien. Astfalck-Vietz wiederum ging in den Widerstand gegen die Nazis.
Susanne Byk verkaufte 1938 ihr Atelier nach antijüdischen Anfeindungen zu einem sogenannten „Arisierungspreis“. Sie flüchtete mit ihrem Ehemann Hellmuth Falkenfeld in demselben Jahr nach New York, wo sie 1943 verstarb.
Frieda Riess ging 1932 nach Paris – aus Liebe zu Pierre de Margerie, der von 1922 bis 1931 als französischer Botschafter im Deutschen Reich fungiert hatte. Sie überlebte die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg, da sie ihre jüdische Familiengeschichte verbarg, und verstarb 1954 in der neuen Heimat.
Yva wurde 1938 von den Nazis mit einem Berufsverbot belegt und mit Zwangsarbeit als Röntgenassistentin gepeinigt. Sie wurde mit ihrem Ehemann Alfred Simon deportiert. Beide wurden im Juni 1942 im deutsch besetzten Polen als KZ-Gefangene ermordet.
Mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet
Marta Astfalck-Vietz ließ Flugschriften gegen das NS-Regime in ihrer Dunkelkammer kopieren, verhalf jüdischen Mitmenschen zur Flucht und betreute deren Kinder als Lehrerin. Sie erweiterte ihr pädagogisches Wirken nach der NS-Zeit, gründete die „Behindertenwerkstätten Mosaik“ und wurde dafür 1982 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 1994 verstarb auch sie.
Für Yva und Alfred Simon wurden vor der Schlüterstraße 45 Stolpersteine verlegt. Der Yva-Bogen führt zudem als Fußweg von der Kantstraße in die Jebensstraße am Bahnhof Zoologischer Garten – und damit auch zur „Helmut Newton Foundation“. Newton, 1920 geboren als Helmut Neustädter, war ab 1936 von Yva ausgebildet worden – für ihn „der Olymp“, wie er berichtete.
Das Wirken der anderen Frauen dagegen ist im Straßenbild nicht dokumentiert. Weder an den einstigen Standorten der Studios von Byk, Riess und Astfalck-Vietz finden sich Gedenktafeln noch dort, wo weitere Fotografinnen wirkten – etwa Lilli Baruch (Kurfürstendamm 201), Steffi Brandl (Kurfürstendamm 211), Margarete Karplus (Pariser Straße 27 bzw. Hektorstraße 4) oder die Jacobi-Schwestern Lotte und Ruth.
Und auch die Bedeutung des Kurfürstendamms als Zentrum der Fotografie ist eine kilometerlange Leerstelle der Erinnerungskultur geblieben.
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