Frauen in Ägypten: Die 30 Tonnen der Umm Khaled
Seit 30 Jahren kurvt die einzige ägyptische LKW-Fahrerin durchs Land. Sie hat sich ihren Platz in einer Männerdomäne erobert.
„Ein Kilo von den ägyptischen Bananen und eines von den importierten roten Äpfeln“, verlangt Ferial Khalil vom Obsthändler am Rande der Straße. Mit ihrer weiten Bluse, leicht korpulent, ihrem Kopftuch und einer großen Sonnenbrille sieht sie aus wie eine typische ägyptische Mama, die für ihre Familie auf dem Markt einkauft.
Doch dann nimmt Ferial die beiden Tüten und schreitet festen Schrittes in Richtung ihres wenige Meter entfernt geparkten Arbeitsgerätes. Ein Lastwagen, mit einem 30-Tonnen-Container, den sie morgens vom Hafen in Alexandria abgeholt und bis zu diesem Kairoer Vorort chauffiert hat. Nicht nur die Autofahrer nehmen den Fuß vom Gaspedal, auch die Fußgänger blicken amüsiert, als die 56-Jährige schwungvoll die Stufen zur Fahrerkabine hochsteigt. Die Frau erregt Aufsehen, wo immer sie anhält.
Kein Wunder, Ferial, oder Umm Khaled, wie sie auch genannt wird, kurvt zwar seit 30 Jahren mit ihrem LKW durch das Wüstenland, aber sie ist in all den Jahren die einzige Fernfahrerin des Nillandes geblieben. „Ich bin es gewöhnt, dass die Leute glotzen und sich die Augen reiben und versuchen, zu allen freundlich zu sein“, erklärt sie, während sie die Kabine erklimmt.
„Gott hat mir diesen Beruf gegeben und er sorgt dafür, dass ich mich damit zurechtfinde“, fasst sie das Ergebnis ihrer Berufswahl zusammen. „Ich fahre nachts durch die Wüste, manchmal hat der Wagen einen Schaden und bleibt auf der Strecke, und ich habe es unterwegs wirklich mit den schlimmsten Typen zu tun. Diese Arbeit verträgt keine Verletzlichkeit. Aber ich schaffe das“, sagt sie ohne den geringsten Zweifel in der Stimme.
Unter Männern
Ihre männlichen Kollegen, die wie sie an einem Truckerstopp in einem Vorort Kairos Pause machen, reagieren auf sie mit einer Mischung aus Bewunderung für sie persönlich und grundsätzlichem Misstrauen gegenüber der professionellen Tauglichkeit ihres Geschlechterstandes. Jedenfalls gibt es dort niemanden, der sie nicht kennt oder nicht zumindest von der Legende Umm Khaled gehört hat.
Revolution hin oder her: Haben Frauen in den patriarchalisch-konservativen arabischen Gesellschaften überhaupt eine Chance? Sind sie mehr als unterdrückte, graue Mäuse? Im neuen Buch von taz-Korrespondent Karim El-Gawhary kommen sie selbst zu Wort, jenseits der Klischees. Sie berichten von ihren eigenen Kämpfen, als Pionierinnen in ihrer Gesellschaft, als Verliererinnen in Kriegen und Konflikten oder als politische Aktivistinnen, die Veränderung vorantreiben – von Libyen über Ägypten bis Bahrain.
Das Buch „Frauenpower auf Arabisch“ erscheint am 9. September im Verlag Kremayr&Scheriau, Wien, und kostet 22 Euro. Dieser Artikel wurde leicht gekürzt aus dem Buch entnommen.
Hamdy kommt mit seinem Brummi gerade aus einer der Oasen in der westlichen Wüste und hat ebenfalls an der LKW-Haltestelle eine Pause eingelegt. Er unterhält sich mit Ferial und borgt sich dabei gleich noch einen Satz Kabel von seiner Kollegin aus. Sich gegenseitig zu helfen ist selbstverständlich, meint Ferial, und Hamdy nickt.
„Wir alle kennen Umm Khaled, schließlich fährt sie schon seit drei Jahrzehnten“, erklärt er. „Wir respektieren sie persönlich für das, was sie macht, aber es ist schwer für sie. In unserer Gesellschaft ist so etwas sehr ungewöhnlich. Sie ist stark, aber Männer können die Verantwortung und die Schwierigkeiten dieser Arbeit besser aushalten“, meint er.
Ferial hat es schwerer als viele ihre männlichen Kollegen, denn sie fährt stets ohne Begleiter, die ihr bei Reparaturen zur Seite stehen könnten. „Ich hatte früher einen Assistenten“, erzählt sie. Aber sie könne sich zum Schlafen natürlich nicht mit einem Mann die Kabine teilen. Weswegen dieser in den Pausen unter dem Fahrzeug geschlafen habe.
Einmal, beim Stopp am Rande einer Wüstenstraße, war sie gerade dabei, sich in der Kabine schlafen zu legen, als ihr Assistent panisch nach ihr rief - vom Dach des Containers, auf das er sich vor einem Wolf gerettet hatte. „Seitdem“, sagt sie, „bin ich nur noch alleine unterwegs.“
Als Kind verheiratet, in der Ehe geschlagen
Ein hartes Leben hat Ferial nicht nur, seit sie die großen Brummis fährt. Mit zwölf Jahren war sie von ihrer Tante, bei der sie im Nildelta lebte, unter Angabe eines falschen Geburtsdatums an einen älteren Mann verheiratet worden. Selbst noch halbes Kind, gebar sie damals ihren Sohn Khaled. Die Ehe war die Hölle, erinnert sie sich. Immer wieder wurde sie von ihrem Mann geschlagen. Mit sechzehn schaffte sie es dann endlich, sich scheiden zu lassen.
Es folgte der Versuch, sich ein zweites Leben aufzubauen, ohne Abhängigkeiten. Zurück bei ihrer Tante, lernte sie mit einem privaten Tutor zunächst Lesen und Schreiben. Ohne jegliche formelle Ausbildung träumte sie davon, wegzukommen und irgendwie ein Auskommen zu finden, mit dem sie sich und ihren Sohn durchbringen könnte, den sie bei der Mutter ihres Ex-Mannes zurücklassen musste. Damals begegnete sie einer der wenigen Taxifahrerinnen des Landes und fasste den Beschluss, selbst einen LKW-Führerschein zu machen.
Anfangs stieß sie auch unter den Kollegen auf Ungläubigkeit. An einem Truckerstopp entspannte sich eine Diskussion zwischen zwei Fernfahrern, erinnert sie sich. „Wenn die wirklich einen LKW-Führerschein hat, zerreiße ich meinen“, spottete einer von ihnen ahnungslos. Der andere ließ sich von Ferial ihre Lizenz aushändigen und forderte den Kollegen auf, seinen Führerschein zu zerreißen. Doch der ergriff peinlich berührt die Flucht.
Früher fuhr Ferial immer mit einer Baseballkappe, unter der ihre kurzen Haare hervorlugten, bis sie einmal von einem Verkehrspolizisten angehalten wurde. „Bist du ein Mann oder eine Frau?“, fragte der unsicher. „Schämst du dich nicht, so zu einem Mann zu sprechen!“, lautete ihre Antwort. „Aber du bist doch eine Frau“, rief der Polizist nach Untersuchung ihres Führerscheins verwirrt und kündigte an, sofort seine Frau anzurufen, um ihr zu erzählen, was für starke Frauen es gebe.
Die Revolution im Fernsehen, die Politik ist weit weg
Ferial ist gläubig. In ihrer Kabine hängt ein Foto, das sie stolz lächelnd bei ihrer Pilgerfahrt nach Mekka vor wenigen Jahren zeigt. Das und ihrem Sohn eine Wohnung zu verschaffen, waren ihre großen Ziele im Leben. „Ich selber habe ein Auskommen, also bete ich heute noch für zwei Dinge“, sagt sie: „Sicher und unfallfrei zu fahren und im nächsten Leben Gott mit gutem Gewissen entgegenzutreten.“
Die Revolution und den Aufstand gegen Mubarak hat sie hauptsächlich in dem kleinen, in der Fahrerkabine montierten Fernseher mitbekommen. „Vor und nach der Revolution. Ich fahre vom Hafen zum Bestimmungsort, lade ein und aus“, meint sie dazu.
Nur das Problem mit den Wegelagerern habe zugenommen, seitdem Mubarak während des Aufstandes die Gefängnisse öffnen ließ, um Chaos zu stiften, und die Polizei bis heute nicht mehr ernsthaft ihren Aufgaben nachgeht. „Aber ein guter Mensch wird von Gott geschützt, das gilt auch in einer Revolution. Gott passt auf Ägypten auf und er gibt den Menschen Lektionen. Ich hoffe, dass die Revolution vieles ändert, leider hat sie bisher nicht so viel gebracht“, konstatiert sie.
Aber wenn sie über die endlosen Wüstenstraßen kreuzt, ist die Politik weit weg. Die weiteste Strecke, die sie für eine Tour einmal zurückgelegt hat, ging bis in die 1.700 Kilometer entfernte libysche Hauptstadt Tripolis. „Manche fragen, ob das nicht zu schwer für mich ist. Viele Männer haben diese Arbeit geschmissen, weil sie zu anstrengend war“, erläutert sie, um dann gleich ihre Schlussfolgerung zu ziehen. „Für mich ist mein Leben meine Arbeit, und Gott hat mir die Kraft gegeben, vieles auszuhalten“.
Die Fahrerkabine ist das Zuhause
Normalerweise fühlten sich Frauen mit ihrer Familie und mit ihren Kindern sicher, meint sie. Bei ihr sei das anders. „Ich fühle mich in der Kabine meines Trucks am sichersten. Die ist mein Leben. Ich verwandle die Kabine in ein Wohnzimmer, hinten ist mein Schlafzimmer, ich habe einen Fernseher“, sagt sie und fährt mit dem Finger die Ausmaße ihres Fahrerinnenhäuschens entlang. „Mein Leben ist die Straße, nicht das Haus“, fasst sie zusammen.
Ihr liegt es aber fern, ihren Job zu romantisieren. „Manchmal überfällt dich die Müdigkeit, wenn du seit 48 Stunden das Lenkrad hältst“, gibt sie zu. „Es kann sein, dass ich einlade und den Hafen in Alexandria in der Nacht verlasse, zu meinem Ziel am anderen Ende des Landes fahre, auslade und wieder zum Hafen zurückfahre.“
“Meine Tochter“ nennt sie ihren Brummi liebevoll, vielleicht auch ein wenig trotzig, weil ihr die Männerwelt der Fernfahrer doch zu schaffen macht. Manchmal wehrt sie sich. Als einmal ein Taxifahrer neben ihr fuhr und sie als Frau beschimpfte, drückte sie auf Gas und drängte ihn von der Straße. „Das ist hart, wie manche von ihnen mit mir als alleinstehender Frau auf der Landstraße umgehen. Das hinterlässt Spuren“, deutet sie nur an. Sie will nichts an sich heranlassen und schon gar nicht davon erzählen. „Ich hatte gute Zeiten in meinem Leben, die bitteren versuche ich in meinem Herzen zu verstecken“, meint sie dazu.
Nach außen gibt sie die unabhängige Heldin der ägyptischen Landstraße, wie sie das auch schon bei anderen Journalisten zuvor getan hat, die sie als fahrendes Kuriosum am Nil besucht hatten. Ob ihre einzigartige Berufswahl nicht auch mit ihrer Erfahrung zu tun hat, als Kind in ihrer frühen Ehe misshandelt worden zu sein, frage ich sie, für ägyptischen Geschmack viel zu direkt. Das ist das erste Mal, dass Ferial nicht gleich antwortet.
Sie zögert, blickt, das Lenkrad fest im Griff, auf die freie Straße und die öde Wüstenlandschaft und dann kurz in den Rückspiegel, als läge dort ihr verborgenes Leben. „Um ehrlich zu sein“, sagt sie, „fahre ich seit drei Jahrzehnten vor meiner Vergangenheit davon.“ Dann schweigt sie, wie sie das normalerweise macht, wenn ihre 30 Tonnen und ihre seit drei Jahrzehnten schwer erarbeitete Freiheit über die Wüstenstraße ziehen.
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