Frauen-Moschee in Kopenhagen: Ein Imam muss kein Mann sein
Die Mariam-Moschee ist die erste von Frauen geleitete Moschee in Skandinavien. Sie will Vorurteile abbauen und gegen das Patriarchat kämpfen.
Im Eingang türmen sich Schuhe und Taschen, die Garderobe quillt mit Mänteln und Jacken in allen Farben über. Etwa 50 Frauen, darunter viele junge, sind gekommen. Einige sind sogar aus Schweden, Norwegen oder Holland angereist. Jetzt sitzen sie im großen Foyer vor dem Gebetsraum und trinken Tee, essen Kuchen, bis der flötende Aufruf einer hell klingenden Stimme ertönt. Weniger als die Hälfte steht auf, geht in den Gebetsraum, der Rest bleibt sitzen. Sie sind nicht wegen des Freitaggebets gekommen, sondern aus Interesse am Ritual – eine Studentin zum Beispiel schreibt ihre Hausarbeit über den islamischen Feminismus.
Drinnen beginnt das Gebet auf Arabisch. Eine der Betenden trägt ihr Haar unverhüllt. Dann folgt die Predigt, die aufgrund des internationalen Besuchs auf Englisch, nicht auf Dänisch, gehalten wird. Es geht um dunkle Materie und dunkle Energie, um Wissenschaft und um ihre Grenzen – ein mystischer Vortrag über den Sinn des Lebens. Die Frauen sind Anhängerinnen des Sufismus, einer Strömung im Islam, die sich durch eine spirituelle Orientierung charakterisiert.
Gegründet wurde die Mariam-Moschee von der Soziologin Sherin Khankan, einer von sechs selbst ernannten Imaminnen, die hier in Kopenhagen islamische Dienste anbieten. Drei Ziele hat sie für das Glaubenshaus: Es soll die patriarchale Strukturen der Religion niederschmettern, der wachsenden Islamophobie entgegentreten und eine aufgeklärte Alternative zum radikalen Islam darstellen.
Eine aktive Rolle
Khankan ist die Tochter einer finnischen Christin, die für die Jobsuche nach Dänemark einwanderte, und eines syrischen Muslims, der einst als politischer Flüchtling kam. Sie studierte religiöse Soziologie und Philosophie in Dänemark, Ägypten und Syrien und befindet sich gerade in ihrer Ausbildung zur Therapeutin.
Die 42-Jährige hat blaugrüne Augen und enthüllt im Anschluss der Predigt ihr hüftlanges hellbraunes Haar. Man schaut Khankan gern an. Ihr Make-up ist dezent, abgesehen von einem dicken schwarzen Lidstrich. Ihr geblümtes Kleid in Lila reicht bis zum Boden und wippt bei jedem ihrer Schritte mit. Und man hört ihr gern zu. Sie spricht überlegt und eloquent, mit sanfter Stimme. „Eine weiblich geführte Moschee kann das Bild über den Islam verändern“, sagt sie, „weil sie die Idee, der Islam sei frauenverachtend, einfach erschwert. Wir sind handlungsfähige Frauen, die eine aktive Rolle in ihrem Glauben einnehmen.“
Die Mariam-Moschee ist die erste weiblich geführte islamische Gebetsstätte in Skandinavien und eine von wenigen dieser Art weltweit. Finanziert wird sie von einem privaten Geldgeber: dem bekannten dänischen Fotografen Jacob Holdt. Holdt und Khankan kennen sich seit 15 Jahren, so lange schreibt sie auch über den Islam für dänische Medien. 2001 gründete sie den Verein der Kritischen Muslime, den sie auflöste, weil er sich nach 9/11 viel mehr damit beschäftigt habe, den Islam zu verteidigen, als inhaltlich zu arbeiten. Im letzten Jahr aber, es sei es an der Zeit gewesen, wieder aktiv zu werden, entwickelte sie die Idee für ein weiblich geführtes Gebetshaus. Holdt war Feuer und Flamme und fand für Khankan die Räume im Zentrum Kopenhagens.
Kritik
Sherin Khankan betont, dass sie mit der Moschee progressiven Idealen folgt, doch als Reformatorin sieht sie sich nicht: „Weibliche Imame sind in unserer Geschichte begründet, das wissen viele nicht. Unser Prophet Mohammed hat patriarchalische Strukturen infrage gestellt und erlaubte auch Frauen die Predigt. Es geht uns daher viel mehr um eine Wiedererweckung der Ursprünge unserer Religion.“
Doch das sehen nicht alle so. Laufend entgegnen ihr Traditionalisten: „Wer bist du, dich eine Imamin zu nennen?“ Oder: „Ein Imam muss ein Mann sein.“ Und auch ihr eigener Vater, den sie selbst als feministische Ikone bezeichnet, tadelte anfangs ihren Entschluss, Imamin zu werden: „Du trägst doch nicht einmal das Kopftuch.“ Mittlerweile steht er zu seiner Tochter und kann damit leben, dass sich ein Großteil seiner Freunde ihretwegen von ihm abwandte.
Auch innerhalb des Feminismus findet Sherin Khankan Kritikerinnen und Kritiker. Sie bemängeln, dass am Freitagsgebet der Mariam-Moschee nur Frauen teilnehmen dürfen, und argumentieren, dass die Segregation kein feministischer Fortschritt sei. Khankan selbst wollte ursprünglich ein inklusives Angebot, bei dem Frauen für beide Geschlechter vorbeten, doch die Mitglieder der Moschee sprachen sich in der Überzahl für einen Ausschluss von Männern aus. „Ich akzeptiere das als Kompromiss, wir sind hier schließlich demokratisch. Wenn man etwas verändern will, dann geht man einen Schritt nach dem nächsten“, sagt Khankan.
Ob ihr Angebot zu progressiv oder nicht progressiv genug ist, darauf möchte sie keinen Fokus legen. Ihr ist wichtiger, dass Frauen sich hier wohlfühlen und gehört werden. Deshalb bietet die Mariam-Moschee eine islamische Seelsorge an, die zwar Männern und Frauen offensteht, aber besonders für Frauen wichtig ist: „Wenn sie postnatale Depressionen oder Fehlgeburten erleben, häusliche Gewalt erfahren oder über sexuelle Themen sprechen möchten, öffnen sie sich eher einer Imamin als einem Imam“, sagt Sherin Khankan.
Die Islamic Spiritual Care, wie der Dienst auf Englisch genannt wird, findet immer freitags nach dem Gebet statt. Erst kürzlich wurde Khankan von einer Mutter mit ihrer Tochter besucht. Die Tochter outete sich als bisexuell, zum Kummer der religiösen Mutter. Antworten für die Situation der beiden Frauen fand die Imamin im Koran. Welchen Rat sie gab, verrät sie nicht. Bloß, dass sie den beiden helfen konnte.
Eheverträge
Bereits fünf Ehen hat Khankan initiiert, zwei davon waren interreligiös. Für Eheschließungen erstellte die Mariam-Moschee einen eigenen Vertrag, der Mehrehen ausschließt, ein geteiltes Sorgerecht nach einer Trennung festlegt und Scheidungen auch dann erlaubt, wenn nur die Frau diese verlangt – eine unübliche Praxis im Islam, die eigentlich die Einwilligung beider Parteien erfordert. „Wir hätten gern, dass diese Art von Eheverträgen in allen Moscheen eingeführt wird“, sagt Khankan. Auch zwei Scheidungen wurden hier schon vollzogen, beide waren von Frauen initiiert.
In Kürze soll in den Räumen auch eine Akademie gegründet werden, die die islamische Seelsorge vermitteln und auch den Sufismus, islamischen Feminismus und die arabische Sprache lehren will. Die Weiterbildung innerhalb der Mariam-Moschee ist ein wichtiges Unterfangen, denn die Imaminnen begreifen sich alle noch als Auszubildende, inklusive Khankan: „Ich wusste anfangs nicht, wie das alles funktioniert. Es fühlt sich insgesamt wie eine Reise an, die wir gerade erst angetreten sind.“
Das Eingeständnis der eigenen Unerfahrenheit nutzen Kritikerinnen und Kritiker, um der Moschee und ihren Imaminnen die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Doch Sherin Khankan möchte niemandem etwas beweisen: „Für mich zählt, dass unser Angebot von Frauen – und auch Männern – gesucht wird. Darin allein liegt unsere Daseinsberechtigung.“ Auch in der Organisationsstruktur der Religion liegt eine besondere Legitimität begründet: Anders als im Christentum gibt es im Islam keine Hierarchien. Gläubige dürfen die heilige Schrift so auslegen, wie sie sie verstehen. Deshalb kann die Ausbildung zur Imamin oder zum Imam auch autodidaktisch erfolgen. An die Vorbeterinnen in der Mariam-Moschee stellt Khankan aber gewisse Ansprüche. Alle Frauen müssen einen Master-Abschluss vorweisen, zum Beispiel in Arabisch oder in Islamwissenschaften.
Und diese fangen im Kleinen an. „Alle Frauen, die heute hier sind, gehen heim, mit Erkenntnissen, die sie ihrer Familie am Esstisch weitergeben, darüber mit ihren Männern und ihren Vätern sprechen, und die vielleicht Kinder haben, die dabei zuhören.“ Sherin Khankans Weg scheint bescheiden, doch ihr Ziel ist ehrgeizig: „Was in einer Moschee passiert, hat Auswirkung auf das Leben der Menschen, auf ihren Alltag. Dort beginnen wir – und werden so die Gesellschaft verändern.“
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