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Französischer Linkspolitiker auf YouTubeUnterwegs in der fachosphère

Das Netz gilt als Agitationsplattform des Front National. Nun aber wehrt sich Jean-Luc Mélenchon, Präsidentschaftskandidat der Linken.

Jean-Luc Mélenchon bei einem Auftritt im September Foto: dpa

Monologe halten ist einfach Jean-Luc Mélenchons Ding. Das ist wohl der wichtigste Grund, warum der YouTube-Kanal des linken französischen Präsidentschaftskandidaten seit Oktober diesen Jahres durch die Decke geht.

Mit über hunderttausend Abonnenten hat der in Deutschland wenig bekannte 65-jährige Vorsitzende des Parti de Gauche mit seinen Wochenrückblicken die Klicks von Marie Le Pen und dem Front National bei Weitem übertroffen. Le Pen war bislang die einzige Politikerin, die – mit Hilfe extrem rechter Seiten wie Fdesouche – als Internetphänomen in aller Munde war. Die Medien sprechen bereits von fachosphère.

Mélenchon aber hat spätestens seit Oktober dieses Jahres den digitalen Gegenangriff gestartet. In dem ersten Video der Reihe „revue de la semaine“ noch zurückhaltend, fast schüchtern, wird er von Beitrag zu Beitrag selbstbewusster und steht spätestens ab dem dritten Wochenrückblick mit Körper und Sprache für seinen Wahlslogan „Ungehorsames Frankreich“.

Inszeniert als linker Intellektueller, sitzt er während seinen 20-minütigen Monologen auf einer schwarzen Ledercouch, eingerahmt von Wahlwerbung seiner Partei. Links vor ihm stapeln sich wissenschaftliche Bücher, während er lässig die Beine übereinanderschlägt und mit der Politik, Gesellschaft und natürlich der Europäischen Union abrechnet.

Eine neue französische Verfassung

Die durchschlagende Stimme des „Ungehorsamen Frankreich“ im Netz zu sein, verdankt Mélenchon seinem 27-jährigen Kampagnenmanager Antoine Nicolas. Dieser hat Mélenchon exzellent gebrieft: Nie vergisst der 65-Jährige darauf hinzuweisen, wie das mit dem kleinen blauen Daumen funktioniert, um das Video zu liken und wie man seinen YouTube-Channel abonniert. Mélenchon spricht über aktuelle Themen, die vor allem den kleinen Mann und die kleine Frau in Frankreich bewegen: Armut, soziale Sicherheit, die Macht der multinationalen Unternehmen, die verhasste Verschärfung des Arbeitsrechts durch die Ministerin Myriam El Khomri, über Gentechnik und Ceta.

Das alles integriert er in sein politisches Programm. Mélenchon will die Wochenarbeitszeit verringern, den Mindestlohn erhöhen und ein Volksparlament ins Leben rufen, das eine neue französische Verfassung entwirft.

Um seine Standpunkte zu verdeutlichen, benutzt er die feinste Form des Populismus – rhetorische Fragen. In seiner aktuellen Wochenrückschau sagt er etwa zum Thema der Autorisierung der Gentechnik durch die Europäische Union: „Mögen sie Pestizide? Mögen Sie alle diese Produkte, die sie essen, die mit Pestiziden verseucht sind? Wissen Sie, dass das einen Einfluss auf ihre Fruchtbarkeit haben kann? Nein, das mögen Sie nicht.“

Überheblich und cholerisch

Mélenchon bedient sich einer Sprache, die die Arbeiter_innenschaft ansprechen und gleichermaßen die jungen Leute abholen soll. Er redet sich in Rage und präsentiert sich als linker Retter der Nation. So sagt er, ebenfalls in Bezug auf Gentechnik, „wenn ich nicht darüber spreche, dann würde ja niemand darüber sprechen“. Das populistische Mittel der radikalen französischen Rechten „Wir gegen die“ nutzt auch der linke Politiker, wenn er die politischen Autoritäten beschimpft.

Mélenchon ist für seine überhebliche und cholerische Art bereits bekannt. Im Europaparlament hat er dadurch das eine oder andere Mal für einen Fauxpas gesorgt. YouTube bietet ihm nun das ideale Medium, ohne nervige Unterbrechung fragender Journalist_innen seine Meinung kundzutun.

Erstaunlich ist, dass er das Thema Migration in seinen YouTube-Videos bislang komplett ausklammert. Dabei hatten seine Aussagen bezüglich der Einwanderungs- und Flüchtlingsfrage in den letzten Monaten für Unmut gesorgt. So verkündete Mélenchon im August, dass Migrant_innen den französischen Arbeitern „das Brot stehlen“ und denunzierte Geflüchtete als Scheinasylant_innen.

Damit übernahm er den Diskurs der Rechten. Solche Parolen bilden dann eben keineswegs ein Gegengewicht zur fachosphère. Man kann gespannt sein, ob Mélenchon sich an dieses Thema als YouTube-Star noch herantraut und sein Kanal dann weiter steil nach oben gehen wird.

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6 Kommentare

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  • Ich wäre nicht so streng und nicht sagen dass, die taz sich mit so einem Artikel diskrediert, aber unkorrekt ist der Artikel:

    1. Durch den Titel (und dabei das schöne Foto) lässt man denken, dass Mélenchon nach Faschismuss neigt: er ist der Einzelne Politiker, der sich vertraut hat, Marine Lepen in Ihren Hochburg in 2012 herauszufordern.

    2. Es wird gar nicht mentionniert, dass Mélenchon seit über zehn Jahren für den Austritt aus Kernernergie (70% des Frz. Stroms) engagiert hat und dass die Zentralaxe seines Programms sich um Ökologie dreht.

    3. Das Wort Populismuss entspricht gar nicht die Bedeutung, dass man in Deutschland versteht: es geht nicht um ein Volk sondern um die Bewegung des Volks, das seine Souverintät zurücknimmt.

    4. Migranten: er meint, dass wir mit dem Krieg in Lybia, Irak und Syria verantwortlich sind und dass diese Menschen eine unertragbare Lage fliehen: "wir würden an Ihrer Stelle das Gleiche tun" sagt er.

     

    Ja, diese Art sein Programm und seine Personne zu präsentieren ist genau der Grund, der ihn dazu geführt hat, eine alternatives Medien zu nutzen und die offiziellen Medien zu vermeiden.

     

    Entschuldigung für mein ungenaues Deutsch ;-)

  • Die taz kann es nicht lassen, und diskreditiert sich immer mehr als "alternatives Medium". Die Vorwürfe des „Populismus“ zwischen den Zeilen sind kaum zu überlesen. Ist der Autorin eigentlich bewusst welche „Alternativen“ in Frankreich gegen Mélechon stehen?

  • Dieser Artikel ist an Hochnäsigkeit kaum noch zu überbieten. Die AfD wird's freuen.

  • Endlich mal jemand, der eine ernstzunehmende Attacke von Links gegen den Einheitsbrei neoliberaler Wirtschaftspolitik, alternativloser Bankenrettungen und gleichzeitigem Abbau der Sozialsysteme fährt.

     

    Sollte er damit in Frankreich Erfolg haben (was leider unwahrscheinlich ist), müssten sich die Verfechter des ewigen "Weiter so" von Draghi bis Merkel warm anziehen.

  • Jean-Luc Mélenchon könnte nutzen, was Francois Holland angerichtet hat: Ein Vakuum auf der Linken - eine planlose, ungesteuerte Parti Socialiste, die den Weg für die Linke freimachten könnte. Jean-Luc Mélenchon ist ein beeindruckender Redner, der 120 Minuten ohne Manuskript reden kann. Wenn Valls gegen ihn antritt, wird er keinen Stich sehen, weil er einfach eine rechte-stagnative Politik verkörpert. Valls hat eigentlich gar keine Ideen - ist ein Apparatschik ohne echte Popularität.

  • Guter Artikel. Danke. Das Thema "wer hat die (politische) Lufthoheit im soziale Netzwerke" gilt auch für Deutschland. In Frankreich haben zur Zeit die Rechten deutlich die Nase vorn. Leider nur für französischsprachige aber sehr interessant und mit Zahlen : https://blogs.mediapart.fr/antoine-bevort/blog/211016/les-trente-sites-politiques-francais-ayant-le-plus-d-audience-sur-le-web-0?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=Sharing&xtor=CS3-67