piwik no script img

Frankreichs Rolle bei Ruandas VölkermordÉlysée-Kritiker verurteilt

Ein ehemaliger französischen Offizier hinterfragt Frankreichs Rolle im Völkermord von Ruanda – und wird wegen Beleidigung verurteilt.

Kigali, Ruanda: Gedenken auf Französisch in der Völkermordgedenkstätte Foto: Ben Curtis/ap

Brüssel taz | Ein Gericht hat einen ehemaligen französischen Offizier verurteilt, der sich kritisch über Frankreichs Rolle im Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 geäußert hat. Die 17. Gerichtskammer von Paris verurteilte den ehemaligen Oberstleutnant Guillaume Ancel am Montag zu 2.000 Euro Geldstrafe auf Bewährung wegen Beleidigung des ehemaligen französischen Außenministers Hubert Védrine.

Ancel hatte auf Twitter und in sozialen Netzwerken den von Präsident Emmanuel Macron in Auftrag gegebenen und 2021 veröffentlichten Untersuchungsbericht der Duclert-Historikerkommission über Frankreichs Ruanda-Politik vor und während des Völkermords von 1994 kommentiert. Frankreich hatte Ruandas Hutu-Regierung, die gegen Tutsi-Rebellen kämpfte, in den Jahren davor immer stärker militärisch und politisch unterstützt. Der Duclert-Bericht legte auf Grundlage einer Archivforschung dar, wie eng die Beziehungen zwischen Paris und Kigali damals waren.

Ancel wies danach darauf hin, dass der Bericht dem damaligen französischen Präsidenten François Mitterrand eine „schwere und überwältigende Rolle“ bei der Formulierung dieser Politik zuschrieb und dass Védrine damals Generalsekretär des Élysée-Palasts war, Amtssitz des französischen Präsidenten. Später wurde der Sozialist Védrine französischer Außenminister. In seiner Élysée-Funktion, schrieb Ancel, war Védrine „eine Schlüsselfigur“ der französischen Politik und „zweifellos der engste Berater Mitterrands“.

Dies hätten auch andere bestätigt, etwa der ehemalige französische Botschafter in Ruanda, Antoine Anfré, der in einer Gedenkwidmung für die Opfer des Völkermords geschrieben hatte: „Der Völkermord an den Tutsi wäre nicht geschehen, wenn wir eine andere Politik gehabt hätten.“ Ancel schrieb in seinem Blog: „Hubert Védrine ist zweifellos einer der letzten Verantwortungsträger jener Zeit, der erklären könnte, wie wir solche Irrtümer begehen konnten, denn sie haben zu dieser fürchterlichen Politik im Namen Frankreichs geführt.“

Der Ex-Außenminister klagte wegen Beleidigung

Ancel wurde daraufhin von Védrine wegen Beleidigung verklagt und schrieb auf seinem Blog im vergangenen Februar, der Exminister wolle nicht nur ihn „zum Schweigen bringen“, sondern jede Infragestellung seiner Rolle in Ruanda verhindern. Das Gericht hat Ancel nun wegen Beamtenbeleidigung verurteilt. Er muss die inkriminierten Veröffentlichungen zurückziehen, einen symbolischen Euro Wiedergutmachung an den Kläger zahlen, und eine Geldstrafe von 2.000 Euro ist auf Bewährung ausgesetzt. Das Gericht urteilte, der Beschuldigte habe „die erlaubten Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten“.

Védrine begrüßte das „starke“ Urteil als „Gelegenheit, zu bekräftigen, dass Frankreich weder Komplize noch Verantwortlicher des Völkermords an Ruandas Tutsi ist“.

Gegenüber der taz findet Ancel diese Reaktion befremdlich. „Hubert Védrine instrumentalisiert die Gerichtsentscheidung, die sich nur auf Beleidigung bezieht und nicht auf seine Rolle in der Affäre der Unterstützung der Völkermörder in Ruanda durch den Élysée“, sagt er. „Die Duclert-Kommission hat die ‚schwere und überwältigende‘ Verantwortung dieser Politik des Präsidenten Mitterrand festgestellt, leider ohne die persönliche Verantwortung seiner Mitarbeiter festzustellen.“

Die Diskussion werde weitergehen, so Ancel: „Diese Gerichtsentscheidung wird die Debatte über Hubert Védrins Rolle in der Politik des Élysée unter François Mitterrand, die zu dem französischen Desaster in Ruanda geführt hat, nicht schließen – eine Politik, die einen vorhersehbaren Völkermord möglich gemacht hat, aber für die niemand verantwortlich ist“, fasst er die aus seiner Sicht unzureichenden Schlussfolgerungen des Duclert-Berichts zusammen. „Hubert Védrine wird sich vor der Geschichte verantworten müssen. Ob ich dabei bin, ist unwichtig.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ach so - J. Assange Nr. 2