Frankreich verbietet Verschleierung: Burka nur noch beim Karneval
Die französische Regierungspartei UMP will die vollständige Verschleierung von Musliminnen verbieten. Kritiker warnen vor einer Stärkung religiöser Fanatiker.
PARIS taz | Wird Frankreich nach dem islamischen Kopftuch in staatlichen Schulen auch die Verschleierung von Kopf bis Fuß mit einer "Burqa" oder "Niqab" in der Öffentlichkeit generell verbieten? Das ist jedenfalls die Absicht der Regierungspartei UMP. Ihr Vorsitzender in der Nationalversammlung, Jean-François Copé, hat angekündigt, er werde im Namen der Parlamentsmehrheit gleich zu Jahresbeginn eine entsprechende Gesetzesvorlage einbringen. So dringend scheint dieses Thema zu sein.
Nun handelt es sich bei der Totalverschleierung nicht gerade um ein Massenphänomen. Laut Angaben der Polizei soll es derzeit in ganz Frankreich 1.900 Frauen geben, die sich völlig verschleiern. Auf Initiative des kommunistischen Bürgermeisters des Lyoner Vororts Vénissieux, André Gérin, befasst sich bereits seit dem Frühling eine parlamentarische Kommission mit diesem anstoßerregenden Schleier. Sie sollte eigentlich nach der Anhörung von Experten, Vertretern religiöser Gemeinschaften und direkt Betroffenen entscheiden, in welcher Form die weltliche Republik die Menschenwürde gegen diese frauenfeindliche Verschleierung verteidigen soll. Nun kam die UMP den Schlussfolgerungen dieser Beratung zuvor.
Auf Wunsch der Regierung soll das französische Parlament bei der Verabschiedung eines Verbots tunlichst den Eindruck vermeiden, dass es sich da um eine einseitige Repressionsmaßnahme gegen den Islam handle. Das hätte unweigerlich Beschwerden über Einschränkungen der Religionsfreiheit beim Europäischen Menschenrechtsgericht zur Folge. Daher wird der Gesetzestext sehr allgemein und ohne jeden religiösen Bezug verfasst. Er soll der Bevölkerung generell verbieten, das Gesicht in der Öffentlichkeit völlig zu verdecken, außer beim Karneval oder als Schutz bei extremen klimatischen Situationen.
Natürlich wird so um den heißen Brei herumgeredet, weil alle wissen, dass der Gesetzgeber von Anfang an ein Burka-Verbot im Sinne hatte. Diese Formulierung erlaubt es, fast nebenbei und im Namen der Menschenwürde und der Emanzipation der Frau, ein Vermummungsverbot für Demonstranten zu verhängen, ähnlich wie es in Deutschland bereits existiert.
Zahlreiche Sprecher des Islam in Frankreich hatten betont, die völlige Verschleierung sei kein religiöses Gebot, sondern bloß eine regionale Tradition, die von der überwiegenden Mehrheit der Muslime abgelehnt werde. Doch befürchten sie, dass ein gesetzliches Verbot den Fanatikern, die sich und ihre Angehörigen ohnehin schon von der französischen Gesellschaft isolieren, nur unnötig Argumente liefere.
Geteilter Meinung über den Nutzen eines Verbots sind die oppositionellen Sozialisten. Eine leidenschaftliche Debatte, wie früher beim Kopftuch der Schülerinnen, zeichnet sich ab. Auch innerhalb der UMP ist das Burka-Verbot noch umstritten. Bei einer Debatte unter UMP-Parlamentariern über das Verschleierungsverbot am Dienstagabend verließ die Staatssekretärin Nora Berra protestierend den Saal, weil der ehemalige Justizminister Pascal Clément angeblich gesagt habe, wenn es in Frankreich dereinst ebenso viele Minarette haben werde wie Kathedralen, sei das nicht mehr Frankreich.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen