Frankreich und sein Einbürgerungsrecht: Gilt bald „Blut statt Boden“?
Auf Mayotte soll das Einbürgerungsrecht geändert werden. Statt des Geburtsorts soll die Abstammung zählen – um so Migration zu verhindern.
Bei seinem Besuch in der ostafrikanischen Ex-Kolonie – die seit 2011 als 101. Departement in die französische Republik integriert ist – hat er am Sonntag eine Verfassungsänderung gewünscht, mit der das geltende französische Einbürgerungsrecht für Mayotte außer Kraft gesetzt werden solle. Damit möchte er die illegale Einwanderung aus den benachbarten Komoren stoppen. Frauen von der Inselgruppe versuchen, ihre Kinder auf Mayotte zu gebären – die so das Recht auf einen französischen Pass erhalten.
Der Innenminister spricht selber von einer „radikalen Maßnahme“, die er auf dem Inseldepartement aber für angebracht hält: Wer nicht das Kind französischer Eltern sei, soll nicht mehr qua Geburt Franzose werden können. So wolle man die Attraktivität von Mayotte für Einwanderer in der Region beenden. „Es soll künftig nicht mehr möglich sein, auf legale oder illegale Weise nach Mayotte zu kommen und ein Kind auf die Welt zu bringen, in der Hoffnung, so Franzose zu werden“, erklärte er.
Anders als in Deutschland gilt in Frankreich das Jus soli, seit Jahrhunderten. Auf französischem Boden geborene Kinder zugewanderter Familien sollen – so die Tradition – als Staatsbürger integriert werden. Diese Besonderheit wurde in den Verfassungen des 19. Jahrhunderts verankert, als Frankreich im Vergleich zu Deutschland weniger Geburten verzeichnete. Einbürgerungen wurde damals begrüßt, um Frankreich zusätzliche Soldaten zu verschaffen, und später dann, um benötigte Arbeitskräfte sicherzustellen. Die Einbürgerung aufgrund der Geburt – und nicht der Familienherkunft – wurde bisher kaum ernsthaft infrage gestellt.
Vorschlag gibt Rechten Aufwind
Wie Darmanin selber erklärte, wäre dazu heute eine Verfassungsänderung erforderlich. Die beiden Parlamentskammern müssten einem Text mit dem Wortlaut zustimmen, und die Verfassungsrevision müsste anschließend vom Kongress mit einer Dreifünftelmehrheit verabschiedet werden – keine leichte Angelegenheit. In die Proteste gegen Darmanins Ansinnen mischt sich darum die Hoffnung, dass ein solcher Einschnitt in die Grundrechte – mit kaum verhehlten ausländerfeindlichen Hintergedanken – keine Mehrheit der Abgeordneten und Senatoren erhalten dürfte. Sie könnte daher mehr Rhetorik als Realpolitik sein.
Jordan Bardella, RN
Dennoch hat der Innenminister mit seinem Vorstoß den Rechten Aufwind gegeben. Das Anrecht auf die Staatsbürgerschaft qua Geburt sei „für Afrika eine Waffe der massiven Einwanderung“, argumentiert etwa der rechtsextreme ehemalige Präsidentschaftskandidat Eric Zemmour. Er will noch weiter gehen als Darmanin und das Jus soli überall in Frankreich durch das Jus sanguinis – das Abstammungsprinzip – ersetzen. Damit wäre „Blut“ statt „Boden“ das Kriterium für einen französischen Pass. Das möchte auch Jordan Bardella, Parteichef des Rassemblement national (RN): „Warum soll das in Mayotte möglich sein, nicht aber in ganz Frankreich?“, fragt er, höchst erfreut über die Debatte, die der Innenminister eröffnet hat.
Dass die extreme Rechte so reagieren würde, war erwartbar. Auch der Chef der konservativen Partei Les Républicains (LR), Eric Ciotti, der sich in der Rolle des Hardliners in der Immigrationspolitik gefällt, fordert ohne zu zögern: „Das Recht aufgrund der Geburt auf unserem Boden muss auf dem ganzen Territorium abgeschafft werden.“ Was derzeit auf Mayotte das Zusammenleben gefährde, drohe morgen das europäische Frankreich einzuholen, befürchtet er.
Bisher hatte Staatspräsident Emmanuel Macron ausgeschlossen, an verbrieften Grundrechten wie dem Jus soli zu kratzen. Da er aber im Parlament keine Mehrheit hat, braucht seine Regierung die Stimmen von rechts und notfalls auch von ganz rechts. Die Verabschiedung des von den rechten Fraktionen verschärften Immigrationsgesetzes zeigt: Macron ist bereit, sich ziemlich weit nach rechts zu lehnen, so es ihm dient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge