Frank-Walter Steinmeier in Griechenland: „Ich empfinde Entsetzen und Scham“
Frank-Walter Steinmeier besucht als erstes deutsches Staatsoberhaupt Kreta und wird mit Kriegsverbrechen und Entschädigungsforderungen konfrontiert.
![In Kandanos auf Kreta konfrontieren Überlebende und ihre Nachkommen den Bundespräsidenten in drei Sprachen mit der Forderung nach Entschädigung In Kandanos auf Kreta konfrontieren Überlebende und ihre Nachkommen den Bundespräsidenten in drei Sprachen mit der Forderung nach Entschädigung](https://taz.de/picture/7329709/14/36908519-1.jpeg)
Dass Steinmeier nach Kandanos gekommen ist, hat große Symbolkraft. Erstmals stattet ein deutscher Bundespräsident Kreta einen offiziellen Besuch ab. Er findet an diesem warmen letzten Oktobertag unter drakonischen Sicherheitsvorkehrungen statt: Polizeikräfte sind in der Gegend verstreut, Autos werden vom Dorfplatz entfernt.
Anwesend sind Kretas Regionalgouverneur, Parlamentsabgeordnete, Bürgermeister aus ganz Kreta, Vertreter der griechischen Streitkräfte und Organisationen, die Entschädigungen für die Gräueltaten der Deutschen in der Besatzungszeit fordern.
Auf einem Transparent, das vier sehr alte Griechen halten, steht auf Griechisch, Deutsch und Englisch: „Gerechtigkeit und Entschädigung“. Steinmeier spricht mit Überlebenden. Sie sprechen ihn auf Wiedergutmachung an und auf die Gerechtigkeit, die für die deutschen Verbrechen geschaffen werden müsse.
„Jetzt richten Sie uns zum zweiten Mal hin“
„Ich will nicht die Hand des Schlächters ergreifen“, sagte der Nachkomme eines Überlebenden zu Steinmeier. Aus der Menge kommen Rufe nach Gerechtigkeit. „Vor achtzig Jahren haben Sie unsere Eltern hingerichtet. Jetzt richten Sie uns zum zweiten Mal hin“, ruft ein anderer Nachfahre eines NS-Opfers.
Nach der Kranzniederlegung hält Steinmeier eine mit Spannung erwartete Rede in der Holocaust-Gedenkstätte von Kandanos. „Ich empfinde Entsetzen und Scham. Die Inschriften von Kandanos dokumentieren, wie rücksichtslos der deutsche Eroberungskrieg war. Ich besuche heute diesen Ort der deutschen Schande. Überall in Europa gibt es Orte wie diesen. Einige sind besser bekannt, andere sind vergessen. Deshalb ist es so wichtig, heute hier zu sein“, sagt Steinmeier. „Heute möchte ich im Namen Deutschlands um Vergebung bitten“, sagte er auf Griechisch.
Eine große Geste. Mehr nicht. Über die griechischen Reparationsforderungen, am Mittwoch in Athen von seiner Gastgeberin, Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou sowie Premier Kyriakos Mitsotakis vorgetragen, verliert er kein Wort.
Warum genau Deutschland die Sache für „abgeschlossen“ hält, wie er am Mittwoch knapp erwiderte, wollte Steinmeier nicht ansatzweise erläutern. Das ist die konstante Taktik der deutschen Seite in der heiklen Causa griechischer Reparationsforderungen.
Steinmeier setzt mit Zukunftsfonds auf Erinnerungspolitik
Steinmeier setzt, die deutsche Position vertretend, auf eine Erinnerungspolitik. Dazu zählen im Fall Griechenland unter anderem ein sogenannter Zukunftsfonds. Das Prinzip: Mit deutschen Geldern werden Projekte zur Versöhnung und der Erinnerungskultur finanziert. Doch wie Der Spiegel nun berichtet, drohen dabei nun in Griechenland und Italien „empfindliche Kürzungen“.
Im laufenden Jahr habe die Bundesregierung laut Spiegel den deutsch-griechischen und den deutsch-italienischen Zukunftsfonds mit je einer Million Euro finanziert. Für 2025 sehe der Haushaltsplan des Auswärtigen Amts indes eine Kürzung um zwei Drittel auf je 300.000 Euro vor. Grund seien die Sparvorgaben von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
Donnerstagnachmittag besuchte Steinmeier noch ein Agrar- und Tourismusprojekt eines großen deutschen Reiseveranstalters.
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