Frank Henkel legt los: Wahlkampf als Wagenburg
Die CDU startet ihren Wahlkampf am Breitscheidplatz im alten West-Berlin-Stil. Spitzenkandidat Frank Henkel kennt nur zwei Themen: Innere Sicherheit und Integration.
Frank Henkel hat gelernt. Am Schluss seiner Rede tritt er einen Schritt vom Mikrofon zurück, dann geht er nach vorne, an den Bühnenrand. Kurz verbeugt er sich, ballt die rechte Hand zur Faust, legt sie ans Herz - und öffnet sie mit weiter Geste zum Handkuss. In diesem Moment könnte Henkel auch ein Rockstar sein. Doch ein Blick aufs ergraute Publikum zeigt: Hier sprach der Spitzenkandidat der CDU für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus.
Für ihren Wahlkampfauftakt hat sich die CDU am Dienstag mit dem Breitscheidplatz eine Kulisse von einiger Symbolik gesucht. Hinter der Bühne ragt, einem Fingerzeig gleich, der Bau des Zoofensters in den Himmel. Das Hochhaus steht wie die ganze City West für ein Happy End mit Verzögerung. Lange sah es so aus, als passiere gar nichts, dann plötzlich ging alles ganz schnell.
So wünscht es sich wohl auch die CDU. Zu Beginn seiner Rede verspricht sich Frank Henkel: "Ich bleibe dabei, was ich bei Amtsantritt gesagt habe: Ich will da aufräumen, wo Berlin nicht mehr funktioniert." Nein, rückt da der CDU-Kreisvorsitzende von Charlottenburg-Wilmersdorf zurecht. Die Wahl hat noch nicht stattgefunden, und Frank Henkel ist auch nicht im Amt des Regierenden Bürgermeisters. Der Kreisvorsitzende sagt: "Heute brechen die letzten Tage der Regierung von Klaus Wowereit an."
Die Götterdämmerung des Regierenden Bürgermeisters beginnt mit Hilfe von oben. Petrus hält seinen Laden dicht, schwül ist es, es glühen nackte Oberschenkel. Frank Henkel bleibt cool. Weißes Hemd, randlose Brille, keine Krawatte. Sommer, Sonne, Sunnyboy: So sieht er auch auf den neuen Plakaten aus. Plakate für Wechselwähler. Am Breitscheidplatz sind die Christdemokraten unter sich.
Frank Henkel greift an. "Berlin ist nicht nur kreative Szene. Berlin, das sind auch die Handwerker, die Polizisten, die Krankenschwestern und Lehrer", zischt er seinem Publikum zu. "Alles Leute, die von Rot-Rot benachteiligt wurden." Hinter den Bierbänken und Stehtischen, die die CDU-Welt vom Rest des Platzes abschirmen, lungern paar Penner und Punks. Sie verziehen keine Miene. Auch die Polizei bleibt locker.
Frank Henkel und der Breitscheidplatz. Das ist auch die Symbolik des alten West-Berlin - ein Wahlkampf aus der Wagenburg. Drinnen sind rüstige Rentner, adrette Angestellte, ein Hauch von Ku'damm. Draußen wartet die Bedrohung. Frank Henkel sagt: "Es kann nicht sein, dass manche als Berufswunsch Hartz IV nennen." Wie gut, dass die Wagenburgler beim Gang aufs Klo nicht durch den Pöbel müssen. Die Wall AG hat der CDU eine unterirdische Toilette zur Verfügung gestellt. Rein kommt nur, wer ein blaues CDU-Bändchen ums Handgelenk trägt.
Frank Henkel ist nett. Wenn er mit der taz spricht oder mit Volker Ratzmann von den Grünen. Am Breitscheidplatz sieht er nur nett aus. Provoziert. Reizt. Spricht von der schleichenden Gewöhnung an brennende Autos. Sagt, dass man die Probleme nicht weglächeln oder wegtanzen könne. Fordert Null Toleranz gegen die Verwahrlosung der Stadt. Hat sein Thema gefunden mit der Inneren Sicherheit und den Integrationsproblemen.
Lange hat der ehemalige Law-and-order-Politiker an seinem Image als geläuterter Liberaler gearbeitet. Pünktlich zum Wahlkampfauftakt konzentriert er sich aufs CDU-Kerngeschäft. "Es kann doch nicht sein, dass Thilo Sarrazin aus Kreuzberg verjagt wird", schimpft er. "Es darf in Berlin keine No-Go-Areas geben."
Kaum hat sich Frank Henkel mit Faust und Handkuss verabschiedet, bedankt sich das Publikum - angeführt von CDU-Fraktionschef Volker Kauder - mit rhythmischem Klatschen. Ein paar Schritte weiter ist davon nichts mehr zu hören. Das Leben der Großstadt geht seinen Gang. Von West-Berlin und Frontstadtatmosphäre erzählen nur noch die Kulissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers