Fragwürdiges MSC-Siegel: Natürlich Krabben fangen
Umweltverbände kritisieren Vergabe des MSC-Siegels an Krabbenfischerei in der Nordsee. Diese erfülle noch immer zu wenige Anforderungen, um nachhaltig zu sein
HAMBURG taz | Die Krabbenfischerei in der Nordsee habe bei der Nachhaltigkeit zwar Fortschritte gemacht, sagt Hans-Ulrich Rösner, „aber es reicht nicht für die Anerkennung als umweltverträgliche Fischerei.“
Und deshalb hat der Leiter des Wattenmeerbüros der Umweltstiftung WWF in Husum Einspruch dagegen eingelegt, dass die Krabbenfischerei vor der Westküste mit dem MSC-Siegel ausgezeichnet werden soll. Die Fischer hätten zwar erfreuliche Verbesserungen eingeleitet, doch werde weiter im Nationalpark Wattenmeer und in anderen Meeresschutzgebieten gefischt.
Nach Ansicht Rösners kann eine Fischerei im Schutzgebiet aber erst als umweltverträglich zertifiziert werden, „wenn sie übereinstimmend mit den Schutzzielen ausgeübt wird“. Dafür jedoch müsse auch der MSC strengere Anforderungen für Fischerei in Schutzgebieten in seinen Standard aufnehmen.
Nähe zur Fischindustrie
Nordseekrabben sind derzeit so teuer wie nie. Auf den St.-Pauli-Landungsbrücken kosten Krabbenbrötchen bis zu 11,50 Euro.
Grund sind die geringen Fänge. Schon 2016 hatten die Krabbenfischer an der Nordsee einen Negativ-Rekord vermeldet: Im Vergleich zu den 11.000 Tonnen vom Vorjahr hatte sich die Ausbeute 2016 fast halbiert. Zurzeit sieht es nicht besser aus. Selbst 1990, das als letztes Krisenjahr galt, waren die Zahlen nicht so schlecht wie jetzt.
Schuld soll vor allem der Wittling sein: Die kleinen Verwandten des Dorschs haben sich massenhaft vermehrt und fressen die kleinen Nordseegarnelen weg, bevor sie groß genug für die Netze der Kutter sind. Das hat Folgen für Markt und Verbraucher.
Als es 2011 Krabben im Überfluss gab, war der Erzeugerpreis auf bis zu 1,30 Euro pro Kilo gefallen. Im Jahr 2015 waren es im Durchschnitt wieder mehr als 3,60 Euro für ein Kilo, 2016 schon mehr als 8 Euro. Im Juni nun stieg der Erzeugerpreis auf den Rekordwert von 13 Euro pro Kilo.
Der Marine Stewardship Council (MSC) ist eine unabhängige, gemeinnützige und nichtstaatliche Organisation mit Sitz in London, die 1997 vom Lebensmittelkonzern Unilever und dem WWF gegründet wurde. Sie vergibt ein kleines blaues Siegel für nachhaltige Fischerei. Es gilt als einziges weltweit anerkanntes Zertifikat für nachhaltig gefangenen Wildfisch. Verbraucher sollen damit erkennen, dass der Fisch aus gesunden Beständen stammt, der mit umweltfreundlichen und schonenden Methoden gefangen wird.
Mehrere Umweltverbände, vor allem Greenpeace, attestieren jedoch dem MSC zu große Nähe zur Fischindustrie und kritisieren seine Kriterien als zu lasch – jetzt tut dies auch der Mitbegründer WWF.
Nach jahrelangen Anstrengungen hatten Krabbenfischer aus Deutschland, Dänemark und den Niederlanden im Juli eine erste Hürde für das MSC-Siegel genommen. Gutachter im Auftrag des MSC hatten empfohlen, den Krabbenfischern aus Deutschland, Dänemark und den Niederlanden das MSC-Siegel für nachhaltige Fischerei zuzuerkennen. Zuvor waren nationale Anerkennungsversuche in den Niederlanden und Deutschland erfolglos verlaufen.
Beifang muss verringert werden
Zusammen mit dem WWF hätten auch der Naturschutzbund (Nabu) und die Schutzstation Wattenmeer jetzt Widerspruch gegen die Zertifizierung eingelegt. Damit wird ein mehrmonatiger Prozess mit neuen Prüfungen durch unabhängige Gutachter eingeleitet.
Die Vertreter der Krabbenfischer wollen dieses Verfahren nun abwarten und mit den Naturschützern im Gespräch bleiben. Den etwaigen Verzicht auf Fanggebiete lehnen sie jedoch ab: „Wir geben keinen Quadratmeter ab“, sagte Geschäftsführer Dirk Sander von der Erzeugergemeinschaft der Deutschen Krabbenfischer in Cuxhaven.
Der WWF begrüßte zwar die Absicht der Krabbenfischer, sich einer ökologischen Zertifizierung zu stellen. „Krabbenfischerei an unserer Küste muss eine Zukunft haben“, stellte Rösner ausdrücklich klar. Die bisherigen Verbesserungsmaßnahmen reichten aber bei Weitem nicht aus.
„Damit eine Öko-Zertifizierung glaubwürdig wird, muss die Krabbenfischerei in mindestens drei Bereichen besser werden“, so Rösner. Der Schutz des Wattenmeer-Nationalparks lasse sich nur erreichen, wenn auf die Fischerei mit Bodenschleppnetzen verzichtet werde. Nur dann könnten die heute verschwundenen Sandkorallenriffe sich wieder ansiedeln. Zudem müsse die Menge des Beifangs weit stärker verringert werden und die Fischerei sich einer Umweltprüfung nach europäischem und nationalem Naturschutzrecht unterziehen.
Dafür müsse auch der MSC seine Bewertungskriterien verbessern. Selbst zwei Jahrzehnte nach Einführung des Labels sei nicht verbindlich vorgeschrieben, dass die Fischerei in Schutzgebieten erhöhte Ansprüche erfüllen müsse, um nachhaltig und naturverträglich zu sein. „Fischerei in Schutzgebieten braucht besondere Leitplanken“, stellt Rösner klar. Dieses Defizit müsse der MSC beseitigen, um glaubwürdig zu bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos