Fragen und Antworten zum Immunsystem: Immunisier' mich, Baby!
Wie hat unser Immunsystem die Lockdowns überstanden? Helfen Nahrungsergänzungsmittel? Fragen und Antworten zum Abwehrsystem des Körpers.
Wofür haben wir eigentlich ein Immunsystem?
Auch wenn wir uns manchmal so verhalten, sind wir Menschen nicht allein auf der Welt. Wir sind umgeben von Zikantillionen Bakterien, Viren, Pilzen, Giften, Mikroorganismen, von denen sich viele auch in unseren Körper verirren. Unser Immunsystem ist dafür da, fremde Eindringlinge zu erkennen und, wenn sie schädlich für uns sind, zu vernichten.
Und wo befindet sich unser Immunsystem?
Das Immunsystem ist letztlich fast überall – es ist eben ein System aus diversen Komponenten. Es beginnt mit unserer Haut, unserer Spucke, den kleinen Härchen in unserer Nase. Es sitzt als harmlose Bakterien auf Haut und Schleimhäuten. Es fließt als weiße Blutkörperchen in unserem Blut. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Lymphatische System, also die durch den gesamten Körper verlaufenden Lymphgefäße. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Knochenmark, in dem die Immunzellen entstehen, der Thymus, die Milz und die Mandeln, wo die Zellen auf Angriffe warten.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben inzwischen herausgefunden, dass sich fast 70 Prozent des Immunsystems aber im Darm befinden. Schließlich kommt dort täglich zahlreich Fremdes an – in Form unseres Essens.
Wie arbeitet das Immunsystem?
Hier wird es komplizierter, denn es gibt gewissermaßen zwei Immunsysteme, die sehr eng zusammenarbeiten: das angeborene und das adaptive. Das angeborene Immunsystem ist der Typ fürs Grobe, schnell und radikal. Das adaptive Immunsystem lässt sich mehr Zeit, oftmals mehrere Tage. Es analysiert genau und setzt dann ganz gezielt an.
Okay, aber wie funktionieren die beiden nun?
Gelangen schädliche Eindringlinge in unseren Körper, greift zuerst das angeborene Immunsystem ein. Verschiedene Leukozyten, also weiße Blutkörperchen, darunter Fresszellen, Granulozyten und natürliche Killerzellen (die heißen wirklich so!), fressen die Angreifer oder schütten chemische Stoffe aus, um sie zu töten. Wenn das nicht ausreicht, rufen sie weitere weiße Blutkörperchen herbei, die erst mal die Blutgefäße weiten, damit noch mehr Immunzellen das Schlachtfeld erreichen. Das Ergebnis nennt man: Entzündung.
Und was macht das adaptive Immunsystem?
Eine andere Leukozyten-Art, die Dendritischen Zellen, bringen Teile der Eindringlinge in die Lymphknoten und präsentieren sie dort den sogenannten B- und T-Zellen. Diese können dank dieser Information noch viel gezielter angreifen – oder Antikörper bilden. Manche der B-Zellen entwickeln sich außerdem zu langlebigen Gedächtniszellen, mit deren Hilfe das Immunsystem beim nächsten Mal schneller und erfahrener auf dieselben Erreger reagieren kann.
Merken wir, wenn das Immunsystem arbeitet?
Meistens funktioniert es so effektiv, dass wir von etwa 90 Prozent der Infektionen gar nichts mitbekommen. Erst wenn die Erreger besonders fies sind und sich das Immunsystem richtig anstrengen muss, bemerken wir das: Schleimhäute verstopfen, der Körper produziert mehr Schleim, Lymphknoten schwellen an, der Hals tut weh. Weil sich die meisten Keime bei höheren Temperaturen schlechter vermehren, unsere Immunzellen dabei aber besser arbeiten können, kriegen wir außerdem Fieber.
Die britische Immunologin Jenna Macciochi schreibt in ihrem Buch „Das Immunsystem – Der Schlüssel zur Gesundheit“, dass das Immunsystem außerdem Informationen an das Gehirn weiterleitet. Wir zittern, kauern uns zusammen, schlafen mehr – all das seien nützliche Reaktionen auf Infektionen.
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Kann das Immunsystem auch Schaden anrichten?
Das Immunsystem und seine Reaktionen sind für uns lebensnotwendig. Allerdings hat es auch die Aufgabe, diese Reaktionen zu regulieren. Eine Entzündung ist nur kurze Zeit hilfreich für unseren Körper. Bleibt sie zu lange, kann sie Gewebe und sogar Organe schädigen. Hinzu kommt, dass unser Körper nicht alles Fremde bekämpfen soll: Essen oder Föten würden wir meistens doch ziemlich gerne in uns behalten. Das Immunsystem vollführt also immer einen Balanceakt: zu wenig ist nicht gut, zu viel aber auch nicht.
Manchmal kann das Immunsystem auch aus dem Gleichgewicht kommen. Bei einer Autoimmunerkrankung wie etwa Multiple Sklerose ist das Immunsystem zum Beispiel viel zu eifrig und greift sich selbst an. Diese Erkrankungen nehmen immer mehr zu. Auch die Zahl der Menschen, die unter Allergien leiden, wächst. Hier reagiert das Immunsystem viel zu dramatisch auf etwas, was eigentlich total harmlos ist, etwa Pollen oder eine Erdnuss. Zu stark sollte unser Immunsystem also lieber nicht werden.
Haben wir alle das gleiche Immunsystem?
Jedes Immunsystem ist einzigartig. Und das ist auch gut so. Wären alle gleich, könnte eine einzige tödliche Krankheit alle Menschen auslöschen. Das Immunsystem von Frauen funktioniert bis vor den Wechseljahren allerdings besser als das von Männern – klar, Frauen könnten schwanger werden und sollten während der Schwangerschaft und beim Stillen danach möglichst keine Keime an das Kind übertragen. Hat eine Frau Sex und vor allem an ihren fruchtbaren Tagen, wird diese starke Abwehr aber leicht heruntergefahren, wie eine US-amerikanische Studie zeigt. Schließlich sollen mögliche eindringende Spermien oder gar ein Fötus dadurch nicht gefährdet werden. Bei Männern stärkt Sex hingegen das Immunsystem.
Wie gut ist das Immunsystem bei der Geburt?
Ein Baby kommt mit ausreichend Immunzellen zur Welt und hat auch schon im Bauch der Mutter Antikörper produziert. Aber das reicht noch nicht für eine gute Immunabwehr, wenn das Baby plötzlich in einer Umgebung landet, in der unzählige Mikroorganismen die gesamte Körperoberfläche einnehmen. Deshalb hat es zusätzlich in den letzten Wochen der Schwangerschaft Antikörper der Mutter über die Plazenta übertragen bekommen und erhält beim Stillen weitere, die es in den ersten Monate schützen werden.
Einmal in Kontakt mit all den Bakterien, Viren und Pilzen, fängt das Baby an, sein Immunsystem immer weiter zu entwickeln. Deshalb ist es so wichtig, ihnen in frühen Jahren ausgesetzt zu sein. Also: Erde essen, in der Nase popeln, alles Mögliche in den Mund stecken – all das trainiert das Immunsystem. Mit etwa fünf Jahren ist es bereits weitestgehend ausgebildet.
Muss das Immunsystem wieder trainiert werden, wenn es lange nicht herausgefordert wurde?
Seit mehr als einem Jahr tragen wir Schutzmasken, halten Abstand und haben trockene Hände vom vielen Desinfizieren. Kommt das Immunsystem während der Maßnahmen gegen die Pandemie überhaupt mit ausreichend Erregern in Berührung, um fit zu bleiben? Für Erwachsene und ältere Kinder ist das ziemlich egal, weil ihr Immunschutz weitestgehend ausgebildet ist und nicht vergisst, was im Ernstfall zu tun ist. Wenn man während oder nach dem Lockdown leichter erkrankt, kann das an Stress, Einsamkeit oder wenig Bewegung an der frischen Luft liegen.
Bei jüngeren Kindern ist das Immunsystem aber noch dabei, Informationen zu sammeln. Bei langer Isolation ist es möglicherweise nicht so vielen für seine Ausbildung notwendigen guten Mikroben ausgesetzt, ihm wird langweilig, es beginnt sich harmlose Ziele zu suchen, wie Pollen oder Hausstaub. Dabei können schon ein kurzer Spaziergang, das Streicheln des Nachbarhundes oder ein Purzelbaum im Gras gegen ein mögliches Defizit helfen.
Wovor schützt das Immunsystem nicht?
Bei einer Krebserkrankung wird es wiedermal ein bisschen komplizierter mit unserer Immunabwehr. Denn Krebszellen sind körpereigene Zellen, die sich verändert haben. Das Immunsystem ist aber darauf trainiert, keine körpereigenen Zellen anzugreifen. So können ihm Krebszellen entgehen. Es nimmt aber doch ihre Veränderung wahr. Die Krebszellen haben zwar Mechanismen dagegen entwickelt, doch für die Krebsforschung besteht darin große Hoffnung, unser Immunsystem dahingehend auszubilden, dass es Krebszellen eines Tages als solche erkennen und bekämpfen kann.
Kann man das Immunsystem stärken und wenn ja, womit?
Eigentlich nicht, dafür ist das Immunsystem viel zu komplex. Aber es gibt natürlich Grundlagen, die enorm wichtig sind, damit es gut funktionieren kann. Allen voran: genügend Schlaf, genügend Bewegung, genügend Sonnenlicht. Wer weniger als sieben Stunden pro Tag schläft, kriegt dreimal häufiger eine Erkältung als jemand, der acht oder mehr Stunden schläft. Wer 30 bis 45 Minuten pro Tag spazieren geht oder Fahrrad fährt, reduziert das Risiko für eine Grippe oder eine Erkältung um mehr als die Hälfte. Und Sonnenlicht fördert die notwendige Bewegung mancher T-Zellen in der Haut. Mehrere Studien deuten zudem darauf hin, dass Vitamin D weniger anfällig für Infektionen macht und ausreichend Tageslicht sorgt wiederum für einen guten Schlaf. Statt uns zu überlegen, wie wir das Immunsystem stärken, sollten wir uns also mehr auf diese drei Grundlagen konzentrieren, um es nicht zu schädigen und es in einer guten Balance zu halten.
Machen Nahrungsergänzungsmittel Sinn?
Bei Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin C oder Zink gilt ebenfalls: zu wenig ist schlecht fürs Immunsystem, zu viel aber auch. Die notwendige Tagesdosis an Vitamin C erreiche man leicht mit frischem Obst und Gemüse, rät Jenna Macciochi. Studien zeigen zwar einen positiven Effekt von Kurkuma, Knoblauch, scharfem Essen und weiteren Hausmitteln auf das Immunsystem, allerdings waren sie meist nur klein angelegt. Die Immunbiologin empfiehlt stattdessen eine ausgewogene Ernährung: möglichst mehr als 30 verschiedene pflanzliche Nahrungsmittel pro Woche. Das sei gut für den Darm. Und was gut für den Darm ist, ist auch gut fürs Immunsystem.
Was ist mit Wechselbädern?
Das richtige Maß ist auch das Motto für Wechselbäder. Wenn wir lange frieren, kann unser Immunsystem nicht mehr so gut arbeiten. Regelmäßiges kaltes Duschen verringert einer Studie von 2016 zufolge aber krankheitsbedingte Fehltage um 30 Prozent. Und Saunieren reduziert offenbar das Risiko für Atemwegserkrankungen.
Unterstützen Medikamente das Immunsystem bei einer Infektion?
Mit einem funktionierenden Immunsystem haben wir das beste Mittel gegen Krankheiten schon in uns. Eine Erkältung lässt sich deshalb mit viel Schlaf am besten und schnellsten überstehen. Schmerzmittel wie Paracetamol und Ibuprofen mildern zwar für eine kurze Zeit Kopf- und Gliederschmerzen, aber sie unterdrücken auch das Immunsystem und machen uns so nicht schneller gesund.
Sport machen bei Krankheit – ja oder nein?
Unser Körper ist ziemlich beschäftigt, wenn unsere Immunabwehr aktiv ist. Bei einer leichten Infektion kann es guttun, an der frischen Lust spazieren zu gehen. Solange man nur Schnupfen, nicht aber Halsschmerzen hat, empfehlen Fachleute sogar Sport. Bei Gliederschmerzen und Fieber ist aber Pause angesagt.
Schadet Stress dem Immunsystem?
Ziemlich viel an unserem heutigen Lebensstil schadet unserer Immunabwehr: Übergewicht, schlechte Ernährung, Rauchen, Alkohol, Schadstoffe und natürlich Stress. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zwar zu dem Schluss gekommen, dass sich ein kurzer Stressmoment, Kaltduschen oder Eisbaden etwa, positiv auf das Immunsystem auswirken kann. Doch bei dauerhaftem Stress stellt sich unser Körper auf Gefahr ein und schüttet das Hormon Cortisol aus. Das hemmt die Arbeit des Immunsystems, es werden keine neuen Immunzellen gebildet und weniger Entzündungen ausgelöst, weil alle Energie benötigt wird, um die Gefahr zu überstehen. Deshalb bricht bei vielen Menschen etwa Herpes aus, wenn sie gestresst sind. Über lange Zeit hinweg ist so ein Stresszustand fatal.
Wird das Immunsystem im Alter stärker oder schwächer?
Das Immunsystem verändert sich über unser ganzes Leben hinweg. Und es altert mit uns. Statt immer mehr dazuzulernen und effektiver zu werden, lässt das Immunsystem mit dem Alter immer mehr nach. Die Thymusdrüse wird kleiner und stellt keine neuen T-Zellen mehr her – der Prozess beginnt bei den meisten Menschen schon ab Mitte 20. Das Immunsystem muss auf die bis dahin produzierten Immunzellen zurückgreifen. Im Alter werden also weniger Antikörper gebildet, das Immunsystem reagiert langsamer und weniger wirksam. Das Risiko für Erkrankungen steigt. Impfungen wirken nicht mehr so gut. Gleichzeitig kann das Immunsystem weniger gut regulieren und zwischen fremd und körpereigen entscheiden – deshalb haben ältere Menschen häufiger Entzündungen.
Wieso werde ich krank, wenn das Immunsystem doch funktioniert?
Dafür gibt es einfach viel zu viele Mikroorganismen. Kein Immunsystem kann gegen alle von ihnen gewappnet sein. Und findet es nicht schnell genug Antworten, können die Krankheiten dann schwer oder sogar tödlich verlaufen, wie Covid-19. Vorschulkinder haben bis zu acht Infekte pro Jahr, Erwachsene im Durchschnitt zwei bis vier. Auch Menschen, die vermeintlich nie krank werden, haben mal Schmerzen oder eine leichte Erkältung – womöglich schaden sie ihrem Immunsystem einfach nicht so sehr.
Wie hilft Impfen dem Immunsystem?
Beim Impfen schicken wir Viren oder Bakterien in abgeschwächter Form, oder, wie bei den neuen mRNA-Impfstoffen, sogar nur bestimmte Teile davon in unseren Körper. Weil er ihnen in abgeschwächter Version ausgesetzt ist, erkranken wir nicht – doch es sind genug, damit das adaptive Immunsystem darauf reagieren und Antikörper bilden kann. Kommt es dann zu einem wirklichen Befall, ist der Körper gewappnet. Im 20. Jahrhundert starben noch bis zu 500 Millionen Menschen an Pocken, seit 1980 gelten sie dank Impfung als ausgerottet. Und nicht nur das. Ein Forscherteam hat herausgefunden, dass die Impfung gegen Meningitis, eine Art Hirnhautentzündung, Kinder auch vor einer bestimmten Leukämieform schützt, die für etwa ein Viertel aller Krebsdiagnosen bei Unter-15-Jährigen verantwortlich ist.
Haben Stadtbewohner:innen wirklich ein schlechteres Immunsystem?
Stadtmenschen sind nachgewiesenermaßen anfälliger für Allergien. Ein Forschungsteam hat herausgefunden, dass Kinder aus Bauernfamilien, die sich regelmäßig im Stall aufhielten und Milch trinken, hingegen weniger oft unter Heuschnupfen und Asthma leiden. Das liegt daran, dass die Mikroorganismen auf dem Land vielfältiger sind als in der Stadt, was das Immunsystem gerade in jungen Jahren robuster macht.
Haben Pflanzen auch ein Immunsystem?
Wie Tiere und Menschen haben auch Pflanzen ein angeborenes Immunsystem, das Krankheitserreger erkennt und versucht zu bekämpfen. Sensoren auf jeder Zelle schlagen laut dem Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung bei einem Angriff Alarm. Die angegriffenen Zellen werden dann nicht mehr versorgt und sterben ab. Die pflanzliche Immunantwort kann sogar ähnlich wie unsere zwischen guten und schlechten Bakterien unterscheiden. Nur Antikörper können Pflanzen keine herstellen, sie haben kein adaptives Immunsystem. Das entstand erst vor etwa 500 Millionen Jahren bei Kieferfischen, aus denen sich Linien der Wirbeltiere und später der Menschen entwickelten.
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