Fragen und Antworten zum Fischsterben: Was, wann, Fluss?
Das Fischsterben in der Oder ist eine Umweltkatastrophe. Eine Übersicht zum Stand der Dinge.
1 Wo hat es angefangen?
Bereits am 26. Juli sichteten Fischer nahe der Stadt Oława östlich von Breslau tote Fische. Doch es dauerte mehrere Tage, bis Behörden in Polen auch die deutsche Seite informierte.
2 Was ist in Polen falsch gelaufen?
Einiges. Zunächst erfuhr nur die Gewässeraufsicht Wody Polskie von toten Fischen. Eine staatliche Behörde also, die dem Ministerium für Infrastruktur zugeordnet ist. Diese Gewässeraufsicht habe dann die Landesinspektion für Umweltschutz und die Polizei informiert. Aber bis auf ein paar mündliche Meldungen blieb die Behörde passiv. Als die Anwohner der Oder entsetzt fragten, ob ihre Kinder noch am Oderufer spielen könnten, beruhigte der stellvertretende Infrastrukturminister Grzegorz Witkowski und versicherte, dass von Flusswasser keinerlei Gefahr für Menschen ausging. Bei einer solchen Ökokatastrophe ist eigentlich eine sogenannte „Meldekette“ vorgesehen, die genau festlegt, wer wann zu informieren ist. Doch die staatlichen Behörden Polens haben nicht nur die polnischen Oder-Anwohner, sondern auch die deutsche Seite nicht rechtzeitig gewarnt. Erst am 11. August, als die toten Fische bereits ans deutsche Oder-Ufer schwappten, informierte man Deutschland – und erst dann erfuhr auch Polens Premier Mateusz Morawiecki von der Ökokatastrophe.
3 Trägt der Oderausbau eine Mitschuld?
Das kann sein. Durch intensive Bauarbeiten an der „Wasserautobahn“ auf polnischer Seite könnten Giftstoffe freigesetzt worden sein, die sich über Jahrzehnte im Sedimentgestein des Oder-Ufers festgesetzt hatten. Das Ausbaggern des Flussbetts, wie auch die Restaurierung und Vergrößerung der sogenannten Steinbuhnen – kleine Dämme, die quer in den Fluss gebaut werden, um die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen – wühlen über viele Kilometer hinweg das Sedimentgestein auf.
4 Sind nur Fische betroffen?
Nein, laut Expert:innen sind auch Kleinlebewesen wie Schnecken und Insektenlarven betroffen. Ob größere Lebewesen wie Fischreiher, Otter oder Biber akut bedroht sind, ist bis jetzt noch unklar.
5 Hat die Katastrophenhilfe in Deutschland funktioniert?
Nicht wirklich. „Ich habe in dieser Krise eigentlich nur erlebt, dass Behörden sagten, wir sind nicht zuständig“, sagt der Bürgermeister von Frankfurt (Oder), André Wilke (Linke). Bund und Land hätten die Stadt mit dem Fischsterben allein gelassen. Die Stadt habe so zusammen mit THW, Feuerwehr und anderen Organisationen Wathosen, Handschuhe und Kescher für die Freiwilligen organisiert, die die toten Fische einsammelten. Auch der Deutsche Anglerverband rügte, offenbar verfüge das zuständige Landesumweltministerium in Potsdam nicht über konkrete Ablaufpläne und genug kompetentes Personal, um mit solchen Situationen umzugehen.
6 Wie sieht die Zukunft der Oder aus?
UmweltschützerInnen fürchten: gar nicht gut. Immerhin haben Angler und Fischer aber schon wieder Fischbrut und überlebende Tiere im Fluss gesichtet. Auch wurden offenbar einige der in der Oder wiederangesiedelten Störe gerettet. Problematisch: Viele der toten Fische wurden nicht aus dem Fluss geborgen – und die sich zersetzenden Kadaver führen nun zu einem erhöhten Ammoniak-Gehalt im Wasser, der wiederum giftig ist. „Die ökologischen Folgen dieses Fischsterbens sind in der Breite und auch in der Dauer der Zeit noch gar nicht richtig seriös abzuschätzen“, sagt Jörg Oehlmann, Ökotoxikologe von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) sehe noch „lange Zeiträume, wo insbesondere Muscheln, Mollusken und Insekten dann auch Zeit benötigen, um sich wieder aufzubauen.“
7 Ist die Ostsee in Gefahr?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Bisher noch nicht, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD). Er gab am Freitag Entwarnung. Im Stettiner Haff gebe es keine toten Fische und die Wasserproben zeigten „keine Auffälligkeiten.“ Von dort gehe keine Gefahr für Menschen und Tiere aus. Trotzdem würden regelmäßig neue Proben genommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach