Fotoausstellung: Die Hälfte des Himmels
100 Frauen erzählen in Interviews von Gewalterfahrungen - von "einfachen" Belästigungen in der U-Bahn bis zu Schlägen und Genitalverstümmelungen.
Ungeachtet der Frauenbefreiungsbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beherrschen die Männer vielerorts immer noch den "ganzen Himmel", das heißt beanspruchen die Verfügungsgewalt über Frauen. Demgegenüber beanspruchen die Frauen nach wie vor wenigstens eine "Hälfte des Himmels". So heißt auch eine Wanderausstellung mit einem Katalog nebst CD, auf der sich 100 Interviews mit Frauen befinden. In der Ausstellung, die derzeit in der Neuköllner "Galerie im Saalbau" gastiert, sind ihre Porträtaufnahmen zu sehen. Vor diesem Projekt der Fotografin Annette Schiffmann gab es bereits einige ebenfalls feministisch inspirierte Projekte, die das Bild von der "Hälfte des Himmels" verwendeten, das durch Mao Tse-tung berühmt wurde, der es auf die (chinesische) Frauenbefreiung münzte.
Dieses neue Projekt nun kreist thematisch um Statistiken zur "Gewalt gegen Frauen". Das Heidelberger Frauenhaus KARO und Schiffmann wollten diesen Zahlen Gesicht und Geschichte geben, ohne die Frauen dabei erneut aufs Opfer-Sein zu reduzieren. Heraus kam ein ganzes Spektrum von Gewalt. Die 100 interviewten Frauen leben zwischen Heidelberg und Berlin und sind zwischen 15 und 92 Jahre alt. Einige erzählen, bisher niemals gegen sie gerichtete Gewalt erfahren zu haben, andere brechen in Tränen aus, als sie auf das Thema angesprochen werden: Die aus Mexiko stammende Tänzerin Tania etwa, deren Mutter von Killern ermordet wurde. Anschließend kidnappten die Männer die damals 3-Jährige. Oder die aus dem Senegal stammende Berliner Rapperin Sister Fatou: Sie wurde als Mädchen beschnitten und leidet "noch immer unter der Genitalverstümmelung" (am 11. 8. wird sie in der Galerie im Saalbau auftreten). Ähnlich wie Fatou geht es der türkischen Supermarktkassiererin Aylin, der ihr Mann mit dem Messer 27-mal ins Gesicht stach, weil sie nicht so "funktionierte wie sein Handy". Nur als Silhouette ließ sich die ehemalige Zwangsprostituierte Johanna fotografieren. Und eine Frau stieg aus dem Projekt aus, weil sie sich scheiden lassen will und Repressionen von ihrem Mann befürchtet.
Die jüngste der porträtierten Frauen, Silvie, hat dagegen "ernsthafte Gewalt höchstens auf dem Schulhof manchmal erlebt". Während die Kosmetikerin Sara, die den Bürgerkrieg in Kolumbien miterlebte, sagt: "Ich kenne die Gewalt von allen Seiten, die man sich vorstellen kann." Die in Afrika sozial engagierte 19-jährige Zoff gibt zu bedenken: "Eigentlich ist jede Frau schon mal mit einer Form von Gewalt in Berührung gekommen - kleine Sachen oft, dass jemand an dir rumgrapscht." Oder dass sie gelegentlich Angst bekommt, etwa nachts in Berlin.
Dort ist einigen Frauen insbesondere die "verbale Gewalt übel" aufgestoßen: Sexistische Witze oder Sprüche wie "Ich fick dich, bis du meinen Namen rufst." Oder: "Oh, sind wieder Schwarzfahrer unterwegs" - als die aus dem Sudan stammende Winni in eine Tram stieg. Viele Frauen erzählen, sie hätten Väter gehabt, die ihre Mutter und gelegentlich auch sie schlugen. Andere erinnern sich an die erste Ohrfeige von ihrem Freund. Die aus Eritrea stammende Ethnologiestudentin Rahel empfindet es schon als "Form von Gewalt", wenn vier Skinheads sie blöd anglotzen. Und Kerstin, Psychologiestudentin in Heidelberg, "nervt es ohne Ende", wenn sie mit Freundinnen unterwegs ist, "dass man dann einfach so als Freiwild betrachtet wird".
Was tun gegen männliche Gewalt? Weil die angehende Erziehungswissenschaftlerin Maria einen "pädophilen Opa" hatte, schreibt sie ihre Diplomarbeit über das Thema "Sexueller Missbrauch". Weil die aus Somalia stammende Fadumo die "brachiale Gewalt" der Beschneidung erfahren hat, klärt sie mit ihren Büchern über die "Genitalverstümmelung" auf. Während die Industriekauffrau Micaela, die bis zum 19. Lebensjahr von ihrem Vater missbraucht wurde, nur darauf hofft, dass diese "Verletzung" mit der Zeit "verblasst". FloraCoco rät den Frauen: "Lasst euch einfach nichts gefallen." Auch die Berliner Sozialarbeiterin Katja meint, man muss sich "wehren, ich schlag auch zu". Die Gastwirtin Sigrid "mischt" sich sogar überall ein, wo sie "Gewalt wittert". Zumeist klagen die Frauen jedoch bloß "mehr Respekt" ein.
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