Fotoausstellung von KZ-Überlebenden: Triumph des Lebens
75 Jahre nach der Auschwitz-Befreiung: Die Zeche Zollverein in Essen zeigt die Ausstellung „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“.
Von einem „beispiellosen“, „unvorstellbaren“, dem „schlimmsten“ Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von einem „Zivilisationsbruch“ ist die Rede, wenn es um die Schoah geht. Auf ähnlich verlorenem Posten wie die Sprache ist die Kunst, wenn sie den industriellen Massenmord an sechs Millionen Juden zum Thema hat.
Doch es ist gut, wenn sie immer wieder scheitert, um die Erinnerung wachzuhalten. Der jüngste Versuch ist die Ausstellung „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“ in der Zeche Zollverein in Essen, für die der Fotograf Martin Schoeller zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz 75 Überlebende des Holocaust porträtiert hat.
Martin Schoeller, der in den USA bekannter ist als in seiner deutschen Heimat, arbeitet seit etwa 20 Jahren mit einer Methode, die er Close-up nennt. Er fotografiert Berühmtheiten wie Barack Obama oder Angelina Jolie genau wie Obdachlose mit der gleichen, weichen Ausleuchtung, dem gleichen auf das Gesicht fokussierten Schärfebereich und immer auf Augenhöhe.
In den Augen seiner Modelle spiegeln sich zwei Beleuchtungsständer links und rechts der Pupille, so dass sie katzenartig wirken und den Blick des Betrachters auf sich ziehen. Die Kuratorinnen der Ausstellung Anke Degenhart und Vivian Uria haben mit noch anderen Mitteln dafür gesorgt, dass Besucher*innen unweigerlich mit den Blicken und Gesichtern konfrontiert werden. In der riesenhaften Mischanlage der Kokerei auf Zollverein hängen sie einzeln beleuchtet vor den nackten Betonwänden, als lugten sie aus der Dunkelheit des Vergessens hervor.
„Survivors. Faces of Life after the Holocaust“ geht bis zum 26. April in der Zeche Zollverein. Das Begleitbuch ist im Steidl Verlag erschienen und kostet 28,- Euro
Nicht nur die großformatigen Bilder, auch die unter ihnen angebrachten Botschaften und der Ort sind das Kunstwerk. Die Zeche Zollverein war zentraler kriegswichtiger Betrieb in der Waffenschmiede des Ruhrgebiets. In den riesigen Trichtern der Mischanlage wurden unterschiedliche Kohlequalitäten zu einer optimalen Mischung für die Verkokung vermengt. Jetzt laufen hier Menschen auf Stegen durch eine Ausstellung und werden an einen industriellen Massenmord erinnert.
Sie schauen in das weiche Gesicht von Israel Meir Lau, der als Sechsjähriger ins KZ Buchenwald verschleppt wurde und später Rabbi wurde. Er blickt den Betrachter gütig an. Die Botschaft unter seinem Porträt sagt: „Hasse nicht. Räche dich nicht. Das führt nur zu mehr Blutvergießen. Strebe danach, zu lieben und das Universum neu zu gestalten.“
Doch es gibt auch Gesichter, aus denen man Trotz, Trauer, Erschöpfung zu lesen glaubt. Bei Yanina Ecker, die als Kind von einem christlichen Paar vor der Vernichtung gerettet wurde, ist es Kämpfermut. Ihre Botschaft: „Das jüdische Volk muss den Staat Israel schützen; wir sind nirgendwo sonst auf der Welt erwünscht.“
Lernen, zu verzeihen
Fotograf Martin Schoeller hat bei diesem Projekt aus Überzeugung mitgewirkt. Er sagt: „Ich bin mit einem großen Bewusstsein der Schuld aufgewachsen und erwische mich oft immer noch, wie ich Fakten aus dieser Zeit recherchiere ohne konkreten Anlass.“ Im Kontakt mit den 75 Holocaust-Überlebenden, die er in zehn Tagen in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem porträtierte, habe er auch gelernt, wie Verzeihen möglich ist.
Einige hätten sich gewundert, einen Deutschen, einen Menschen aus dem Volk der Täter vor sich zu haben. Doch die meisten haben ihn herzlich empfangen, freundlich Sätze in seiner Sprache entgegnet, die ihnen teilweise in den Vernichtungslagern aufgezwungen wurde.
So gehört vielleicht dies zum speziellen Scheitern dieses Kunstprojekts im Angesicht des unvorstellbaren Verbrechens: dass es seine Besucher in einem zu guten Gefühl entlässt. Es erzählt von Versöhnung, vom Triumph des Lebens – derer, die nicht leben sollten. Naftali Fürst, der 1945 den sogenannten „Todesmarsch“ nach Buchenwald überlebte, sagte bei der Ausstellungseröffnung unter anderem: „Ich habe das Gefühl, gewonnen zu haben.“ Die Dimension des millionenfachen Massenmords schwindet hinter solchen Botschaften wie ein lange vergangener, dunkler, vermeintlich überwundener Schrecken.
Der Holocaust ist noch nicht lange her
Dass der Holocaust allerdings noch gar nicht lange her ist, zeigt, dass die, die ihn überlebt haben, noch unter uns weilen. Dass es gerade heute unendlich wichtig ist, ihre Erinnerung lebendig zu halten, machen die Gäste der Ausstellungseröffnung deutlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt in Richtung des Überlebenden Naftali Fürst: „Ich empfinde tiefe Scham angesichts des Leids, das ihnen zugefügt wurde.“
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet reißt eine kurze Zeitlinie auf von der Wannsee-Konferenz über die Befreiung von Auschwitz, die Staatsraison des „Nie wieder“, fragt dann: „Und heute? Wieder Antisemitismus. Teilweise bis in die Parlamente getragen. Nichts dazugelernt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker