Fotoausstellung über Konflikte: Die Krise ist bunt

Klimawandel, Krieg, Vertreibung: Richard Mosse nähert sich dem Elend der Welt mit ambivalenten Techniken. Die Kunsthalle Bremen zeigt sein Werk.

Auf einem Infrarotfoto ist ein Küstenstreifen von weit oben zu sehen

Richard Mosses „Senador Porfírio, Pará“ aus der Serie Tristes Tropiques Foto: Courtesy of the artist, Jack Shainman Gallery, New York and carlier | gebauer, Berlin/Madrid

BREMEN taz | Am Anfang ist Richard Mosses Werk vor allem laut. Das muss so. Grelles Pink übertönt eine liebliche Landschaft, in der eine Rinderherde an den Ufern eines mäandernden Flusses im Kongo grast. Aber das wäre, konventionell fotografiert, nur eine harmlose, hübsche Landschaftsfotografie. Eine, die nichts erzählt, nichts erzählen kann über den Kontext, indem sie entstand.

So aber macht die extreme Farbigkeit klar, das hier irgendwas nicht stimmt. Aufklärung schafft erst und nur der kleine Begleittext, der von Kämpfen bewaffneter Gruppen berichtet, von Vertreibungen, Plünderungen und Erpressungen, dazu von Tutsi, die aus dem hier angrenzenden Ruanda eindrangen und den Urwald fällten, um Weideland zu schaffen. Wer weiter liest, taucht in unübersichtliche Konflikte und koloniale wie post-koloniale Vergangenheiten ein.

Richard Mosses Fotos funktionieren halt nur, wenn man sich ganz auf sie einlässt. Das unterscheidet sie von klassischer, oft sehr emotionaler Kriegs- und Krisenfotografie, die gleich auf den ersten Blick ihre Wirkung entfalten will und muss. Hier aber nähert man sich den Werken erst von Weitem, etwas vorsichtig, um dann ganz nah ranzugehen, schließlich noch mal die Wuchtigkeit des großen Formates aus der Distanz auf sich wirken lässt.

Die Bilder zwingen einen förmlich, sich auf sie einzulassen. Das geht nicht, ohne auch deren Texte zu lesen und sich mit der Technik zu beschäftigen, die diese intensiven, verstörenden Farben erst erschafft.

Hier kommen sie aus der Infrarot-Fotografie, im Zweiten Weltkrieg für die militärische Luftaufklärung entwickelt, um als Natur getarnte Menschen und Verstecke ausfindig zu machen – infrarotes Licht reflektiert das Grün der Landschaft in Magenta- Purpur- und Pinktönen. Im Vietnam-Krieg wurde das oft eingesetzt, es dient aber auch der Wissenschaft – ein klassischer Fall von Dual Use.

Konflikte in Infrarot

Mosse nutzte im Kongo einen seit 2009 nicht mehr hergestellten Infrarot-Farbfilm, um die vielfältigen Konflikte des Landes einzufangen – es geht um nicht-nachhaltige Holzkohle-Wirtschaft, Bürgerkrieg, Flucht, Armut, Vertreibung. Ihn treibt die Frage um, wie man diese komplexen Konflikte in Fotos fassen kann, ja: ob das überhaupt noch geht. Seine Arbeiten zeigen die Grenzen herkömmlicher Dokumentarfotografie auf, aus der auch der 1980 im irischen Kilkenny geborene Mosse kommt, der mit 21 Jahren nach Bosnien und Herzegowina fuhr, kurz nach dem Krieg.

Es war der Wendepunkt seiner Karriere. Heute bewegt er sich in der Sphäre der Kunst, 2014 wurde er auf der Biennale ausgestellt. Die Kunsthalle Bremen zeigt erstmals in Deutschland einen breiten Überblick über sein Werk, mehr als 70 Fotos, die seit 2010 auf der ganzen Welt entstanden. Es ist keine Ausstellung, die man einfach so konsumiert.

Doch auch Mosses Technik hat ihre Grenzen: Das „Madonna and Child“ genannte Foto, das einen Soldaten mit Gewehr über der Schulter und Säugling im Arm zeigt, ein klassisches Sujet der Kriegsfotografie also: Es wäre in Schwarz-Weiß eindringlicher, denn die Infrarot-Fotografie schafft in diesem Bild keinen Mehrwert. Trotzdem findet es sich auch in vielen Texten über die Ausstellung wieder.

Am Anfang von Mosses Foto-Serien steht nicht das Thema, sondern die Faszination für den Apparat, eine bildgebende Technologie, gern eine, die auch militärisch genutzt wird. Eine Wärmebildkamera etwa, die über 30 Kilometer hinweg funktioniert, offiziell als Waffe gilt. Mosse nutzt sie, um die Flüchtlingslager dieser Welt auszuleuchten, Moria etwa, auf der griechischen Insel Lesbos.

Er will der Politik den Spiegel vorhalten und die ganz und gar unmenschlichen Zustände in all diesen Lagern offenlegen. Er liefert damit aber auch die Geflüchteten unseren Blicken aus. Mosses „Heat Maps“ kommen ein wenig daher wie mittelalterliche Stadtpanoramen. Sie bestehen aber mosaikgleich aus vielen Einzelbildern, die ein großes Ganzes ergeben, eine Art Leuchtkasten, dessen Bilder sehr dreidimensional wirken und an ein Konzentrationslager denken lassen. Auch das soll so.

Die Technik nimmt den Menschen ihre Individualität, sie erscheinen hier nur noch als jene anonyme, uniforme Masse, als die sie meist auch von der Politik behandelt wird. Nur: Wird da nicht auch das Elend dieser Menschen bildungsbürgerlich ästhetisiert? Wurden sie gefragt, eh sie fotografiert, im Museum ausgestellt und ihre Bilder verkauft wurden? Werden sie an den Gewinnen beteiligt, die der Fotograf mit ihnen macht? Ist es okay, aus der sicheren Distanz auch noch den letzten privaten Raum zu erhellen, der den Geflüchteten geblieben ist – weil man es ja gut mit ihnen meint? Die „Heat Maps“ werfen viele Fragen auf.

Drohnen über Umweltverbrechen

Einfacher ist da die Umweltkriminalität, mit einer Drohne und durch die Brille der Multispektralfotografie betrachtet. Diese Technik dient sonst der analytischen Wissenschaft, aber auch agrarindustriellen Ausbeutern und Profitmaximierern. Mosse ist mit ihr 2019 nach Brasilien gefahren, in den Amazonas und das Pantanal, das größte Binnen-Feuchtgebiet der Welt, um den Raubbau des Menschen an der Natur zu zeigen. Starke Farben zeigen schonungslos, wo es noch Leben gibt und wo nur noch tote Pflanzen stehen oder wie tief hochgiftige Abwässer schon zu den Menschen vorgedrungen sind.

Die Bilder erinnern zunächst ein wenig an Farbfeldfotografie oder gar an Paul Klee, doch je detaillierter man sie betrachtet, desto mehr gleichen sie einer wissenschaftlichen Karte. Auch die muss man erst entschlüsseln, komplizierte Fragen bedürfen eben manchmal auch komplizierter Bilder. Sie sind dann als Konzeptkunst nur nicht mehr für jeden zugänglich.

Richard Mosse. Bis 31. Juli 2022, Kunsthalle Bremen

Die in Bremen in insgesamt acht Räumen gezeigten Arbeiten legen auch die Entwicklung des Fotografen Richard Mosse offen: Je neuer die Arbeiten sind, desto vielschichtiger, aber abstrakter werden sie auch. Sie sind dann präziser – und doch ist die fundamentale Krise, die gerade die aktuellsten Fotos zeigen, hier viel weniger greifbar.

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