piwik no script img

Foto-Ausstellungsreihe „True Pictures?“Die Vor­rei­te­r:in­nen

Die Ausstellungsreihe „True Pictures?“ zeigt in Hannover, Wolfsburg und Braunschweig drei Generationen von Fo­to­künstler:in­nen aus Nordamerika.

Schön-schaurig inszenierte Gefühlswelten: Arbeit von Gregory Crewdson, Untitled (2003-08) Foto: Museum Frieder Burda, Baden-Baden, © Gregory Crewdso Courtesy Gagosian

Fotografie aus Nordamerika: Da erinnert man Porträts hoher Militärs und Bilder getöteter Soldaten, die während des Sezessionskrieges aufgenommen wurden. Dieser Krieg ist ja einer der ersten, der auch fotografisch dokumentiert wurde – auf aufwändige und gefährliche Weise, weil Dunkelkammerwagen mit dem Pferdegespann über die Schlachtfelder manövriert werden mussten.

Einer gewissen Nationalheroik im Abbild, so scheint es, blieb die amerikanische Fotografie seitdem treu: in den Landschafts- und Naturbildern eines Ansel Adams etwa, in den sozialdokumentarischen Erfassungen während der Weltwirtschaftskrise durch Walker Evans und Dorothea Lange oder auch in den „man altered landscapes“ der New Topographics um Robert Adams, Lewis Baltz oder Stephen Shore in den 1970er-Jahren. Danach feierte die europäische Fotografie ihren fulminanten Einzug in hiesige Museen, Sammlungen oder Kunstschauen. Das ging zu Lasten der Wahrnehmung amerikanischer Positionen und ihrer Vorreiterrolle für viele Formen der Fotografie.

Es ist also an der Zeit, mit systematischen Überblicken und ausgewählten Einzelpositionen der Entwicklung seit den 1980er-Jahren, aber auch ganz aktuellen Ambitionen nachzuspüren. Diese Arbeit leistet nun die dreiteilige Ausstellungsreihe „True Pictures?“ in Hannover, Wolfsburg und Braunschweig. Das Fragezeichen im Titel darf dabei als gesunde Skepsis gegenüber der authentischen Abbildqualität der Fotografie nicht erst in Zeiten digitaler (Post-)Produktion, medialer Verwertungszusammenhänge oder gar Fake-News der Ära Trump gelesen werden.

Das Sprengel-Museum in Hannover zeigt derzeit 339 teils äußerst großformatige Bilder oder Serien von 36 Fo­to­künst­le­r:in­nen – eine Bestandsaufnahme dreier Generationen nordamerikanischer Fotografie. Zu dem gemeinsamen Kulturraum zählt Kurator Stefan Gronert auch Kanada, im Gegensatz zu Mexiko oder den karibischen Staaten.

Die Ausstellungen

True Pictures? Vom Dokument zum Konzept, bis 5. 12. im Museum für Photographie Braunschweig

Zeitgenössische Fotografie aus Kanada und den USA, bis 13. 2. im Sprengel-Museum Hannover

LaToya Ruby Frazier, bis 4. 4. 22 im Kunstmuseum Wolfsburg

Dieser Zusammenschluss scheint selbstverständlich, trifft man bereits in der ersten betrachteten Generation doch auch auf die Großformate und Leuchtkästen von Jeff Wall. Er wurde 1946 in Kanada geboren, gilt als Begründer einer informellen Vancouver School, zu der auch weitere in Hannover gezeigte Fotografen wie Rodney Graham, oder Stan Douglas gehören.

Ihre Werke wurden in Europa allesamt als „amerikanisch“ rezipiert, ihre Pionierfunktion in der Etablierung der Farbfotografie und der Großformate gewürdigt. Zur ersten Generation zählen auch die in Europa gut bekannten und in Sammlungen vertretenen US-Amerikanerinnen Cindy Sherman oder Sherrie Levine. Sie sind Teil einer Appropriation Art, die mit kunsthistorischen Rückgriffen Kategorien wie Urheberschaft und künstlerische Originalität infrage stellt: Sherman mit ihren Selbstporträts in fiktiven Szenen aus Film, Genremalerei oder Zirkus, Levine mit abfotografierten Fotografien von Eugène Atget bis Walker Evans.

Zur zweiten, in Europa unbekannteren Generation, die nicht erst durch die Digitalisierung das autonome Bild weitertreibt, zählt etwa Gregory Crewdson, 1962 in New York geboren. In Hannover ist er noch durch seine Deutschlandpremiere, 2005 im Kunstverein, in Erinnerung, seine penibel inszenierten schön-schaurigen Großformate reflektieren menschliche Gefühlswelten, die zivilisatorische Verlorenheit oder elementare Bedrohungsängste. Mit wenigen prominenten Ausnahmen wurden beide Generationen durch weiße männliche Akteure und Sichtweisen dominiert, erst die jüngste Fotograf:innen-Generation der nach 1970 Geborenen ist so divers wie die nordamerikanischen Gesellschaften, die sie fotografisch widerspiegeln.

Sie thematisiert die Diskriminierung afroamerikanischer Bevölkerungsanteile und Fragen ethnisch kultureller Identität, die Marginalisierung sozial Benachteiligter, bezieht feministische Positionen. Taryn Simon etwa porträtiert in einer eindrucksvollen Serie zu Unrecht Verurteilte, die mitunter jahrzehntelang unschuldig für Mord, Vergewaltigung oder Raub in Haft sitzen mussten. Die 1975 in New York Geborene zählt sicher zu den Entdeckungen in Hannover.

Bemerkenswert ist aber auch, dass die beklemmenden Innenraummonumente von Vikky Alexander, die der zweiten Generation zugerechnet wird, oder die inszenierten Selbstporträts der Indigenen Meryl McMaster, eine Vertreterin der dritten Generation, erstmals im musealen Kontext in Europa zu sehen sind; beide kommen aus Kanada.

Zur dritten Generation, und in Hannover mit drei Fotos beteiligt, zählt auch die Schwarze US-amerikanische Fotografin LaToya Ruby Frazier, der das Kunstmuseum Wolfsburg eine Einzelausstellung mit 150 Fotografien und Videos widmet. Frazier, 1982 in einer Stahlarbeiterstadt in Pennsylvania geboren, stellt sich in die Tradition einer sozialdokumentarischen Schwarz-Weiß-Fotografie der USA. Sie hat hautnah den Untergang der Industrien im Rust Belt erlebt, die gesellschaftlichen Erosionen und existenziellen Nöte der Menschen. Sie verdichtet daraus, teils durch Texte ergänzte Bilderzählungen, bleibt für lange Zeit an der Seite ihrer Protagonist:innen. Frazier beschränkt sich aber nicht auf das anklagende Dokument, sie stellt ihre Arbeit in den Dienst politischer Forderungen.

Ihre Methodik ist eine Symbiose aus Kunst und Aktivismus: für sauberes Trinkwasser an einem ehemaligen Standort von General Motors, für die Rechte der Ar­bei­te­r:in­nen, für elementare Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Auch in einer belgischen Bergbauregion begleitet sie seit 2016 das Schicksal südeuropäischer und türkischer Arbeitsmigrant:innen, erzählt von vielen Corona-Opfern in den prekären Lebensverhältnissen.

Das Museum für Photographie in Braunschweig flankiert mit fünf amerikanischen Fotograf:innen, die zwischen 1938 und 1980, teils nicht in den USA, geboren wurden. Gleichwohl scheinen sie repräsentativ für eine nationale Bildproduktion, die von gradlinig klassischen, schwarz-weißen Landschaftsbildnissen eines Owen Gumps bis zu ganz freien, auch fotogramme­trischen und kameraunabhängigen, farbintensiven Experimenten durch Ketuta Alexi-Meskhishvili reichen. 1979 in Tblisi geboren, ist sie in New York aufgewachsen, lebt aber seit Jahren in Berlin – und empfindet trotzdem als Amerikanerin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!