Foto-Ausstellung: Entzauberte Identitäten
Die Amerikanerin Roni Horn fährt gern nach Island und porträtiert dort Menschen, Vögel oder auch Geysire. Diese Reihen zerlegen auf sehr subtile Weise jede Idee von Identität.
HAMBURG taz | Roni Horn ist eine merkwürdige Erscheinung. Einerseits liebt sie den Kontrast: Der zwischen ihrem New Yorker Wohnort und ihrer Wahlheimat Island etwa könnte größer kaum sein. Andererseits produziert sie in ihrer Kunst Serien - aber keine identischen, wie es der orthodoxe Minimalist täte.
Sie montiert vielmehr feine Unterschiede in ihre Foto-Reihen. Da geht es um winzige Lichtnuancen zweier Geysir-Bilder. Oder um minimal abweichende Blicke auf ein Gesicht.
Warum tut sie das, die Künstlerin, die das Wetter ihr wichtigstes Thema nennt und sich andererseits mit Gender- und Identitätskonstrukten befasst? Weil sie gern zwischen den Stühlen sitzt. Weil sie Lust hat, es dem Betrachter anstrengend zu machen.
So wie derzeit in der Hamburger Kunsthalle, wo aber nur die halbe Wahrheit über Roni Horn zu sehen ist: Ausschließlich Fotos werden da gezeigt, dafür wichtige, die Horn zudem selbst gehängt hat - hier wieder brav minimalistisch den Raum adaptierend. Was dafür fehlt, sind Zeichnungen und Installationen: Ihren Master-Abschluss hat die Amerikanerin eigentlich in Skulptur gemacht.
Einen Querschnitt durch das Werk der documenta-IX-Teilnehmerin liefert die Ausstellung allemal - einen erfrischend irritierenden. Denn es ist schon anstrengend, etwa die Serie "You are the weather" anzusehen oder zwischen den weit entfernten Fotos der Reihe "Pi" hin- und herzuwandern, immer auf der Suche nach den erwähnten feinen Unterschieden.
"You are the weather" etwa, Horns erste wichtige Fotoserie: Was ist das nun? Zunächst das fast unbewegte Gesicht einer jungen Frau, mal leicht gereizt, mal fröhlich, immer vor blauem Himmel fotografiert und ganz aus der Nähe.
Sie starrt einen an, als wäre man schuld an ihren Stimmungen - dabei wäre das doch allenfalls der Fotograf. Und der wird man als Betrachter auch irgendwie, steckt unversehens in seiner Haut.
Genau um solchen Identitätswechsel geht es Roni Horn. Sie will Interaktion: Der Besucher soll sich als Ursache dessen fühlen, was er da sieht, irgendwann die Absurdität dieses Gefühls bemerken, sich weiterhin diffus unwohl fühlen.
Und schließlich stranden mit seinen Deutungen, denn der Grund für die Stimmungen der Abgelichteten ist ein anderer: das Wetter, dem die junge Isländerin, im Geysir badend, ausgesetzt war - mal Regen, mal Wind, mal Schneegestöber. Und jetzt erst versteht man Ambivalenz, die Süffisanz des Titels: "You are the weather".
Überhaupt hat es das Wetter Roni Horn angetan. So sehr, dass sie in ihrer "Bibliothek des Wassers" im isländischen Stykkishólmur ein Archiv mit mehr als 100 Interviews anlegte, die ein Archäologe mit Isländern über das Sonne und Regen führte. Eine Art "Oral History" für Meteorologen, sozusagen.
Das Wetter: weit mehr als ein Small-talk-Thema, sondern Protagonist einer echten Interaktion. Im Zentrum der "Wasser-Bibliothek" stehen gläserne Säulen mit dem Wasser isländischer Geysire.
Ein Archiv eben, angelegt in einem Land, in dem Zerstörung, aber auch die Kultivierung der Umwelt noch weniger virulent ist als in Horns Heimat, den USA. Freilich: Wasser archivieren? Würde wohl kein Isländer tun. Als Mahnerin geriert sich Horn manchmal durchaus. So plädierte sie 1998 etwa in der isländischen Zeitung Morgunbladid für den Erhalt der Natur.
Aber was hat die New Yorkerin eigentlich geführt in dieses Land, von dem sie Natur- und Geysir-Fotos macht, die nur allzu leicht als Klischees durchgehen können und erst auf den zweiten Blick offenbaren, dass sie konzeptuell gemeint sind? Sie habe Island 1975 durch Zufall entdeckt, sagt Horn selbst, und sei seither ein-, zweimal jährlich wiedergekommen.
Vermutlich wegen der ungewohnten Weite. Eigentlich ist es ja auch egal, ob sie Landschaften porträtiert oder Menschen. Denn was ist Identität - ob von Mensch oder Natur -, fragt sich Horn. Ist ihre Stringenz nicht ein Mythos?
Ist nicht alles veränderlich, so wie das Wetter - und tun wir nicht geradezu panisch alles, um heute noch derselbe zu sein wie gestern? Und wie sinnvoll ist es, - sei es auf Fotos oder in der Welt drumherum - angstvoll nach optischen und verbalen Etiketten zu suchen?
Die Absurdität dieses Treibens hat Horn in ihrer autobiografischen Serie "Roni Horns aka" demonstriert: Selbstbildnisse aller Ären sind da nun in Hamburg zu sehen.
Darauf wirkt sie mal männlich, mal weiblich, mal androgyn - und ist als Baby natürlich gar nicht wiederzuerkennen. Identitäten, anhand von Foto-Facetten aufgelöst und in Pixel zerlegt, die ganz offensichtlich nicht zusammen passen.
Müssen sie ja auch nicht, findet Horn, ändern sich ja ohnehin täglich - auch das zeigt diese Fotowand. Die Lösung? Diskontinuität und Wandel akzeptieren, statt sich an irgendeinem festzukrallen. Oder sich als integralen Teil der Natur akzeptieren, wie es - mit sanfter Ironie - Horns Vogel-Bildnisse nahe legen: Eulen, Enten und anderes Federvieh wurden da, paarweise und über-menschenkopf-groß, von hinten fotografiert.
Man steht also hinter diesen Vögeln, die genauso groß abgebildet sind wie man selbst, und blickt gewissermaßen mit deren Augen in die Welt. Und je länger man da so steht, desto unwiderstehlicher wird der Sog hin zu einer Identifikation - eine Metamorphose wider Willen.
Parallel kommen einem diese Vögelköpfe immer menschlicher vor: Dieser hat einen breiten Schopf, jener einen schlanken Hals, dessen Muster einer Halskette gleicht - eine fast normale, sagen wir: Vernissagen-Situation, bei der verschiedenste Hinterköpfe in den Blick geraten.
Roni Horn erzählt auch ganz konkrete Geschichten. Verwirrende allerdings, um deren Verständnis man ringen muss. Da wäre etwa ihre Reihe über ein isländisches Ehepaar, die alle vier Wände eines Raums ziert und so hoch aufgehängt ist, dass man sich recken muss. Ungemütlich.
Zu sehen sind, in immer gleichem Format: ein Mann, eine Frau, Felsen, das Meer, Federn, lebende, tote Vögel. Ist hier von einer Ölpest im einstigen Idyll die Rede?
Man müht sich redlich, quert den großen Raum mehrmals, sucht Anfang und Ende der Geschichte und kann doch nirgends ankern: Ohne zusätzliche Erklärung bleibt unklar, dass dieses Ehepaar von der Verarbeitung von Eiderenten-Federn zu Daunen lebt: Diese Vögel verenden bei Sturm und werden dann dort angespült.
Die Geschichte ist Teil einer Langzeit-Dokumentation über Island - und unabhängig davon, ob man davon erfährt: Horn hat da mal wieder eine intensive Interaktion erzeugt: Immer wieder ist man versucht, Splitter zu einer Geschichte zu verweben, knüpft Fäden - die allesamt zerreißen. Auch der Katalog hilft da nicht weiter.
Nein, diese Künstlerin macht es einem nicht leicht. Sie geht bis zur Grenze des "Goodwill" und darüber hinaus. Nimmt die Gereiztheit des um Deutung betrogenen Betrachters billigend in Kauf. Ein gelungenes Konzept.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!