Fortschritte bei Stromspeicherung: Wie man Sonne und Wind festhält
Künftig wird Strom nicht mehr produziert, wenn wir ihn brauchen, sondern so erzeugt, wie Wind und Wetter es zulassen. Dann muss er gespeichert werden. Nur wie?
BERLIN taz | Es sieht aus wie im Keller von Daniel Düsentrieb. "Herzlich Willkommen, wir sind die Brücke", sagt Ulrich Zuberbühler. Versteckt im Gewerbegebiet von Stuttgart-Vaihingen befindet sich einer dieser Orte, an denen die Energiewende real wird:
Zuberbühler, ein freundlicher schwäbischer Tüftler, ist Projektleiter am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung, kurz ZSW. "Damit haben wir vor kurzem einen Weltrekord erzielt, die effizienteste Dünnschicht-Solarzelle der Welt", erzählt er nebenbei und biegt eine Solarzelle, kaum dicker als der Einband eines Taschenbuches, um ein Rohr.
Dann deutet er auf ein schrankgroßen Kasten. Daraus soll einmal das mit Wasserstoff laufende Minikraftwerk für zu Hause werden. Eine Metalltreppe runter harrt die nächste Erfindung ihrer Marktreife. Das Ziel: aus Schilf und Holzresten Biogas herausholen.
Das Prinzip: Man kann Strom genauso wenig speichern wie fließendes Wasser. Aber man kann die Energie, die in ihm steckt, umwandeln. Chemische Bindungen speichern so Energie, in der Natur nennt man das Photosynthese.
Das Verfahren: Das Gleiche geschieht, wenn Strom zur Erzeugung von Erdgas genutzt wird. Den ersten Schritt kennt man aus der Schule, die Elektrolyse, bei der Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt wird. Aus Wasserstoff und Kohlendioxid lässt sich Methan, also Erdgas, erzeugen.
Der Nachteil: Das CO2 muss aus der Luft gefiltert werden oder als Abfallprodukt aus der Biogaserzeugung genutzt werden, was Energie kostet. Bis aus Strom Gas und wieder Strom wird, gehen 50-60 Prozent der Energie verloren - falls die dabei entstehende Abwärme genutzt wird. Sonst sind es sogar 70 Prozent. Nutzt man den Wasserstoff direkt, verbessert sich die Bilanz um 10 Prozent. Der lässt sich ebenfalls begrenzt ins vorhandene Gasnetz beimischen. (ia)
Die eigentliche Brücke steht im Innenhof. Zuberbühler schließt zwei graue, garagengroße Container auf und sagt fast entschuldigend: "So schaut das aus hier. Ein Haufen Rohre und Zeug." Es sieht gänzlich unspektakulär nach Heizkeller aus.
Ökoenergie kann langfristig gespeichert werden
Doch was im Inneren der in Styropor verpackten Rohre und Zeug passiert, hat das Zeug dazu, eines der großen Probleme zu lösen, wenn Sonne und Wind Atomkraft und Kohle ersetzen sollen: die Frage nämlich, wie man Ökoenergie langfristig speichern kann. Denn in dieser Apparatur wird aus Wasser und Luft Methan gewonnen, also Strom in reines Erdgas umgewandelt.
Momentan bezieht Deutschland seinen Strom zum großen Teil aus Kohle. Die kann man stapeln, transportieren und nach Bedarf verbrennen. Künftig allerdings wird Strom abhängig vom Wetter von Windrädern und Solaranlagen erzeugt werden. Er muss gespeichert werden, bis er gebraucht wird. Und das möglichst günstig. Nur wie und wo?
Die heute übliche Technik sind Pumpspeicherkraftwerke, künstliche Seen in den Mittelgebirgen. Sie bringen heute eine Leistung von 6,7 Gigawatt, das entspricht etwa sechs bis sieben Atomreaktoren. Das Prinzip ist einfach: Ist zu viel Strom da, verbrauchen ihn Pumpspeicher, in dem sie Wasser aus einem Tal in einen höher liegenden See befördern. Wird später Strom benötigt, rauscht es durch Rohre den Hang hinab und treibt Turbinen an. Damit können sie Deutschland 30 Minuten versorgen, dann ist die Bundeswasserbatterie leer.
Nicht genug Platz für Speicherseen
"Die Potenziale von Pumpspeichertechnologien in Deutschland reichen nicht aus, um die fluktuierende Stromerzeugung durch erneuerbare Energien auszugleichen", schrieb die Bundesregierung kürzlich auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion. Das Fraunhofer Institut für Windenergie- und Energiesystemtechnik hat berechnet, was für eine Kapazität Pumpspeicher haben müssten, wenn sich Deutschland komplett mit regenerativem Strom versorgen will: Das 500-fache der heutigen. So viele Speicherseen sind in den hiesigen Gebirgen nicht einmal annähernd möglich.
Denn das künftige Energiesystem muss Extremfälle aushalten: Wenn alle paar Jahre in ganz Deutschland oder sogar ganz Europa Flaute herrscht, stehen flächendeckend Windräder still. Diese Zeiten müssen aus Vorräten überbrückt werden, so wie Kornspeicher, wenn die Ernten schlecht ausfallen. An Tagen, an denen Wind- und Solaranlagen ihre volle Leistung abgeben, ist wiederum viel zu viel Strom da, der nicht verbraucht werden kann. Dann können die Speicher gefüllt werden.
Windräder im Norden, Koventionell-Strom im Süden
Bereits ab dem Jahr 2015 stehen hierzulande so viele Windräder, dass sich das Land immer dann komplett mit Windstrom versorgen kann, wenn eine entsprechend steife Brise herrscht. Theoretisch. Praktisch drehen sich die meisten Mühlen im Norden, der Strom wird aber in den Industriezentren weiter südlich benötigt. Dort stehen konventionelle Kraftwerke, die noch Jahre am Netz bleiben und die Versorgung übernehmen werden. Für die Windmühlen heißt das: Sie müssen ihren Strom speichern. Oder sie stehen bei besten Windverhältnissen still, weil ihr Strom gerade nicht benötigt wird.
In den nächsten Jahren bedeutet das nur ökonomische Verluste. Für die Zeit ohne konventionelle Kraftwerke, irgendwann nach 2020, sind Energiespeicher aber existenziell. Sie müssen die Wetterextreme überbrücken und Energie langfristig, auch über Wochen und Monate, speichern können. Für derart lange Zeiträume eignet sich keine der herkömmlichen Technologien: Batterien sind unmöglich in einer solchen Größenordnung zu bauen, zudem viel zu teuer.
Die Bundesregierung strebt an, die Bergseen Norwegens, Österreichs oder der Schweiz zu nutzen, um daraus gewaltige Pumpspeicher zu machen, die dann bei Bedarf genug Strom aus Wasserkraft erzeugen. Die norwegisch-schwedische Firma NorGer etwa will bis 2015 für 1,4 Milliarden Euro ein 540 Kilometer langes Kabel mit der Leistung eines Atommeilers von der niedersächsischen Küste nach Norwegen legen. Doch um das deutsche Speicherproblem zu lösen, müssten Dutzende verlegt werden.
Zuberbühler fragt sich, warum man nicht die Lösung vor der eigenen Haustüre suchen soll. Nicht mit Kabeln nach Norden, sondern mit Brücken ins Gasnetz. In Deutschland befinden sich 47 Erdgas-Kavernen, unterirdische Hohlräume, in denen das Gas gespeichert wird, eigentlich als Notvorrat gedacht. Genug, um das Land mehrere Wochen zu versorgen. Sie sind mit 400.000 Kilometern Leitungen verbunden, die das Land durchziehen.
Riesige Batterie
Zuberbühler sieht darin eine riesige Batterie, die von überall geladen und entladen werden kann. Man muss nur den überschüssigen Ökostrom verwenden, um Gas herzustellen. Das kann fast beliebig lang gespeichert werden - und je nach Bedarf wieder zur Stromerzeugung, zum Heizen oder auch im Tank von Erdgasfahrzeugen genutzt werden.
Und was sagt die Industrie zu der Idee? Die Politik? Das versucht derzeit Gregor Waldstein auszuloten, Gründer des Start-Ups "Solar Fuel". Er hat die Versuchsanlage in Stuttgart finanziert. Zwei Kunden hat er bereits gewonnen. Die Firma Juwi, einer der führenden Projektentwickler für regenerative Energien in Deutschland, ist von der Technik begeistert. Zudem steigt Audi ein. Audi will ab 2013 ein Erdgas-Fahrzeug auf den Markt bringen, das gegen einen Aufpreis klimaneutral fahren soll. Die gleiche Menge fossiles Erdgas, die getankt wird, erzeugt Audi in einer Anlage von Waldsteins Firma mithilfe von Ökostrom und speist es wieder ins Netz ein.
Seit der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen ist, bekommt Waldstein Einladung zu Konferenzen, auf denen die Großen der Energiebranche zuhören. Und Erdgas aus Ökostrom wird künftig genauso gefördert wie Biogas vom Acker.
Eon, RWE, Vattenfall und EnBW
Waldstein klickt in einer Berliner Hotellobby gerade die letzten Folien für einen Vortrag zusammen, über den er nur sagt: "Unglaublich, wer uns auf einmal alles zuhört." Er ist zu einer Tagung der Zeitschrift Focus über Energiespeicher geladen. Die Regenerativ-Branche ist da, Wissenschaftler, Politiker, aber auch Eon, RWE, Vattenfall und EnBW. Die vier Konzerne, die auf einmal lernen müssen, auf Menschen mit Ideen wie Zuberbühler und Waldstein zuzugehen.
Die Einstellung hat sich grundlegend geändert, heute wollen auch die großen Energiekonzerne Gas als Energiespeicher nutzen. Erste Windparks werden derzeit entsprechend ausgerüstet, Eon und RWE arbeiten ebenfalls daran. Auch Greenpeace Energy wird bald "Windgas" für Privatkunden anbieten. Allerdings nutzt man da Wasserstoff, das in der Anlage von Solar Fuel als Vorprodukt von Methan anfällt. Das Ergebnis bleibt gleich: Strom wird im deutschen Erdgasnetz gespeichert.
Vattenfall-Geschäftsführer: "großartige Idee
Bei der Deutschen Energie-Agentur sitzen derzeit Experten zusammen, die untersuchen, ob die Quote erhöht werden kann. Im Gespräch sind bis zu 15 Prozent, allerdings müssten Gasherde oder Kraftwerke damit umgehen können. Eine "großartige Idee" sei das, findet beispielsweise Oliver Weinmann, Geschäftsführer der Vattenfall Europa Innovation.
Noch stehen sämtliche Techniken der Stromspeicherung als Gas am Anfang ihrer Entwicklung. Ob und wie schnell sie sich durchsetzen? Das wird vor allem eine Geldfrage sein. "Die entscheidende Größe ist der Preis pro Kilowattstunde gespeichertem Strom", sagt Dirk Uwe Sauer von der Technischen Hochschule Aachen. Sollte der Preis zu hoch sein, muss die Politik Energiespeicher zusätzlich fördern. Ansonsten wäre es vielleicht günstiger, überschüssigen Wind- und Sonnenstrom einfach wegzuwerfen und bei Bedarf Strom zu importieren. In Frankreich stehen noch genug Atomkraftwerke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett