Fortpflanzungsmedizingesetz: Mehr Freiheiten für Repro-Mediziner
Die Wissenschaftsakademie Leopoldina fordert, das Embryonenschutzgesetz zu lockern. Verbrauchende Forschung soll möglich werden.
Die Begründungen seiner Dringlichkeit, die auch der für die Arbeitsgruppe sprechende Jochen Taupitz immer wieder aufzählt, sind immer die gleichen: lückenhafte Gesetzeslage und Rechtsunsicherheit, Wertungswidersprüche und seitens der Betroffenen Leid und Ungerechtigkeiten. „Wir wollen diese Schwangerschaft im Bundestag anregen“, setzte der Mannheimer Jurist, der schon im Nationalen und im Deutschen Ethikrat zu den Statthaltern fortpflanzungsmedizinischer Liberalität gehörte, anlässlich der Vorstellung des Berichts ein etwas schiefes Bild in die Welt.
Ausgangspunkt der Lobbyisten ist die Fortpflanzungsfreiheit, die einzuschränken und zu behindern sie den Gesetzgeber beschuldigen. Aber was bedeutet das? Reproduktive Freiheit und Selbstbestimmung, wie sie in den siebziger Jahren einmal die Frauenbewegung gefordert hat, war ein Abwehrrecht. Der Staat sollte Frauen weder dazu verpflichten können, Kinder zu bekommen oder sie – etwa durch staatliche Verhütungsprogramme – daran hindern. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen demografische Kalküle oder ein zu schützender Embryo, und in diesem Sinne war auch das Embryonenschutzgesetz als Strafrecht angelegt.
Im Zuge der Reproduktionsmedizin bedeutet Fortpflanzungsfreiheit heute aber etwas ganz anderes. Es geht um einen möglichst liberalen Markt, auf dem es Anbietende, Nachfragende und „Material“ gibt, also Samen, Eizellen, Embryonen, die verpflanzt, geliehen ,„gespendet“, beforscht und auch veräußert werden können. Nun sei der Gesetzgeber, so die Argumentation derjenigen, die diesen Markt möglichst fluid machen wollen, unter Beweiszwang, warum er dieses Recht einschränkt.
Ein weiterer „Grundgedanke“ der Stellungnahme geht davon aus, dass Samen- und Eizellspende nichts grundsätzlich Verschiedenes ist – obwohl es sich bei Eizellspenden zweifelsohne um invasive, potenziell gesundheitliche Folgen zeitigende Eingriffe in den Körper handelt (Hormonstimulation, Eizellentnahme und -übertragung etc.). Die gesundheitlichen Risiken für die Spenderinnen, halten die Autorinnen dem entgegen, seien jedoch gering (bei 0,5 Prozent tritt ein Überstimulationssyndrom auf, bei immerhin 0,4 Prozent gibt es schwere Komplikationen).
Nord-Süd-Gefälle
Unter Berücksichtigung von sozialer Ungleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen plädieren die AutorInnen der Leopoldina-Stellungnahme deshalb dafür, die Eizellspende, bislang in Deutschland verboten, zuzulassen, mit einer „angemessene Aufwandsentschädigung“ für die Spenderinnen.
Das Argument, die sozialen Notlagen der eizellspendenden Frauen und damit das Gefälle etwa zwischen Nord- und Südeuropa auszunutzen, erledigen sie mit dem Hinweis, dass diese hierzulande medizinisch erheblich besser betreut würden und geschützt seien. „Sonst nehmen wir in Kauf“, sagt etwa der Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich während der begleitenden Podiumsdiskussion, „dass die Frauen dort schlecht behandelt werden.“
Wenn die Eizellspende aber, wie es die Stellungnahme vorsieht, nicht anonym stattfindet – und das muss auch nach Willen der WissenschaftlerInnen so geregelt sein, um das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft zu wahren –, ist, wie die Erfahrung in anderen europäischen Ländern zeigt, nicht damit zu rechnen, dass sich viele Eizellspenderinnen finden.
Denn überall dort, wo die Anonymität aufgehoben wurde, ging die Spendenbereitschaft drastisch zurück; in Spanien, das damit fortlaufend europarechtliche Regelungen unterläuft, gibt es nur deshalb viele Spenderinnen, weil die Anonymität dort gesetzlich festgeschrieben ist. Umgekehrt müsste also eher gefragt werden, ob Deutschland, wenn es die Eizellspende zulässt, damit die oft schlechte Praxis in anderen Ländern legitimiert.
Zukunftsmusik
„Leidvermeidung“ ist also eher ein Argument, wenn es sich um Frauen und Paare handelt, die hierzulande zu einem Kind kommen wollen, und dies möglichst ohne das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft. Zu vermeiden wäre sie durch den elektiven Single-Embryo-Transfer (eSET), bei dem aus einer großen Anzahl von Embryonen die entwicklungsfähigsten ausgesucht und übertragen werden. Das Verfahren ist also eher selektiv und würde die im Embryonenschutzgesetz festgeschriebene Dreierregel – nur maximal drei Embryonen dürfen befruchtet und verpflanzt werden – aushebeln.
Die übrig bleibenden Embryonen könnten, so die Stellungnahme, dann gespendet oder der Forschung zur Verfügung gestellt werden, um etwa herauszufinden, welche gesundheitlichen Folgen die In-vitro-Fertilisation (IVF) für die auf diese Weise produzierten Kinder hat. Denn die Fortpflanzungsmedizin sei „ganz maßgeblich auf die Ergebnisse von Forschung im Ausland angewiesen, die in Deutschland verboten war und ist“, bedauern die AutorInnen einleitend.
An dieser Stelle schließt sich der Bogen zu einer weiteren Expertise, die der Deutsche Ethikrat kürzlich in Bezug auf die Keimbahnintervention vorgelegt hat. Unter der Voraussetzung, dass die menschliche Keimbahn nicht sakrosankt ist, schließt der Rat Manipulationen an ihr nicht mehr generell aus, soweit sie wirksam und sicher sind.
Das ist zwar Zukunftsmusik und nur durch Versuche am Embryo möglich, wie die Stammzellforscherin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Vollhard dem Gremium anlässlich einer Veranstaltung der Max-Planck-Gesellschaft ins Stammbuch geschrieben hat. Eine große Minderheit des Ethikrats würde mit der Forschung an Embryonen auch gar keine Probleme haben, Probleme bei der Hebung des „Körpergoldes“ machen nur die verflixten Bestimmungen des Embryonenschutz- und des Stammzellgesetzes.
Man sieht, eines kommt zum anderen, und es geht längst nicht nur um ein Gesetz, das künstliche Fortpflanzung neu regelt, sondern um einen Technologiepool, in dem die Kinderwunschpaare nur ein Akteur unter vielen anderen sind. Deren nachvollziehbaren Probleme und Leiden müssen dafür herhalten, die Interessen einer durch nichts legitimierten Pressuregroup zu verschleiern. Die drei Bundestagsabgeordneten, die bei der Vorstellung der Stellungnahme das Podium bestückten, reagierten deshalb etwas genervt von der Nötigung, möglichst schnell ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen: In dieser Legislaturperiode, wiesen sie die forsche Arbeitsgruppe zurück, sei damit ganz sicher nicht mehr zu rechnen.
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